Ethernet-Switch erfüllt Echtzeitanforderungen
Digitalisierung bedeutet unter anderem, eine garantierte Echtzeitkommunikation in Ethernet-Netzwerken sicher zu stellen. Mit den Standards des „Time Sensitive Networking“ lässt sich diese Anforderung erfüllen.
Der Trend zur Digitalisierung führt zu wachsenden Kommunikationsanforderungen in der OT (Operational Technology)-Ebene. Gleichzeitig soll die OT optimal und durchgängig in die Unternehmens-IT (Informationstechnik) integriert werden. Zu den neuen Ansprüchen gehört, dass viele parallele Dienste, die sich nicht gegenseitig störend beeinflussen dürfen, zuverlässig und robust zur Verfügung stehen müssen.
Was sind die Anforderungen?
Beispielsweise sollen smarte Sensoren zum einen ihre Istwerte – wie Position oder Drehzahl – in Echtzeit an die lokale Steuerung übermitteln, die sie für eine hochdynamische Regelung verwendet. Auf der anderen Seite sind die detaillierten Sensor-Rohdaten an überlagerte IT-Systeme oder eine Cloud zu übertragen, um sie dort zu analysieren und dann für eine Prozessoptimierung oder vorausschauende Wartung zu nutzen. Der Servicemitarbeiter muss im laufenden Betrieb per Fernwartung auf intelligente Feldgeräte zugreifen und das arbeitende Werkzeug oder Werkstück parallel über hochauflösende Kamerabilder visuell inspizieren können.
In Summe bedeutet das für das Netzwerk höhere Bandbreitenanforderungen. Darüber hinaus ist zwingend sicherzustellen, dass die verschiedenen Dienste entsprechend ihrer Echtzeitanforderungen bedient werden. Hierbei kommt den „Time Sensitive Networking“ (TSN)-Standards in der IEEE 802.1 sowie dem darauf aufsetzenden Industrial-Automation-Profil IEC 60802 eine Schlüsselrolle zu: Sie ermöglichen die Koexistenz von echtzeitkritischem Datenaustausch und Standard-IT-Kommunikation in einem konvergenten Netzwerk. Phoenix Contact bietet daher den ersten Ethernet-Switch für TSN an.
Wesentliche Komponente für eine Migrationsstrategie
Industrielle Anwender stehen allerdings vor der Herausforderung, dass die aktuellen Automatisierungsstandards über Jahre gewachsene Strukturen beinhalten sowie eine Vielzahl unterschiedlicher Geräte zum Einsatz kommen. Bewährte Feldgeräte, die TSN derzeit noch nicht unterstützen, sollen weiterhin genutzt werden können. Deshalb sind geeignete Migrationskonzepte gefragt, die durch die Wiederverwendung etablierter Hardware sowie langjährig entwickelter Software für Investitionsschutz sorgen. Außerdem ist der Einstieg in die TSN-Technologie wünschenswert, um von den daraus resultierenden Anwendervorteilen zu profitieren. Als wesentliche Komponenten für eine Migrationsstrategie hin zu einem TSN-Netzwerk fungieren die passenden industriellen Switches.
Mit den neuen „FL Switch TSN 2300“ von Phoenix Contact sind nun erstmals Ethernet-Switches für Time Sensitive Networking (TSN) erhältlich, die solche Migrationskonzepte für Profinet und TSN erlauben. Profinet über Time Sensitive Networking steht mit der Spezifikation 2.4 zur Verfügung. Der grundlegende Ansatz besteht darin, auf der Schicht 2 neben Profinet RT und IRT mit TSN eine weitere Option anzubieten, die höhere Bandbreiten, Deterministik sowie flexible Netzwerkkonfigurationen zulässt. Da die überlagerten Anwenderschnittstellen auch bei Profinet über TSN unverändert vorhanden sind, lassen sich I/O-Daten, Diagnose und Parametrierung in bewährter Weise nutzen. Das eröffnet optimale Migrationswege sowohl für den Gerätehersteller ebenso wie für die Anwender.
Präzise Zeitsynchronisation gemäß IEEE 802.1AS
Um den steigenden Kommunikationsanforderungen gerecht zu werden, umfassen die FL Switch TSN 2300 sechzehn Ports in Gigabit-Performance, die alle TSN-fähig sind. Für den Betrieb von Profinet über TSN stellen die Switches eine präzise Zeitsynchronisation gemäß IEEE 802.1AS, Frame Preemption sowie ein Stream Management über Profinet bereit. Aufgrund der Zeitsynchronisation IEEE 802.1AS arbeiten sämtliche angeschlossenen Komponenten im Netzwerk auf der gleichen hochgenauen Zeitbasis, welche zeitsynchrone Applikationen erlaubt sowie die Basis für die weiteren TSN-Mechanismen darstellt.
Durch eine strikte Priorisierung und Frame Preemption sorgen die Switches in jedem Fall für die Übertragung der zeitkritischen Daten in Echtzeit – bei Profinet über die sogenannten Realtime Streams. Sind kritische Echtzeitdaten zu einem exakten Zeitpunkt weiterzuleiten und ist der Ausgangsport des Switches noch wegen des Aussendens eines niederprioren Frames belegt, wird diese Kommunikation einfach unterbrochen und erst anschließend fortgeführt. Auf der Empfangsseite, also dem benachbarten Switch, folgt dann das Zusammensetzen und Übertragen des unterbrochenen Frames. Weil der Frame-Preemption-Mechanismus automatisch von den beiden beteiligten Switches realisiert wird, ist keine zusätzliche Konfiguration notwendig. Ferner lässt sich die Bandbreite dieser Backbone-Verbindung (Switch-Switch) optimal nutzen, da keine zeitliche Reservierung von Bandbreite stattfinden muss.
Parallele Nutzung von Profinet-RT-Anwendungen
Zudem beinhalten die neuen TSN-Switches das gleiche umfangreiche Feature-Set, das von den anderen Managed Switches von Phoenix Contact bekannt ist. So können die TSN-Switches ebenfalls in klassischen Applikationen universell eingesetzt werden. In der Profinet-Ausprägung unterstützen die Geräte, abgesehen von TSN, alle für die Conformance Class B definierten Funktionen. Auf diese Weise lässt sich eine bestehende Profinet-RT-Anwendung parallel von den Switches bedienen und in das TSN-Netzwerk integrieren. Somit sind Mischtopologien umsetzbar, die Bestandsgeräte oder Geräteklassen ohne hohe Echtzeitanforderungen unverändert anbinden. Der Maschinenbauer kann folglich die Echtzeiteigenschaften von TSN beispielsweise für hochdynamische Regelkreise nutzen, während andere Bereiche klassisch angekoppelt werden. Und der Anlagenbetreiber migriert seine gewachsene Netzwerkstruktur sukzessive zu einem konvergenten TSN-Netzwerk.
Die industriellen TSN-Switches bieten jedoch bereits in Applikationen Vorteile, in denen ausschließlich etablierte Protokolle verwendet werden. Anhand der Priorisierung können klassische Switches die eingehenden Frames in entsprechende Ausgangs-Queues ordnen und prioritätsgesteuert abarbeiten. Die Grenzen der TSN-Technologie liegen in einem potenziell belegten Ausgangsport, der gerade einen unter Umständen größeren Ethernet-Datenrahmen ausgibt. Eine hochpriore Übertragung lässt sich in diesem Fall nur verzögert weiterleiten. Inwieweit dies tolerabel ist, hängt von der Häufigkeit, Netzwerkauslastung sowie maximalen Paketlänge ab. Als kritisch erweisen sich insbesondere Anwendungen, in denen oftmals große Pakete weitergeleitet werden – zum Beispiel die Übertragung von Kamerarohdaten über bis zu 10.000 Byte lange „Jumbo Frames“. Dieses Szenario lässt sich mit der TSN-Funktion Frame Preemption lösen: Beide Applikationen, für die bislang zwei getrennte Netzwerke zu installieren sind, werden nun parallel in einem Netzwerk betrieben.
Einfache Konfiguration der TSN-Netzwerkparameter
In TSN-Netzwerken erfolgt die echtzeitkritische Kommunikation über die sogenannten Realtime Streams. Je nach Echtzeitanforderung und Priorisierung des jeweiligen Datenpakets sind ihnen bestimmte Quality-of-Service-Eigenschaften (Bandbreite, Latenz, etc.) zugeordnet. Streams arbeiten unidirektional vom Talker zum Listener, weshalb zwischen dem Controller und den Devices Streams für beide Richtungen etabliert werden. Diese sind vor dem Einsatz im Netzwerk und in den Switches zu reservieren, damit sich die verfügbare Bandbreite in Relation zu anderen Streams prüfen lässt.
TSN-Netzwerke benötigen daher in jedem Fall eine Konfiguration. Die einfache Einstellung der erforderlichen TSN-Netzwerkparameter zeigt sich dabei als ausschlaggebend für die Akzeptanz beim Anwender. Zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der TSN-Konfiguration wurde das Konzept einer „Network Management Engine“ (NME) umgesetzt. Diese Funktion wird in der Regel im Profinet-Controller angesiedelt, lässt sich aber auch hiervon losgelöst realisieren.
Der Umgang mit den bekannten Engineering-Tools bleibt gleich. Die Planung erleichtert sich allerdings erheblich, weil die Erstellung einer Netzwerkkonfiguration in TSN nicht offline im Engineering stattfindet, sondern zur Laufzeit der NME, indem die Einstellungen beispielsweise als Bestandteil der Runtime-Funktion der Steuerung vorgenommen werden. Die Network Management Engine liest die Topologie des Netzwerks zur Laufzeit ein, berechnet die Realtime Streams sowie deren Pfade und konfiguriert die Switches im Netzwerk entsprechend. Ändert sich die Topologie durch neu hinzugekommene oder umgesteckte Geräte, passt die NME die Stream-Einstellungen zur Laufzeit analog an. Der Anwender erhält eine benutzerfreundliche TSN-Konfiguration via Profinet 2.4-Engineering. Die Einstellung von isochromem Datenverkehr gelingt damit so einfach wie beim klassischen Profinet RT.
Ausblick auf weitere Entwicklungen
Als Ergebnis der laufenden Standardisierungs-Aktivitäten des Industrial Automation Profile IEC/IEEE 60802 wird das konvergente TSN-Netzwerk neben Profinet über TSN von weiteren industriellen Anwendungen genutzt werden können. Die FL Switch TSN 2300 unterstützen Hardware-seitig alle erforderlichen TSN-Mechanismen dieses Industrial Automation Profiles. Deshalb ist auf Basis einer erweiterten Konfiguration zukünftig die konvergente Verwendung mit OPC UA und weiteren Protokollen gegeben (Bild 6). Weitere Informationen sind unter https://phoe.co/TSN-switch abrufbar.
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Uwe Nolte, Dipl.-Ing., ist Manager Produktmarketing Netzwerktechnik bei der Phoenix Contact Electronics GmbH in Bad Pyrmont. Foto: Phoenix Contact