Simulation soll Vorhersagen zu Überschwemmungen verbessern
Überschwemmungen und Sturmfluten werden in Zukunft keine Seltenheit sein. Um das Vordringen von Wassermassen künftig besser vorhersagen zu können und damit Küstenregionen sicherer zu gestalten, arbeiten Forschende an einem neuartigen Simulationswerkzeug. Dieses könnte schon bald genaue Prognosen ermöglichen.
Die Flut im Ahrtal 2021 zählt zu den verheerendsten Naturkatastrophen in Deutschland. Starke und langanhaltende Regenfälle führten zu einem raschen Anstieg der Ahr und überschwemmten schließlich den gesamten Ahrkreis. Das Wasser riss Häuser und Straßen fort, unterspülte Gleise und verursachte Schäden in Milliardenhöhe. Ähnlich verheerende Überschwemmungen trafen auch Indien im Jahr 2020, als der Monsunregen massive Schäden an Gebäuden, Straßen und landwirtschaftlichen Flächen anrichtete. Im selben Jahr wurde auch China von schweren Überschwemmungen entlang des Jangtsekiang-Flusses und seiner Nebenflüsse heimgesucht. Und am Horn von Afrika zwangen 2023 starke Regenfälle und Sturzfluten fast 800.000 Menschen zur Flucht aus der Region. Klimaforscher rechnen damit, dass sich Flutkatastrophen im Zuge des Klimawandels weltweit häufen werden. Eine neue Studie der University of Alabama besagt sogar, dass extreme Hochwasserereignisse, die bisher nur etwa alle hundert Jahre vorkommen, ab 2050 alle neun bis 15 Jahre auftreten könnten.
Die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Überschwemmungen weltweit verstärkt die Dringlichkeit, effektive Schutzmaßnahmen zu entwickeln, um vor allem Menschen in Küstenregionen frühzeitig vor drohenden Flutkatastrophen warnen zu können. Eine Forschungsgruppe der Technischen Universität Braunschweig arbeitet derzeit an einem Simulationstool, um besser vorhersagen zu können, wie weit das Wasser bei vorherrschender Bebauung ins Landesinnere vordringt.
Einsturzprozess von Gebäuden verstehen
Starke Regenfälle und übertretende Flüsse stellen eine große Gefahr für Gebäude und die darin lebenden Menschen dar. Um Küstenregionen besser vor solchen Extremwettereignissen zu schützen, sei es wichtig, das Eindringen von Wassermassen sowie den Einsturzprozess von Gebäuden besser zu verstehen, so die Forschenden. „Bei Extremereignissen wie einem Tsunami müssen auch die kollabierenden Gebäude und damit die Trümmer berücksichtigt werden, um genauere Vorhersagen darüber treffen zu können, wie weit sich das Wasser ausbreitet, zu welchem Zeitpunkt es wie hochsteigt und welche Evakuierungsmaßnahmen erforderlich sind“, sagt Nils Goseberg, Professor an der TU Braunschweig. Das Problem besteht darin, dass bisher weder Simulationen noch Experimente das Einstürzen von Bauwerken angemessen erfassen können. Bisherige Studien haben sich hauptsächlich auf die Wechselwirkung zwischen Strömung und Bauwerken konzentriert, wobei angenommen wurde, dass die Bauwerke intakt bleiben und feste Körper sind.
Simulation zeigt Wechselwirkung zwischen Wasser und einstürzenden Gebäuden
Das „AngryWaters“-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, den dynamischen Einsturzprozess von Gebäuden während Flutereignissen zu modellieren, um die Wechselwirkung zwischen Wasser und einstürzenden Strukturen genauer analysieren zu können. Für die Simulation werden die Forschenden den Großen Wellenkanal (GWK) in Braunschweig und am Forschungszentrum Küste (FZK) in Hannover nutzen. Um auch Dammbruchströmungen simulieren zu können, soll der GWK in Hannover bis Ende 2024 mit einer sogenannten Dammbruchklappe ausgestattet werden. Auf diese Weise können die Forschenden Wasser bis zu drei Meter hoch stauen und es mithilfe eines Schwingmechanismus schwallartig rauslassen. „Die Größenordnungen sind mit denen in der Natur vergleichbar“, sagt Goseberg. „Acht Meter Strömungsgeschwindigkeit pro Sekunde, fast eineinhalb Meter Fließtiefe auf der Landseite.“
Diesen Prozess werden die Forschenden zunächst mit einzelnen Gebäudeteilen testen und später auf ganze Gebäude ausweiten. Um die Simulation entsprechend anpassen zu können, planen sie die Experimente in Braunschweig mit einer kleineren Dammbruchklappe durchzuführen. „So können wir in Hannover die größeren Längenskalen untersuchen und in Braunschweig die kleineren – wir sprechen hier von den Maßstäben 1:10 und 1:15“, erklärt Goseberg.
Simulation ermöglicht die Entwicklung eines Prognose-Tools
Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse wollen die Forschenden der TU Braunschweig ein Prognose-Tool entwickeln, das Aufschluss darüber gibt, wie weit und wie schnell das Wasser bei der existierenden Bebauung vordringt. Damit bildet das „AngryWaters“-Projekt eine wichtige Basis für weitere Forschungsprojekte wie die im Januar gestartete Forschungsmission „mareXtreme“, die untersucht, wie das Risikomanagement bei marinen Naturgefahren und Extremweeignissen optimiert werden kann.
„Diese Projekte sind wichtig für Niedersachsen, für Norddeutschland, aber auch weltweit. Das Thema der Extremgefahren an Küsten wird wegen der Dynamik durch den Klimawandel deutlich an Relevanz gewinnen und durch die starke Beteiligung an mareXtreme und dem ERC-Projekt sind wir in Niedersachsen sehr präsent und direkt am Puls dessen, was getan werden muss“, sagt Goseberg.