Neuartiges Material fängt CO2 bei extremen Temperaturen ein
Forschende haben ein metallorganisches Gerüst entwickelt, das CO2 aus heißen Industrieabgasen abscheiden kann. Die Entdeckung ebnet den Weg für effizientere Kohlenstoffabscheidung in umweltbelastenden Branchen wie der Zement- und Stahlproduktion.
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der University of California in Berkeley haben ein neuartiges Material entwickelt, das die Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) aus heißen Industrieabgasen ermöglicht. Das metallorganische Gerüst (Metal-Organic Framework, MOF) funktioniert wie ein Schwamm und bindet CO2 bei Temperaturen, die bisher als zu hoch für eine effektive Kohlenstoffabscheidung galten. Die Entdeckung, die in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, könnte die CO2-Adsorption in besonders umweltschädlichen Branchen wie der Zement- und Stahlindustrie deutlich verbessern. Bislang war es kaum möglich, in diesen Sektoren eine Kohlenstoffabscheidung einzusetzen. Gründe sind die hohen Energiemengen und der ebenso hohe Wasserverbrauch, die zum Abkühlen der Abgase nötig sind.
Herkömmliche Methoden zur CO2-Abscheidung aus Industrie- und Kraftwerksemissionen nutzen flüssige Amine, die jedoch nur bei moderaten Temperaturen zwischen 40 und 60 Grad Celsius (°C) effizient arbeiten. Die Abgase von Zement- und Stahlwerken erreichen hingegen oft Temperaturen von mehr als 200 °C, in Extremfällen sogar bis zu 500 °C. Selbst neuere Materialien, die derzeit in Pilotprojekten getestet werden, darunter auch aminhaltige MOF, zersetzen sich bei Temperaturen über 150 °C oder büßen ihre Effizienz ein. Die Abkühlung dieser heißen Gasströme auf die für die Kohlenstoffabscheidung erforderlichen Temperaturen erfordert eine kostspielige Infrastruktur, wie Kurtis Carsch, Postdoktorand an der UC Berkeley und Erstautor der Studie, erklärt.
Neuer Mechanismus zur CO2-Abscheidung bei hohen Temperaturen
Das von den UC Berkeley-Forschern entwickelte MOF weist eine neuartige Funktionsweise auf, die eine effiziente CO2-Abscheidung bei eben diesen hohen Temperaturen ermöglicht. Im Gegensatz zu den bisher vorherrschenden aminbasierten Systemen nutzt das Material einen Mechanismus, der auf Metallhydriden basiert. Die poröse, kristalline Struktur des MOF bietet eine riesige innere Oberfläche – etwa sechs Fußballfelder pro Esslöffel –, an der CO2 unter geeigneten Bedingungen adsorbiert und wieder freigesetzt werden kann. Dieser Ansatz eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Kohlenstoffabscheidung in Hochtemperaturprozessen, die bisher als ungeeignet für den Einsatz poröser Materialien galten.
Unter simulierten Bedingungen demonstrierten die Forscher die Fähigkeit des neuartigen MOF, heißes CO2 in Konzentrationen einzufangen, wie sie typischerweise in den Abgasen von Zement- und Stahlwerken (20-30 Prozent CO2) sowie in den weniger konzentrierten Emissionen von Erdgaskraftwerken (ca. 4 Prozent CO2) vorkommen. Die Abscheidung von CO2 aus Industrieabgasen und dessen anschließende unterirdische Speicherung oder Nutzung zur Herstellung von Kraftstoffen und Chemikalien gilt als Schlüsselstrategie, um Treibhausgase zu reduzieren und den Klimawandel einzudämmen. Während erneuerbare Energien bereits dazu beitragen, den Bedarf an CO2-ausstoßenden Kraftwerken zu verringern, gestaltet sich die Dekarbonisierung fossil brennstoffintensiver Industrieanlagen weitaus schwieriger.
Zinkhydrid-Stellen ermöglichen stabile CO2-Bindung
Im Gegensatz zu den bisher erforschten aminbasierten Adsorptionsmitteln hat das neue untersuchte MOF Poren, die mit Zinkhydrid-Stellen versehen sind. Diese erwiesen sich als überraschend stabil und ermöglichen eine sogenannte „tiefe Kohlenstoffabscheidung“, bei der 90 Prozent oder mehr des CO2 eingefangen werden können. Damit erreicht das Material CO2-Kapazitäten, die mit denen aminierter MOF vergleichbar sind, allerdings bei deutlich höheren Temperaturen. Sobald das MOF mit CO2 gesättigt ist, kann das Treibhausgas durch Absenken des CO2-Partialdrucks wieder entfernt werden, entweder durch Spülen mit einem anderen Gas oder durch Anlegen eines Vakuums. Anschließend steht das MOF für einen weiteren Adsorptionszyklus zur Verfügung.
Die Entdeckung des neuartigen MOF mit Zinkhydrid-Funktionalität widerlegt die bisherige Annahme, dass eine schnelle, reversible und hochkapazitive CO2-Abscheidung bei Temperaturen über 200 °C mit porösen Feststoffen nicht möglich sei, wie Jeffrey Long, Professor an der UC Berkeley und Leiter des Forschungsteams, hervorhebt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen nun Varianten des Materials, um dessen Adsorptionseigenschaften für andere Gase zu erforschen und die CO2-Aufnahmekapazität weiter zu optimieren. Kurtis Carsch sieht vielfältige Möglichkeiten, die Metallionen in MOF gezielt anzupassen, um maßgeschneiderte Adsorbentien für verschiedene Hochtemperatur-Gastrennverfahren zu entwickeln, die für Industrie und Nachhaltigkeit relevant sind.
Neue Wege für effiziente CO2-Abscheidung in der Industrie
Die Entdeckung des metallorganischen Gerüsts mit Zinkhydrid-Funktionalität eröffnet neue Perspektiven für die Abtrennung von CO2 aus heißen Industrieabgasen. Insbesondere für schwer zu dekarbonisierende Branchen wie die Zement- und Stahlproduktion, die auf absehbare Zeit weiterhin signifikante Mengen an CO2 ausstoßen werden, bietet das neue Material eine Lösung zur effizienten Kohlenstoffabscheidung. Durch die Fähigkeit, CO2 bei hohen Temperaturen einzufangen, entfällt die energieintensive und kostspielige Abkühlung der Abgasströme, die bisher den Einsatz von Technologien zur CO2-Abtrennung in diesen Industrien erschwert hat.