Antarktis: Schmelzwasser und Niederschläge lassen Südlichen Ozean abkühlen
Neue Erkenntnisse von Forschenden der Stanford University werfen ein überraschendes Licht auf die Abkühlung des Südlichen Ozeans in den letzten Jahrzehnten. Entgegen den Vorhersagen globaler Klimamodelle steht dieser Trend in engem Zusammenhang mit der globalen Erwärmung. Schmelzwasser und erhöhte Niederschläge erklären einen Großteil der Diskrepanz zwischen Modellprognosen und tatsächlichen Beobachtungen.

Der Südliche Ozean hat sich abgekühlt - eine nicht erwartete Folge des Klimawandels.
Foto: PantherMedia / mzphoto
Klimamodelle sagten voraus, dass sich der Südliche Ozean erwärmen sollte, doch in Wirklichkeit hat er sich in den vergangenen vier Dekaden überwiegend abgekühlt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stanford University haben nun herausgefunden, dass diese überraschende Entwicklung hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen ist, die in den Modellen bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden: das vermehrte Schmelzwasser der antarktischen Eisdecke und die unterschätzten Niederschlagsmengen in der Region. Die Ergebnisse der Studie, die am 27. März 2025 in Geophysical Research Letters veröffentlicht wurde, liefern neue Erkenntnisse über die komplexen Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Ozeanzirkulation und regionalen Wetterbedingungen.
„Der Trend zur Abkühlung im Südlichen Ozean ist tatsächlich eine Reaktion auf die globale Erwärmung, die das Abschmelzen der Eisdecke und die lokalen Niederschläge beschleunigt“, erklärt Earle Wilson, Assistenzprofessor für Erdsystemwissenschaften an der Stanford Doerr School of Sustainability und Hauptautor der Studie. Durch den erhöhten Eintrag von Süßwasser verringern sich der Salzgehalt und die Dichte der oberen Schicht des Südlichen Ozeans. Das wirkt wie eine Barriere, die verhindert, dass sich kühleres Oberflächenwasser und das wärmere Wasser in tieferen Schichten mischen. Je frischer die Oberflächenschicht ist, desto schwieriger ist es, warmes Wasser nach oben zu bringen, so Wilson weiter.
Küstennahes Süßwasser wirkt auf die Meereisbildung stärker als Niederschlag
Ein überraschendes Ergebnis der Studie war, dass die Oberflächentemperaturen weitaus sensibler auf küstennahe Süßwasserströme reagieren als auf den großflächig verteilten Niederschlag über dem offenen Ozean. „Die Zufuhr von Süßwasser in der Nähe des antarktischen Randes hat einen größeren Einfluss auf die Meereisbildung und den saisonalen Zyklus der Meereisausdehnung, was sich wiederum auf die Meeresoberflächentemperatur auswirkt“, sagt Wilson. Dieses überraschende Ergebnis soll in zukünftigen Arbeiten weiter erforscht werden, da es Konsequenzen für das Verständnis dafür haben könnten, wie sich der Klimawandel auf die polaren Regionen auswirkt.
Um die Auswirkungen des fehlenden Schmelzwassers zu verstehen, analysierten die Forschenden eine Reihe von Simulationen mit gekoppelten Klima- und Ozeanmodellen. Sie untersuchten, wie stark sich die simulierten Meeresoberflächentemperaturen als Reaktion auf die tatsächlichen Süßwassereinträge zwischen 1990 und 2021 veränderten. Die Ergebnisse zeigen, dass das fehlende Süßwasser bis zu 60 Prozent der Diskrepanz zwischen den beobachteten und den vorhergesagten Oberflächentemperaturen des Südlichen Ozeans in diesem Zeitraum erklärt. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass es notwendig ist, die Auswirkungen des Schmelzwassers in zukünftigen Klimamodellen besser zu berücksichtigen, um genauere Vorhersagen treffen zu können.
Abkühlung hat weitreichende Auswirkungen auf globales Klimasystem
Die Ozeane spielen eine wichtige Rolle im globalen Klimasystem. Sie nehmen einen erheblichen Teil des durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Kohlendioxids und der überschüssigen Wärme auf. Der Südliche Ozean hat dabei einen überproportionalen Einfluss auf den Anstieg des Meeresspiegels, die Wärmeaufnahme der Ozeane und die Kohlenstoffbindung. Zudem beeinflussen seine Oberflächentemperaturen die Wetterlagen von El Niño und La Niña, die sich bis nach Kalifornien auf die Niederschlagsmenge auswirken. „Der Südliche Ozean ist einer der Hauptschauplätze dieser Ereignisse“, sagt Zachary Kaufman, Postdoktorand in Erdsystemwissenschaften und Co-Autor der Studie.
Die Studie von Wilson, Kaufman und ihren Kolleginnen und Kollegen könnte dazu beitragen, die globalen Abweichungen zwischen Modellvorhersagen und beobachteter Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Wenn die Trends der Meeresoberflächentemperaturen weltweit weiterhin den Mustern der vergangenen Jahrzehnte folgen, anstatt sich den Simulationen anzunähern, würde das die Erwartungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinsichtlich einiger kurzfristiger Effekte des Klimawandels verändern. Die Ergebnisse unterstreichen, wie bedeutsam es ist, Schmelzwasser und der Niederschläge in Klimamodellen genauer daszustellen, um zuverlässigere Prognosen über die zukünftigen Konsequenzen des Klimawandels auf die Ozeane und das globale Klimasystem zu ermöglichen.
Schmelzende Eisschilde beeinflussen Temperaturen im Südlichen Ozean langfristig
„Wir wissen seit einiger Zeit, dass das Abschmelzen der Eisschilde die Ozeanzirkulation im nächsten Jahrhundert und darüber hinaus beeinflussen wird. Unsere Ergebnisse liefern neue Belege dafür, dass diese Schmelzwasser-Trends bereits die Dynamik der Ozeane und möglicherweise das globale Klima verändern“, sagt Wilson. Die Forschungsarbeit belegt einmal mehr die Dringlichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen und zu verhindern, dass sich seine Effekte immer stärker auf die empfindlichen polaren Regionen und die globale Ozeanzirkulation auswirken.
Die Forschungsarbeit wurde von verschiedenen Institutionen unterstützt, darunter die Stanford University, die NSF-Abteilung für Polarprogramme und die Sonderforschungsinitiative des Australian Research Council zur Sicherung der ökologischen Zukunft der Antarktis. Yuchen Li, ein Bachelor-Student am Fachbereich Physik der Stanford School of Humanities and Sciences, wurde zudem vom Programm „Sustainability, Engineering and Science – Undergraduate Research (SESUR)“ der Stanford Doerr School of Sustainability gefördert.