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Umweltkatastrophe an der Oder 2022 09.09.2024, 07:00 Uhr

Ergebnisse zeigen: Mikroschadstoffe verstärken Fischsterben

Im Sommer 2022 gingen Bilder des flächendeckenden Fischsterbens in der Oder durch die Medien. Ein internationales Forschungsteam hat nun die Ergebnisse der Proben veröffentlicht. Das Team zeigt die Komplexität solcher ökologischen Katastrophen und geht davon aus, dass sie durch den Klimawandel zunehmen könnten.

Darstellung der fünf Standorte, an denen die Forschenden nach der Umweltkatastrophe im Sommer 2022 an der Oder Wasserproben und tote Fische entnahmen.

An fünf Standorten entlang der Oder entnahmen die Forschenden Wasserproben und vergiftete Fische. Ihr Ziel: Die Wirkung von Mikroschafstoffen analysieren.

Foto: Annika Jahnke / UFZ

Im Sommer 2022 trieben unzählige tote Fische, Muscheln und Schnecken auf der Oder. Alles deutete auf eine Umweltkatastrophe hin. Die Ursache stand schnell fest: Eine toxische Kombination aus erhöhtem Salzgehalt, hohen Wassertemperaturen, niedrigem Wasserstand und übermäßigen Nährstoffeinträgen förderte das Wachstum der Brackwasseralge Prymnesium parvum. Diese Alge wiederum produzierte das tödliche Toxin Prymnesi.

Erwärmung und Nährstoffüberschuss bedrohen unsere Flüsse und Seen

Spontan fand sich ein internationales Forscherteam, koordiniert vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), zusammen und sammelte sofort Wasserproben. Es folgten unzählige Tests und Analyse. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie nun in der Fachzeitschrift Nature Water. Interessant an dem Ergebnis ist, dass sie noch einen Auslöser fanden: Sobald die Konzentration organischer Mikroschadstoffe extrem steigt, verstärkt sich die letale Auswirkung des Prymnesins erheblich. Die Umweltkatastrophe dezimierte die aquatische Fauna der Oder erheblich – bis zu 60 Prozent der Fische und sogar 85 Prozent der Muscheln und Schnecken verendeten.

Ursachenforschung nach Fischsterben in der Oder 2022

Zu dem internationalen Forscherteam gehörten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der University of Birmingham. An fünf Standorten entlang der Oder entnahmen sie Wasserproben und untersuchten vergiftete Fische. „Ziel der Studie war es herauszufinden, welche Mikroschadstoffe in der Oder sind, wie sich diese auf aquatische Organismen im Fluss auswirken und welche Bedrohung der Cocktail von Algentoxinen und Mikroschadstoffen auf den Menschen haben könnte“, erläutert Beate Escher, leitende Umwelttoxikologin am UFZ.

Das Team ermittelte mehr als 120 organische Mikroschadstoffe in den Wasserproben. Besonders hohe Konzentrationen wiesen das Flammschutzmittel Tris(1-chlor-2-propyl)phosphat, der Polymerzusatzstoff Hexamethoxymethylmelamin und das Korrosionsschutzmittel 1H-Benzotriazol auf. Die Forschenden vermuten, dass die meisten Schadstoffe aus Kläranlagen stammen, jedoch in relativ geringen Mengen. Zusätzlich entdeckten sie Industriechemikalien wie 2,4-Dichlorphenol und Pestizide wie Chlortoluron, die wahrscheinlich direkt von landwirtschaftlichen Flächen in den Fluss gelangten. „Die Konzentrationen dieser Chemikalien sind nicht ungewöhnlich hoch, sondern typisch für europäischer Flüsse. Sie haben nicht zum Fischsterben geführt, jedoch können sie zusammen mit den Algentoxinen zu zusätzlichem Stress von aquatischen Organismen führen“, sagt Escher.

Organische Einflüsse begünstigten das Fischsterben in der Oder 2022

Um das Risiko der nachgewiesenen Schadstoffe für Wasserorganismen zu quantifizieren, nutzten die Forschenden den Risikoquotienten RQ. Dieser Wert setzt die gemessene Schadstoffkonzentration ins Verhältnis zu seiner unschädlichen Konzentration (PNEC). Ein RQ über 1 signalisiert eine potenzielle Gefährdung für Wasserlebewesen. Das Team addierte die RQs der identifizierten Chemikalien und ermittelte an den Probenahmestellen Mischungs-Risikoquotienten (RQmix) zwischen 16 und 22.

Damit war für das Team klar, dass ein erhebliches Risiko für aquatische Organismen durch die Schadstoffbelastung entstanden ist. Einbezogen in das Modell wurden 30 organische Mikroschadstoffe. Allerdings vermuten die Forschenden tausende Chemikalien im Fluss. Laborexperimente mit Algen, Wasserflöhen und Zebrafischembryonen bestätigten die schädlichen Auswirkungen der extrahierten Chemikaliencocktails.

Fischsterben in der Oder 2022: Warnsignal für die Umwelt

Die Forschenden untersuchten das Zusammenspiel der Schadstoffe und Prymnesine anhand neurotoxischer Wirkungen auch auf menschliche Nervenzellen in vitro. „Dieser in der Bioanalytik und Wasserqualitätsbewertung gängige Test zielt nicht darauf ab, das Risiko für die menschliche Gesundheit abzuschätzen, sondern die Mischungseffekte neurotoxischer Chemikalien zu identifizieren“, sagt Escher. Forschende der VetMedUni Wien stellten einen Algentoxin-Standard bereit, der den in der Oder gefundenen Prymnesinen ähnelt. Die Tests erfolgten am UFZ mittels automatisiertem Hochdurchsatzscreening in der CITEPro-Plattform, da mit dieser Methode eine direkte Untersuchung des Prymnesin-Standards, weiterer Mikroverunreinigungen und der Wasserextrakte möglich ist.

Die Ergebnisse zeigten, dass Prymnesine bereits in nanomolaren Konzentrationen die Nervenzellauswüchse verkürzten und die Zellen abtöteten. Parallel analysierten die Forschenden zahlreiche in den Wasserextrakten quantifizierte organische Mikroschadstoffe. Viele Substanzen zeigten neurotoxische Wirkungen, allerdings erst in höheren Dosen. Den Forschenden gelang es nachzuweisen, dass Prymnesine den Hauptanteil der neurotoxischen Wirkung ausmachen. Allerdings trugen auch die analysierten dazu bei. Insgesamt könnten die Auswirkungen der Schadstoffbelastung auf aquatische Organismen in Flüssen wie der Oder noch gravierender sein. „Die Prymnesine dominieren die Cocktaileffekte, die durch Mikroschadstoffe verstärkt werden. Dies belastet das ohnehin gestresste Ökosystem der Oder zusätzlich“, sagt Escher. Die Kombination aus wärmeren Temperaturen, besonderen Wetterereignissen – zum Beispiel aufgrund des Klimawandels – könnte die Gefahr einer gefährliche Algenblüte für Binnen- und Meeresgewässer, aber auch für Menschen zusätzlich erhöhen.

Von Nina Draese