Schutz vor Hochwasser per Algorithmus: Welche Rolle spielen Sedimente?
Flüsse wirbeln Sedimente auf und lagern sie wieder ab; das Überschwemmungsrisiko steigt. Eine neue Formel hilft, die Eigenschaften unterschiedlicher Gesteine im Flussbett zu modellieren.
Wenn sich ein Fluss durch die Landschaft schlängelt, kann er im Laufe der Zeit ganze Wagenladungen an Sediment bewegen. Wissen Ingenieurinnen und Ingenieure, wie schnell oder langsam sich dieses Sediment bewegt, können sie beispielsweise Auswirkungen der Sanierung eines Flusses oder der Entfernung eines Staudamms flussabwärts besser planen. Ihr Ziel ist, Gebiete zu renaturieren oder Landschaften zu erhalten – ohne Hochwasserrisiken für die Bevölkerung.
Doch bislang verfügbare Modelle zur Abschätzung der Verfrachtung von Sedimenten sind nicht ohne Schwächen. Jetzt haben US-amerikanische Forscherinnen und Forscher eine bessere Formel entwickelt, um zu berechnen, wie viel Sediment Wasser über ein körniges Bett schieben kann. Der Schlüssel zur präziseren Modellierung liegt in der Form der Sedimentkörner.
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Große Fehler bei der Modellierung des Geschiebetransports
Zum Hintergrund: Unter Geschiebetransport verstehen Ingenieurinnen und Ingenieure den Prozess, bei dem eine Flüssigkeit wie Luft oder Wasser Körner über ein Sedimentbett bewegt. Felsen wandern einen Fluss hinunter und Sandkörner bewegen sich durch eine Wüste.
Ein glatter, runder Stein sollte zwar schneller durch ein Flussbett wandern als ein kantiger Kieselstein. Aber das fließende Wasser drückt stärker auf den kantigen Kiesel, was den Vorteil des runden Steins zunichte machen könnte. Welcher Effekt ist relevanter? Verfügbare Modelle für den Sedimenttransport liefern keine Antwort, vor allem weil das Problem der Messung der Kornform zu unhandlich ist: Wie kann man die Konturen eines Kiesels quantifizieren?
Zwar existiert seit den 1930er-Jahren eine Formel als Standardmodell für die Berechnung des Geschiebetransports. Sie basiert auf einer Größe, die als Shields-Parameter bekannt ist. Albert Frank Shields (1908 bis 1974), ein US-amerikanischer Maschinenbauingenieur, hat das Konzept entwickelt. Er stellte erstmals eine Beziehung zwischen der Kraft einer Flüssigkeit, die auf ein Sedimentbett drückt, und der Geschwindigkeit, mit der sich das Sediment bewegt, her. Shields bezog bestimmte Variablen in diese Formel ein, darunter die durchschnittliche Größe und Dichte der Sedimentkörner, nicht aber ihre Form. Das Modell kann in seinen Vorhersagen zum Sedimentfluss um den Faktor zehn danebenliegen.
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Unterschiedliche Konturen des Sediments beeinflussen die Bewegung
Ein neuer Ansatz führte zu einer besseren Formel, um den Geschiebetransport zu modellieren. Der Shields-Parameter lässt sich so modifizieren, dass er nicht nur die Größe und die Dichte, sondern auch die Kornform berücksichtigt.
Am Computer schien sich die Idee zu bewähren. Aber wie ist die Sachlage unter realen Bedingungen? Um diese Frage zu beantworten, führten Forschende eine Reihe von Experimenten durch. Sie pumpten einen Wasserstrom durch ein geneigtes Becken, dessen Boden mit Sediment bedeckt war. Zum Einsatz kamen unter anderem runde Glasperlen, glatte Glassplitter und natürlich vorkommender Kies. Erfasst wurde die Menge an Sediment, die in einer bestimmten Zeit durch die Versuchsanordnung transportiert wurde.
Anschließend bestimmten die Forschenden die Auswirkungen der Kornform unterschiedlicher Sedimente. Für den Widerstand ließen sie Körner durch einen Wassertank fallen und erfassten die Zeit, die Partikel jeder Sedimentart benötigten, um den Boden zu erreichen. Ein flacherer Körnertyp braucht im Durchschnitt länger und hat daher einen größeren Widerstand als ein runder Körnertyp derselben Größe und Dichte. Um die Reibung zu messen, schüttete das Team Körner durch einen Trichter auf eine kreisförmige Schale und erfasste den Winkel oder die Neigung des entstandenen Haufens: ein Hinweis auf die Reibung der Körner bzw. ihre Fähigkeit, sich gegenseitig im Fluss zu behindern.
Für jeden Sedimenttyp setzten sie dann den Widerstand und die Reibung der entsprechenden Form in die neue Formel ein und stellten fest, dass sie tatsächlich den Geschiebetransport oder die Menge des sich bewegenden Sediments präzise vorhersagen konnte, gemessen an den experimentell erhobenen Daten.
Besserer Schutz vor Hochwasser
In Zukunft können Ingenieurinnen und Ingenieure das neue Modell nutzen, um besser abzuschätzen, wie ein Flussbett auf Szenarien wie plötzliche Überschwemmungen aufgrund von Unwettern oder auf die Beseitigung eines Staudamms reagieren wird. Darin sehen die US-Forschenden eine wirkungsvolle Maßnahme gegen Hochwasser.
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