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Inspiriert von der Natur 26.08.2024, 07:00 Uhr

Nachhaltiger Küstenschutz: Strom macht aus Sand natürlichen Zement

Forschende der Northwestern University haben eine innovative Methode entwickelt, um Küstenerosion zu bekämpfen. Dank eines schwachen Stromimpulses wandeln sich in Meerwasser gelöste Mineralien in Sandkörnern zu einer Art natürlichem Zement um. Das könnte eine günstige und nachhaltige Lösung für Küstenregionen sein.

Eine künstlerische Darstellung, wie Elektrizität zur Stärkung der Küsten genutzt werden könnte.

So stellen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Ergebnis ihrer Forschung vor.

Foto: Northwestern Universität

Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt in der Nähe von Küsten. Der Klimawandel wirkt sich auch auf diese Gebiete aus: Ein steigender Meeresspiegel und daraus resultierende zunehmend Erosionen können Siedlungen in Küstenregionen in Gefahr bringen. Der Küstenschutz gewinnt also zunehmend an Bedeutung. Forschende der Northwestern University, Illinois, haben dafür eine neue Lösung entwickelt. Das Team ließ sich von der Natur inspirieren und ahmte den Prozess nach, mit dem Meerestiere ihre Schalen aus im Wasser gelösten Mineralien aufbauen. Statt des Stoffwechsels der Tiere nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler elektrische Energie, um eine ähnliche chemische Reaktion zwischen Sandkörnern auszulösen.

Künstliches Riff mit ganz neuer Form als Wellenbrecher und Küstenschutz

In Laborversuchen gelang es den Forschenden, mit schwachem Strom die Struktur von Meeressand so zu verändern, dass daraus felsartiges Material entstand. Diese Methode könnte sich als langfristige, kostengünstige und nachhaltige Lösung für den Küstenschutz weltweit erweisen. Denn auf diese Art und Weise könnte es gelingen, einen natürlichen Zement herzustellen. „Mein Ziel war es, einen Ansatz zu entwickeln, der den Status quo im Küstenschutz verändern kann – einen Ansatz, der ohne den Bau von Schutzstrukturen funktioniert und Meeresböden ohne echten Zement verfestigt“, erklärt Alessandro Rotta Loria, Assistenz-Professor für Bau- und Umweltingenieurwesen an der McCormick School of Engineering der Northwestern University. Das Team ist sich sicher, durch die Anwendung einer leichten elektrischen Stimulation auf Meeresböden den Beweis erbracht zu haben, dass ein natürlicher Zement die Lösung sein könnte.

Neuer Ansatz für Küstenschutz betrachtet alle Komponenten

Herkömmliche Methoden zum Schutz von Küsten weisen erhebliche Nachteile auf. Schutzwälle zu bauen oder Zement in den Boden einzubringen sind Verfahren, die nicht nur kostspielig, sondern oft auch wenig nachhaltig sind. Darüber hinaus sind sich die Forschenden sicher, dass es auch deshalb eine andere Herangehensweise braucht, weil man die Küste ganzheitlich betrachten muss und auch alle Komponenten berücksichtigen sollte. Denn Küsten bestehen zwar aus Felsen. Diese stehen allerdings in der Regel auf Sand. „Auch Meeresmauern leiden unter Erosion. Mit der Zeit erodiert der Sand unter diesen Mauern, und die Mauern können schließlich einstürzen“, erläutert Rotta Loria.

Die neue Technologie umgeht diese Probleme, indem sie die natürlich im Meerwasser vorhandenen Mineralien nutzt. Durch das Anlegen einer geringen elektrischen Spannung werden chemische Reaktionen ausgelöst, die diese Mineralien in feste Verbindungen umwandeln. Das Ergebnis: Die Mineralien wirken wie ein Klebstoff zwischen den Sandpartikeln und verfestigen den Untergrund. Das Verfahren funktioniert mit verschiedenen Sandarten und erzeugt ein steinähnliches Material, das deutlich widerstandsfähiger ist als loser Sand. „Nach der Behandlung sieht der Sand wie ein Felsen aus“, sagt Rotta Loria. Die Forschenden sind zuversichtlich, dass diese Methode langfristig wirkt und Küsten über Jahrzehnte schützen kann.

Umweltfreundlicher Küstenschutz zeigt viel Potenzial

Ein weiterer Vorteil der neuen Methode liegt auch darin, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt hat. Die verwendeten elektrischen Spannungen seien nach Angaben der Forschenden so gering, dass sie keine negativen Auswirkungen auf Pflanzen und Lebewesen im Meer aufweisen. Ähnliche Verfahren wurden bereits erfolgreich zur Verstärkung von Unterwasserstrukturen und zur Wiederherstellung von Korallenriffen eingesetzt, ohne dass Meerestiere Schaden nahmen. Ein weiterer Vorteil der Methode ist ihre Reversibilität. Sollte der verfestigte Sand nicht mehr benötigt werden, ließe sich durch einen Tausch von Anoden- und Kathodenelektroden der Batterie der Prozess wieder rückgängig machen. „Die Mineralien bilden sich, weil wir den pH-Wert des Meereswassers an den Kathodengrenzflächen lokal erhöhen“, erklärt Rotta Loria. „Vertauscht man die Anode mit der Kathode, kommt es zu lokalen pH-Absenkungen, die die zuvor ausgefällten Mineralien auflösen.“

Die Kosten für dieses neuartige Küstenschutzverfahren liegen deutlich unter denen herkömmlicher Methoden. Das Forscherteam schätzt sie auf drei bis sechs Dollar pro Kubikmeter behandelten Bodens, während vergleichbare Techniken bis zu 70 Dollar kosten können. Neben dem Schutz von Stränden bietet die Methode zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten im Küstenschutz. Sie könnte zur Verstärkung von Sanddünen, zur Sicherung instabiler Böschungen und zur Reparatur beschädigter Betonstrukturen eingesetzt werden. Die Forschenden betonen, dass ihre Methode vielfältig einsetzbar sei: Es ließen sich damit der Meeresboden unterhalb von Mauern verstärken, Sanddünen stabilisieren und instabile Böschungen sichern. Auch Verstärkung von Schutzbauten, Meeresfundamenten und vielen anderen Dingen sei denkbar. Als nächsten Schritt plant das Forscherteam, die Technik unter realen Bedingungen am Strand zu erproben.

Von Nina Draese