Auf dem Weg zum unaufhaltsamen Eisverlust der Antarktis
Durch die globale Erderwärmung schmilzt das Eis in der Antarktis besorgniserregend schnell. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass der gegenwärtige Eisverlust zwar noch umkehrbar ist. Doch sie zeigen auch, dass eine Destabilisierung des antarktischen Eisschildes langfristig einen unaufhaltsamen Eisverlust einleiten könnte.
Die Antarktis fasziniert durch ihre Extreme. Temperaturen von bis zu minus 89,2 Grad Celsius (die niedrigste jemals gemessene Temperatur), heftige Schneestürme und lange Trockenperioden formen die kälteste Region der Erde. Fast 99 Prozent der Antarktis sind mit Eis bedeckt, das an einigen Stellen bis zu 5.000 Meter dick ist. Doch genau das ist durch den Klimawandel in Gefahr. Durch die globale Erderwärmungen schreitet die Eisschmelze in der Westantarktis immer schneller voran. Das trägt wiederum zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Würde das Eis der Antarktis vollständig schmelzen, würde der Meeresspiegel um etwa 60 Meter ansteigen.
Um herauszufinden ob nicht bereits ein Kipppunkt überschritten wurde, der zu einem irreversiblen, langfristigen Kollaps des westantarktischen Eisschildes führen könnte, hat nun ein europäisches Forschungsteam die erste systematische Stabilitätsuntersuchung des antarktisches Eisschildes vorgenommen. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftliche Analyse, die darauf abzielt, den gegenwärtigen Zustand, die Dynamik und die Stabilität des antarktischen Eisschildes zu bewerten.
„Die Ergebnisse unserer beiden zusammengehörenden Studien zeigen zweierlei: Im derzeitig beobachteten Rückzug, den wir bei einer Reihe von Gletschern in der Antarktis sehen, finden wir bislang keine Anzeichen für einen irreversiblen, sich selbst verstärkenden Eisverlust, was beruhigend ist. Unsere Berechnungen zeigen aber auch, dass ein unumkehrbarer Rückzug des Eisschildes in der Westantarktis bereits unter aktuellen Klimabedingungen möglich ist.” sagt Ronja Reese vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Northumbria University, Newcastle.
Anstieg des Meeresspiegels durch den Klimawandel: So gelingen bessere Prognosen
Wärmeres Wasser aus der Tiefe beschleunigt Eisverlust
An den Rändern der Eisdecke der Antarktis schwimmt ein Teil des Eises auf dem Meer auf und bildet große Plattformen – das sind Schelfeise beziehungsweise Eisschelfe. Sie wirken wie eine Art natürliche Barriere, die das dahinterliegende Inlandeis zurückhalten. Doch diese Schutzbarriere schmilzt nun langsam und immer mehr Eis aus den Inlandgletschern fließt ins Meer, wodurch sich der Meeresspiegel erhöht. Eine der Hauptursachen für den Eisverlust in der Westantarktis ist relativ warmes Ozeanwasser. Dieses beschleunigt das Schmelzen der Eisschelfe zusätzlich von unten.
Um den derzeitigen Zustand des Eisschildes besser bewerten zu können, haben die Forschenden die Eisschelfe anhand ihrer Aufsetzlinien analysiert. Aufsetzlinien markieren den Übergang von den schwimmenden Eisschelfen zu den festen Eisschilden und Gletschern, die auf dem Festland ruhen. Damit sind sie ein Schlüsselindikator für den Zustand des Eisschildes. Ein beschleunigter Rückzug der Aufsetzlinien könnte auf einen bevorstehenden Zusammenbruch großer mariner Bereiche des westantarktischen Eisschildes hindeuten.
Simulation zeigt potenzielle Entwicklung des Eisschildes
Das Forschungsteam hat mithilfe von Eisschildmodellen nach Anzeichen für einen gegenwärtigen unumkehrbaren Rückzug in den marinen Teilen des antarktischen Eisschildes gesucht. Außerdem führten sie verschiedene Computersimulationen durch, um zu erfahren, wie sich das Eisschild der Antarktis über 10.000 Jahre unter gleichbleibenden Klimabedingungen entwickeln würde. Das erschreckende Ergebnis: Selbst, wenn sich das Klima nicht weiter verändern würde, besteht die Gefahr, dass einige Teile des westantarktischen Eisschildes langfristig kollabieren. Da das Eis jedoch nur langsam auf Veränderungen reagiert, würde ein vollständiger Zusammenbruch erst in Jahrhunderten erfolgen, doch das Risiko besteht.
„Die Krux beim durch die Antarktis verursachten Meeresspiegelanstieg ist, dass die Veränderungen nicht über Nacht eintreten und eine unmittelbare Bedrohung für die weltweiten Küstengebiete darstellen. Vielmehr würde sich der Prozess des Abschmelzens über Hunderte oder Tausende von Jahren hinziehen. Aber unser Handeln heute könnte potenziell in mehreren Jahrtausenden einen globalen Meeresspiegelanstieg von einigen Metern verursachen. Und eine stärkere Erwärmung in der Zukunft würde diesen Prozess sogar noch beschleunigen“, betont Julius Garbe vom PIK.
Klimaschutzmaßnehmen als einzige Chance für antarktisches Eis
Nach den vorliegenden Ergebnissen der systematischen Stabilitätsprüfung der Westantarktis lautet die gute Nachricht, dass der gegenwärtig beobachtete Eisverlust noch umkehrbar ist. Die schlechte Nachricht besteht dagegen darin, dass die Destabilisierung des Eisschildes langfristig zu einem unaufhaltsamen Eisverlust führen kann.
„Bereits die heute gemessene Erderwärmung könnte ausreichen, um die Entwicklung hier vollständig aus dem Gleichgewicht zu bringen, das ist besorgniserregend. Da die Westantarktis jedoch noch nicht destabilisiert ist, besteht noch die Chance, das Risiko durch ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen zumindest teilweise zu mindern“, sagt Ricarda Winkelmann vom PIK.
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