Wie Satelliten den Trockenstress bei Pflanzen messen
Bessere Erträge und mehr Nachhaltigkeit: Die Landwirtschaft der Zukunft muss sich großen Herausforderungen stellen. Eine neue, satellitengestützte Technologie soll die Bewässerung von Anbauflächen optimieren.
Laut Angaben der Vereinten Nationen leben momentan rund 7,89 Milliarden Menschen auf der Erde. Die Zahl könnte sich bis 2050 auf 9,74 Milliarden und bis zum Jahr 2100 auf 10,87 Milliarden erhöhen. Das zeigen verschiedene Prognosen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, denn die Medizin macht Fortschritte – auch wenn vielen Menschen immer noch der Zugang zu Gesundheitsleistungen aller Art fehlt.
Wächst die Weltbevölkerung, steigt zwangsläufig der Bedarf an Lebensmitteln. Mehr als 80% der Nahrung, gemessen am Kalorienverbrauch, ist derzeit pflanzlicher Natur. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass die weltweite Herstellung solcher Nahrungsmittel innerhalb von 30 Jahren um mehr als 50% steigern muss, um alle Menschen zu versorgen. Nur sind Ackerflächen begrenzt, und Brandrodung führt nach wenigen Jahren zur Erosion von Böden – von der Zerstörung lebenswichtiger Waldflächen ganz abgesehen. Landwirte stehen vor der Herausforderung, vorhandene Äcker effizienter als bisher zu nutzen. Zu den möglichen Stellschrauben, die sie haben, gehört, Pflanzen bestmöglich mit Wasser zu versorgen. Bekanntlich führen Trockenheit und Wasserstress zu schlechten Ernten.
Zwar haben Ingenieure ab den 1970er-Jahren Sensoren entwickelt, die von Satelliten aus Messungen durchführen. Doch das System zeigt in der Praxis zwei gewaltige Nachteile. Informationen stehen stark zeitversetzt zur Verfügung; eine Teststrategie sollte bestenfalls nach wenigen Stunden Daten liefern. Und bisher kamen visuelle und nah-infrarote Sensoren, um Chlorophyll zu erkennen. Wurde der Blattfarbstoff erst einmal durch fehlendes Wasser zerstört, ist es für Eingriffe meist zu spät. Ingenieure am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut (EMI), berichten von einer innovativen Lösung.
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Mit Wärmebildkameras und Algorithmen Trockenstress rasch erkennen
Auch sie arbeiten mit moderner Satellitentechnik. Die Forschenden nutzen eine Kamera zur multispektralen Bilddatenanalyse, die aus einem thermischen Infrarotdetektor und aus neu entwickelter Datenverarbeitungshardware besteht. Daten gelangen von Satelliten auf Bodenstationen, werden in Rechenzentren bearbeitet und nach entsprechender Aufbereitung Anwendern per App zur Verfügung gestellt. Das sind beispielsweise Landwirte vor Ort.
Ein spezieller Algorithmus errechnet anhand der Daten, welche Oberflächentemperatur Blätter haben. Geraten Pflanzen nämlich in Trockenstress, verdunsten sie weniger Wasser über Blätter, und die Temperatur steigt. „Innerhalb von zwei Stunden kann sich die Temperatur um zwei bis drei Grad Celsius verändern“, so Max Gulde vom Fraunhofer EMI. „Unser Verfahren misst auf ein Zehntel Grad genau und löst die Temperatur-Differenzen sehr fein auf.“ Dazu mussten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zuerst Wärmestrahlung, die vom Satelliten selbst, von der Erdoberfläche oder von der Atmosphäre abgestrahlt wird, herausrechnen. Mit dem Prinzip lässt sich die tatsächliche Verdunstung von Pflanzen bestimmen. Datenexperten erkennen Wasserstress in Pflanzen Tage bis Wochen, bevor die Pflanze sichtbare Veränderungen durchmacht.
Landwirten stehen perspektivisch Daten zur Planung mit einem Zeitversatz von wenigen Stunden zur Verfügung. Sie können gezielter als zuvor ihre Bewässerung anpassen. Diese Strategie hilft auch dabei, Wasser einzusparen, denn punktgenaue Maßnahmen sind möglich. Außerdem führen die Angaben zu genaueren Ernteprognosen und leisten einen Beitrag für mehr Planungssicherheit. Ökonomische Folgen einer Dürre lassen sich besser als in früheren Zeiten bewerten.
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Technik gegen Trockenstress ab 2022 einsatzbereit
Zur Kommerzialisierung ihrer Technologie haben Forschende die Firma ConstellR gegründet. Sie kamen bereits 2017 auf die Idee, Satelliten mit räumlich hochauflösenden Wärmebildkameras zur Temperaturmessung auszustatten. Eine Förderung in Höhe von 1,8 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, an der sich das Fraunhofer EMI mit 10% beteiligt hat, machte die Entwicklung des Satellitensystems und die Gründung von ConstellR aber erst möglich.
Das innovative Sensorsystem soll Anfang 2022 ins All starten, um an Bord der Internationalen Raumstation ISS installiert zu werden. Mittelfristiges Ziel von ConstellR ist es, eine Konstellation von Mikrosatelliten aufzubauen, welche täglich oder sogar stündlich Informationen über die genaue Oberflächentemperatur unseres Planeten liefern kann, und zwar mit hoher räumlicher Auflösung.
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