Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen
Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für 2030 – die „SDG“ (Sustainable Development Goals) – sind ein Kompass für Innovation und Entwicklung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Doch erste Zwischenberichte ernüchtern: Es gibt noch viel zu tun.
Es war der 25. September 2015 in New York: Die 195 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten gemeinsam einen für alle Bereiche gesellschaftlicher Entwicklung umfassenden Zielkatalog: die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Es ging um Hunger, Armut und Ungleichheit, Gesundheit, Bildung und Gleichberechtigung, Wasser-, Energie- und Infrastrukturversorgung, Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, Nachhaltige Produktions-, Konsum- und Stadtentwicklungsprozesse, Klima-, Meeres- und Ökosystemschutz, Frieden und globale Partnerschaft.
Fast genau 4 Jahre später – auf dem ersten Treffen auf Regierungschefebene am 24. September 2019 – stellte UN-Generalsekretär António Guterres fest: „Let us be clear: we are far from where we need to be. We are off track.“ Das betonte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am 14. November auf der G20- Investorenkonferenz im Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) in Berlin. „Wir wissen ja, dass wir noch gut zehn Jahre Zeit haben; und da sind gewaltige Schritte zurückzulegen. Wir waren uns also einig, dass wir mehr tun müssen und schneller werden müssen.“
Worum geht es? Die Weltgemeinschaft hatte 2015 in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung für die insgesamt 17 Themengebiete qualitativ und allgemein ausgerichtete Ziele formuliert: die 17 Nachhaltigkeitsziele, die „Sustainable Development Goals“ (SDGs). So formuliert beispielsweise das erste Nachhaltigkeitsziel (SDG 1) die Anforderung bis 2030: „Armut in jeder Form und überall beenden“. Und SDG 14 formuliert für das Zieljahr 2030 „Ozeane, Meere und ihre Ressourcen erhalten und nachhaltig nutzen“. Hinter SDG 17 mit dem Titel „Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wieder beleben“ steht der Gedanke, den Multilateralismus zu sichern.
17 globale Ziele
Diesen 17 SDG sind 169 meist quantitative Unterziele zugeordnet – die indikatorenbasierten Ziele („targets“). So konkretisiert das zweite Unterziel des SDG 1 („target 1.2“) das Armutsziel wie folgt: „Bis 2030 den Anteil der Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, die in Armut in all ihren Dimensionen nach der jeweiligen nationalen Definition leben, mindestens um die Hälfte reduzieren.“ Und Unterziel 14.1 zum Meeresschutz fordert: „Bis 2025 alle Arten der Meeresverschmutzung, insbesondere durch vom Lande ausgehende Tätigkeiten und namentlich Meeresmüll und Nährstoffbelastung, verhüten und erheblich verringern.“
Im Rahmen des jährlichen „High Level Political Forum“ in New York berichten die UN-Mitgliedsstaaten über den Stand ihrer nationalen Umsetzung der SDG. Diese Berichte zeigen bei allen Bemühungen und einzelnen Fortschritten: Es geht viel zu langsam voran. Es gibt zwar weltweit positive Signale im Gesundheits- und Bildungsbereich in Form einer gesunkenen Sterblichkeitsrate und dem wachsenden Zugang zu Primarschulbildung. Doch ansonsten bleibt die Weltgemeinschaft vier Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 bei der Umsetzung der SDG deutlich hinter den selbst gesteckten Ansprüchen zurück.
Dies haben auch die Staats- und Regierungschefs aller Staaten im September 2019 anlässlich des ersten sogenannten SDG-Gipfels nach Verabschiedung der Agenda 2030 feststellen müssen. Auf diesen Gipfeln, die alle vier Jahre stattfinden, werden die SDG-Berichte ausgewertet und diskutiert. Bei allen klar erkennbaren Defiziten ist UN-Generalsekretär Guterres jedoch hoffnungsvoll: Der Gipfel könne das politische Momentum für die Umsetzung stärken und die Ambition und das Tempo der globalen Umsetzung erhöhen: „That is why today … I am issuing a global call for a decade of action to deliver the Sustainable Development Goals by 2030.“
Regelmäßiges Monitoring
Dem Zielkatalog der SDGs stellen die 195 UN-Mitgliedsstaaten mehrere sektorübergreifende Handlungsprinzipien voran. Unter anderem soll sich die Weltgemeinschaft an den Erfordernissen der planetaren Ökosysteme ausrichten – dies ist das Prinzip „planet“ –, einem breiten Wohlstandsbegriff folgen – das Prinzip „prosperity“ – und niemanden von der Umsetzung der Ziele ausschließen – das Prinzip „leave no one behind. Außerdem legt die Agenda einen Monitoring- und Berichterstattungsmechanismus fest, um dem völkerrechtlich nicht bindenden Zielkatalogeine zumindest weiche Bindungskraft – im Fachjargon „soft law“ – zu verleihen, durch eine regelmäßige öffentliche Darstellung und Debatte der Umsetzung der Ziele.
Die Agenda 2030 bildet somit den Rahmen für nachhaltiges Handeln in Form eines anspruchsvollen Zielkatalogs, der sowohl für Entwicklungs- wie für Schwellen – und Industrieländer gilt und die Möglichkeit einer auf quantitative, überwiegend offizielle statistische Daten basierten Überprüfung und gesellschaftlichen Diskussion der Zielerreichung bietet.
Großer Schritt voran
Dies ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber den Vereinbarungen des ersten Weltgipfels zu nachhaltiger Entwicklung in Rio 1992 und den Millenium-Entwicklungszielen aus dem Jahr 2000: Die globale Staatenwelt hat sich 2015 faktisch auf eine Transformation hin zu einer global verantwortlichen, generationengerechten und wirtschaftlich, sozial und ökologisch integrierten Entwicklung in allen Gesellschaften verständigt und dies entlang konkreter Zielvorgaben für 2030.
Für Multilateralismus
Diese „transformative Agenda“ – so der Untertitel der UN-Agenda 2030 – ist in Zeiten, in denen Multilateralismus keine Selbstverständlichkeit mehr ist, ein Paradebeispiel für die Überwindung von Nationalismen. Ihr kommt als gemeinsamer, umfassender und konkreter Orientierungsrahmen eine zentrale Rolle zur Lösung globaler Herausforderungen zu. Jenseits der fachpolitischen Diskussion kann die Agenda als Zukunftsvertrag der Weltgemeinschaft und Bestätigung multilateraler Strukturen gelten, als Definition eines weltumspannenden Begriffs individueller Wohlfahrt und kollektiven Wohlstands, als moderne Formulierung des gesellschaftlichen Gemeinwohls und Fortschritts verstanden werden.
Von daher begründet diese transformative Agenda die normative Grundlage für den notwendigen anstehenden Wandel lokal und global – und damit für alle Arten von politischen, aber auch vielen weiteren Innovationen. Der integrierte Ansatz der Agenda erfordert Politikkohärenz, um Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zielen und Maßnahmen stärker zu berücksichtigen, das heißt „trade-offs“ zu verringern und Synergien zu nutzen.
Das klingt in der Theorie gut. Doch, wie der erste Nachhaltigkeitsgipfel zeigt, ist die Weltgemeinschaft noch weit davon entfernt, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen. Zwei Beispiele:
Von 1970 bis 2017 stieg die weltweite Entnahme und Nutzung natürlicher Ressourcen von 27 auf 92 Mrd. Tonnen und wird bei Beibehaltung der bisherigen Trends 2060 bei 190 Mrd. Tonnen liegen. Die Zerstörung terrestrischer, aquatischer und mariner Ökosysteme schreiten deshalb trotz zunehmender Anstrengungen voran. Das widerspricht den Nachhaltigkeitszielen Leben an Land (SDG 15) und Leben unter Wasser (SDG 14) und ihren Unterzielen wie etwa dem Stopp des Artenverlusts (target 15.5) und der Überfischung (target 14.4).
In vielen UN-Mitgliedsstaaten stellen Stickstoffemissionen in Böden, Luft, Oberflächengewässern, Grundwasserkörpern und Ökosystemen eine hohe Belastung dar, die mit zu hohen Einträgen von Phosphorverbindungen gekoppelt ist. Dies steht den Zielen des Gesundheitsschutzes (SDG 3), der Trinkwasserversorgung (SDG 6), nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen (SDG 12) und wiederum den Zielen 14 und 15 entgegen.
Es sind also weitere Anstrengungen nötig, um der Agenda 2030 gerecht zu werden und die Ergebnisse auf Dauer zu sichern. Neben dem verstärkten Engagement der Staatengemeinschaft ist auch die gesellschaftliche Teilhabe und unternehmerische Verantwortung für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele entscheidend. Das heißt, es braucht Innovationen im wissenschaftlichen, technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich.
Die Bundesregierung hält unter anderem nachhaltige Produktions- und Konsumweisen für einen herausragenden Hebel für die Erreichung fast aller SDG und insbesondere des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen stellen. Wichtig ist hier, vor allem Gestaltung von Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten zu stärken – und dies orientiert an einschlägigen Rahmenwerken der Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO) und der Organisation für die ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Innovationen für Nachhaltigkeit sind also gefragt. Ein Ausblick, der auf den nächsten SDG-Gipfel im Jahr 2023 neugierig macht.
Jörg Mayer-Ries Referatsleiter Nachhaltige Entwicklung, Bürgerbeteiligung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit joerg.mayer-ries@bmu.bund.deBild: BMU