Steigender Meeresspiegel führt zu mehr Erdbeben
Durch den menschengemachten Klimawandel steigt der Meeresspiegel weltweit. Aufgrund dessen sind viele Küstenregionen nicht nur von Überschwemmungen bedroht. Die zusätzliche Wasserlast erhöht auch den mechanischen Druck im Gefüge tektonischer Platten und damit das Erdbebenrisiko.
Die Erdkruste setzt sich aus großen und kleinen tektonischen Platten zusammen, die immer in Bewegung sind. Dort, wo zwei oder mehrere Platten aufeinandertreffen, entstehen gewaltige Spannungen. Wird der Druck zu groß, entlädt sich die Spannung mit einem Ruck. Je nach Intensität, nimmt der Mensch diese Erschütterung als ein Erdbeben wahr. Dabei wird Energie in Form seismischer Wellen freigesetzt, die sich teilweise über lange Zeiträume aufgestaut hat. Nach dem Hauptbeben können kleinere Nachbeben auftreten, während sich die Erdkruste an die neue Position anpasst und restliche Spannungen abbaut. Dieser Prozess kann Tage bis Monate dauern. Danach startet der sogenannte seismische Zyklus von neuem und bildet so einen wiederkehrenden Kreislauf von laden und entladen auf sogenannten tektonischen Störungen.
Dieser seismische Zyklus wird jedoch zunehmend vom menschengemachten Klimawandel beeinflusst. Die Folge: Der Meeresspiegel steigt und erhöht den mechanischen Druck im Gefüge tektonischer Platten. Dadurch werden Erdbeben weltweit zunehmen. Das prognostizieren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum Potsdam. In einer Studie erläutern sie die Auswirkungen des Klimawandels auf das Erdbebenrisiko, welche Regionen besonders gefährdet sind und worauf es in Zukunft bei der Erdbebenüberwachung ankommt.
Klimawandel beeinflusst die Entstehung von Erdbeben
Die steigende globale Durchschnittstemperatur lässt vor allem das Festlandeis der Antarktis und Grönlands schmelzen und führt so zu einem kontinuierlichen Anstieg des Meeresspiegels. Zwischen 1901 und 1990 betrug die jährliche Anstiegsrate 1,4 Millimeter. Dieser Wert stieg von 1970 bis 2015 auf 2,1 Millimeter pro Jahr und erreichte zwischen 2006 und 2015 bis zu 3,6 Millimeter jährlich. Laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)-Bericht 2023 wird der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 im Durchschnitt um 0,43 bis 0,84 Meter gegenüber dem Zeitraum 1986 bis 2000 ansteigen. Sollten alle Landeismassen schmelzen, könnte der Meeresspiegel langfristig sogar um etwa 70 Meter steigen. Ob dieses Extrem-Szenario eintritt, hängt jedoch stark von der Einhaltung der Klimaziele und der Reduktion der Treibhausgasemissionen ab.
Der Klimawandel und das Schmelzen der Gletscher fördert die Entstehung von Erdbeben. Denn ein höherer Meeresspiegel bedeutet auch mehr Wasserlast auf dem Untergrund. Der erhöhte Druck beeinflusst wiederum die seismischen Zyklen und erhöht damit das Erdbebenrisiko.
„Bereits Meeresspiegelschwankungen von nur wenigen Dezimetern reichen aus, um Erdbeben auszulösen. Das können wir aus einer Vielzahl von Beobachtungen ableiten, zum einen von menschengemachten, meist harmlosen kleineren Erdbeben, die bei Wasserinjektionen zur Öl-, Gas-, oder Erdwärmeförderung auftreten, aber auch durch Seismizitätsschwankungen, die unter Stauseen und durch Ebbe und Flut verursacht werden“, sagt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum und Leiter der Studie.
Erhöhtes Erdbebenrisiko für Küstenregionen
Viele Küstenregionen liegen an den Grenzen von tektonischen Platten, weshalb sie einem erhöhten Erdbebenrisiko ausgesetzt sind. Dazu kommt, dass Küstenregionen beliebte Lebensräume darstellen. Oft sind sie dicht besiedelt und beherbergen wichtige Infrastrukturen. Erdbeben in diesen Regionen haben somit meist verheerende Auswirkungen – sowohl in Bezug auf Menschenleben als auch auf wirtschaftliche Schäden. Noch dazu können Erdbeben in Küstenregionen zu Sekundäreffekten wie Tsunamis führen.
„Problematisch ist, dass es weltweit eine große Anzahl von Störungen gibt, die kurz vor dem Ende ihres seismischen Zyklus‘ stehen. Bei diesen reichen dann kleine zusätzliche Spannungen, um quasi die natürliche seismische Uhr vorzustellen und das Gestein bereits früher zum Versagen zu bringen. Dies geschieht durch steigende Meeresspiegel oder auch stärkere Stürme. Nach unseren Berechnungen wird das dann insbesondere küstennahe Bereiche und damit auch Städte und Infrastruktur treffen“, sagt Bohnhoff.
Erdbebenüberwachung und Vorhersagen verbessern
Die konkreten Auswirkungen des Klimawandels auf Erdbebenzonen sind noch nicht hinreichend erforscht und hängen von zahlreichen Faktoren ab, wie der Geometrie der Verwerfungen, den lokalen tektonischen und Druckbedingungen sowie den Eigenschaften des Gesteins.
Die Forschenden schlagen daher vor, die seismischen Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs und extremer Wetterereignisse in Zukunft besser quantitativ zu erfassen. Der Wissenschaftler Yehuda Ben-Zion von der University of Southern California plant beispielsweise, Regionen starker Eisschmelze, wie Grönland, mikroseismisch zu überwachen. Diese Daten sollen dann mit denen aus Skandinavien verglichen werden, um so Gemeinsamkeiten zur skandinavischen Landmasse ziehen zu können. Hier hat das Abschmelzen der Landeismassen seit der letzten Eiszeit bereits zu starken Erdbeben geführt, jedoch ohne die heutigen städtischen und infrastrukturellen Risiken.
Neben der Investition in eine widerstandsfähige Infrastruktur und eine verbesserte Erdbebenüberwachung sehen die Forschenden Maßnahmen zur Senkung des globalen Tempertaturanstiegs als zwingend notwendig an, um die Gefahr weltweiter Erdbeben zu reduzieren.