Von Orangen bis Okra: Neue Nutzpflanzen für die Landwirtschaft?
Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft vor große Herausforderungen, eröffnet aber auch Chancen für neue Nutzpflanzen. Eine Studie des UK Centre for Ecology & Hydrology prognostiziert, dass bis 2080 Kichererbsen, Sojabohnen und Orangen im Vereinigten Königreich weit verbreitet sein könnten. Das lässt sich vermutlich auf andere Länder übertragen.
Eine vom britischen Centre for Ecology & Hydrology (UKCEH) in Zusammenarbeit mit der University of East Anglia durchgeführte Studie liefert Erkenntnisse über die Zukunft der Landwirtschaft im Vereinigten Königreich. Die Forschenden untersuchten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Eignung von mehr als 160 Nutzpflanzen in verschiedenen Regionen des Landes. Dabei berücksichtigten sie Erwärmungsszenarien von zwei und vier Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die bisher umfassendste Studie dieser Art liefert ausführliche Prognosen für jeden Quadratkilometer und bietet dem Agrar- und Lebensmittelsektor wichtige Informationen über zukünftige Möglichkeiten und Herausforderungen beim Anbau neuer Feldfrüchte.
John Redhead, Raumökologe am UKCEH und Hauptautor der Studie, erläutert die Notwendigkeit einer widerstandsfähigen Landwirtschaft angesichts des sich verändernden Klimas und der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln aufgrund des Bevölkerungswachstums. Eine mögliche Lösung sieht er im Anbau verschiedener Pflanzen, die besser an die neuen lokalen Bedingungen angepasst sind. Der Klimawandel hat bereits jetzt große Auswirkungen auf die britische Landwirtschaft, sei es durch Extremwetterereignisse wie nassen Wintern gefolgt von trockenen Frühlingen, die zu Ertragseinbußen führten, oder durch die Vermehrung neuer Schädlinge und Krankheiten. Andere europäische Länder berichten von ähnlichen Problemen.
Landwirtschaft im Wandel: Gewinner und Verlierer des Klimawandels
Die von UKRI finanzierte und in der Zeitschrift Climate Resilience and Sustainability veröffentlichte Studie hebt hervor, dass viele neue Nutzpflanzen nicht nur resistenter gegenüber heißeren, trockeneren Sommern sind, sondern auch milderes, feuchtes Winterwetter toleriert. Die Forschenden verglichen die zukünftigen Klimaszenarien mit den aktuellen Durchschnittstemperaturen im Vereinigten Königreich, die etwa 0,5 Grad Celsius über den vorindustriellen Werten liegen. Sie stellten fest, dass der Klimawandel dazu führt, dass viele aktuelle und potenzielle neue Nutzpflanzen in weiten Teilen des Landes inzwischen besser gedeihen. Allerdings wird der Anbau einiger wichtiger Produkte wie Weizen, Erdbeeren, Zwiebeln und Hafer in den produktivsten Ackerbauregionen im Südosten der Insel voraussichtlich schwieriger werden.
Im Gegensatz dazu würde sich die Eignung für viele Pflanzen, die derzeit im Vereinigten Königreich nicht weit verbreitet sind, deutlich verbessern. Dazu gehören Sonnenblumen, Hartweizen, Sojabohnen, Schlangenbohnen, Kichererbsen, Zitrusfrüchte, Okra und Weintrauben. Die Autorinnen und Autoren der Studie erklären, dass diese neue Vielfalt in der Landwirtschaft dazu beitragen könnte, die Ernährung sicherzustellen, weil die Pflanzen negativen Klimaeinflüssen besser widerstehen. Zudem hätte das potenziell positive Auswirkungen auf die Biodiversität und die Ernährung der Menschen. Hülsenfrüchte wie Kichererbsen und Sojabohnen, die erst vor Kurzem erstmals auf den britischen Inseln kommerziell geerntet wurden, sind wichtige Proteinquellen und könnten den Übergang zu einer ausgewogeneren Nahrungszufuhr mit geringerem CO2-Fußabdruck unterstützen.
Risiken und Herausforderungen für die britische Landwirtschaft
Obwohl ein sich änderndes Klima voraussichtlich eine Reihe neuer Nutzpflanzen in Großbritannien begünstigen wird, zeigt die Studie, dass die größten Profiteure die Regionen im Südwesten und an der Grenze zu Schottland wären. In diesen Regionen werden die Vorteile steigender Temperaturen nicht durch Wasserknappheit im Sommer zunichte gemacht, insbesondere bei einer Erwärmung um weniger als vier Grad. In diesen Gebieten finden sich aber vor allem kleinere Anbaufelder, die Topografie ist wechselhaft. Zudem sind diese Regionen weit entfernt von den aktuellen Verarbeitungsbetrieben und Lieferketten, was potenzielle Anbauverlagerungen in diese Regionen erschwert. Darüber hinaus bestehen wirtschaftliche Risiken bei Investitionen in neue agronomische Verfahren sowie Umweltrisiken bei der Einführung von Nutzpflanzen an neuen Standorten. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in anderen Ländern können nun prüfen, inwiefern sich diese Ergebnisse auf andere Regionen Europas übertragen lassen.
Eine Umstellung bringt allerdings praktische Probleme mit sich. In Bezuga auf Großbritannien erklärt Redhead, dass es unwahrscheinlich ist, die großflächige Lebensmittelproduktion von den landwirtschaftlichen Kerngebieten im Südosten Englands beispielsweise in nördlichere Regionen zu verlagern. Der Klimawandel findet jedoch bereits statt und seine Auswirkungen werden bis 2080 zunehmen. Das bringt Herausforderungen hinsichtlich der Herkunft der Lebensmittel und der Bewirtschaftung der Agrarlandschaften mit sich. Um dem zu begegnen, sind weitere Untersuchungen zur Lebensfähigkeit der als „Gewinner“ identifizierten Nutzpflanzen erforderlich. Zudem müssen die landwirtschaftlichen Versorgungs- und Vertriebsnetze angepasst werden, um Landwirte, die neue Nutzpflanzen an neuen Standorten anbauen, zu unterstützen.
Neue Lösungsansätze für eine zukunftsfähige Landwirtschaft
Neuer landwirtschaftliche Systeme wie Paludikultur (Feuchtlandwirtschaft) und vertikale Indoor-Landwirtschaft sowie die Züchtung und den Anbau von wärme- oder dürreresistenten Pflanzen zu etablieren, sind weitere Lösungsansätze. Rachel Warren vom Tyndall Centre for Climate Change Research an der UEA betont, dass ohne solche Daten die Landwirtschaft wahrscheinlich auf die derzeitigen Nutzpflanzen „festgelegt“ wäre und Anpassungen nicht mit dem Klimawandel Schritt halten oder sogar seine Auswirkungen verstärken könnten. Größere Veränderungen in der Landwirtschaft und der Ernährung umzusetzen, kann Jahrzehnte dauern. Daher liefern die langfristigen Prognosen der Studie Landwirtinnen und Landwirten, Supermärkten, Forschenden, politischen Entscheidungstragenden sowie der Öffentlichkeit frühzeitig wichtige Informationen über die Chancen, Herausforderungen und Kompromisse, die damit verbunden sind, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.