Robotik in der Brauerei ist keine Wissenschaft
Eine Privatbrauerei im Erzgebirge verbindet eine jahrhundertealte Brautradition mit dem Mut zu einer innovativen Bier-Wertschöpfungskette. Zu der konsequenten Automatisierung leisten Industrieroboter einen wichtigen Beitrag.
Klein, aber fein – so lautet die Devise der Privatbrauerei Christian Fiedler aus dem sächsischen Dorf Oberscheibe. Mit 18 Mitarbeitern produziert das Familienunternehmen sehr erfolgreich Premium-Biere nach guter alter deutscher Braukunst. Ein Industrieroboter macht dabei die Arbeit für alle Beteiligten inzwischen deutlich leichter.
Traditionelle Handwerkskunst in Symbiose mit höchster Qualität
„Spruch der Woche“ steht über der in eine Klarsichtfolie gepackten Weisheit, die an der Zufahrt zur Privatbrauerei Christian Fiedler angebracht ist: „Der Weise eilt der Zeit voraus. Der Kluge geht mit ihr auf allen Wegen. Der Schlaue beutet sie aus. Der Dumme stellt sich ihr entgegen.“ Dabei scheint im beschaulichen Dorf Oberscheibe im sächsischen Erzgebirge die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Brauerei residiert in einem Gemäuer aus dem vorvergangenen Jahrhundert, ringsherum viel Natur. Hier könnten sich „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“ – wäre da nicht die Bundesstraße 101, die Berlin mit Aue verbindet, und wäre da nicht diese kleine, quirlige Brauerei der Familie Fiedler.
Christian Fiedler, 63, ist der Senior-Chef – ein traditioneller Braumeister, für den in einem Spitzenbier deutscher Braukunst alles steckt: Heimatverbundenheit, ehrliche, althergebrachte Handwerkskunst, aber neben all der Tradition auch die Unterstützung durch modernste Hilfsmittel, um höchste Qualitätserwartungen zu erfüllen. An der Einfahrt zum Innenhof steht gerade ein kleiner Bagger. Das Pflaster am Zugang zum Bräustüberl muss erneuert werden.
„Es gibt immer was zu tun“, sagt Christian Fiedler. „Aber nicht nur hier. Dort ist unser neuestes Schmuckstück“, sagt er und zeigt auf die Roboterzelle am Zugang zur Abfüllanlage. Ein 5-achsiger Kuka-Industrieroboter be- und entlädt im Wareneingang und -ausgang mit seinen Fiedler-grünen Armen ganze Lagen von Bierträgern, als Vollgut wie auch als Leergut. „Das verschafft uns nicht nur eine große Erleichterung bei körperlich schweren Arbeiten, sondern gibt uns zugleich neue Möglichkeiten, unsere Fachkräfte an anderen Stellen besser und weniger verschleißend einzusetzen.“ Das sei in Zeiten des zunehmenden Arbeitskräftemangels in der Brauereilandschaft gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Mit Erfolg auf Automatisierungskurs
Mit der Zeit gehen, heißt im Brauwesen – wie überhaupt in der Getränkeindustrie – immer auch Automatisierung. Darauf sind Till Beyer und die Beyer Maschinenbau GmbH aus Roßwein spezialisiert. Wie Fiedler ist die Firma ein Familienbetrieb, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1862 reichen. Die Palettier-, Packer- und Fördertechnik sowie komplette Anlagen mit Fokus auf Getränketechnik und den Lebensmittelbereich werden im eigenen Haus gebaut und als passgenaue Lösungen, bei Bedarf auch mit integrierter Robotik, ausgeliefert, in Betrieb genommen und service-technisch betreut.
„Mit Fiedler haben wir die ersten Gespräche über die automatisierte Flaschenpalettierung bereits 2005 geführt“, erinnert sich Till Beyer. Dann aber habe das Unternehmen andere Themen gehabt und die Investition in die Roboter-Zelle zurückgestellt. „So sind Mittelständler eben. Da müssen wir als Maschinenbauer und Integratoren einfach etwas mehr Geduld mitbringen.“ 2018 war es dann soweit: Das körperlich herausfordernde Palettieren und Entpalettieren sollte bei Fiedler künftig der Roboter übernehmen.
Die Technik dafür liefert ein 5-achsiger „KR 180 PA“ aus der „Quantec“-Serie – ein Multitalent in modularer Bauweise. Dieser kann Traglasten bis zu 180 Kilogramm bewegen. Bei Fiedler nimmt der Roboter mit seinem Greifer bis zu vier Bierträger gleichzeitig auf. Er hebt das eingehende Leergut von der Palette auf die Fördertechnik und die aus der Abfüllung kommenden Träger vom Rollenband direkt auf die Palette. 800 Flaschen in 40 Kästen finden so auf einer Europalette Platz, die von der Roboterzelle per Gabelstapler ins Ausgangslager oder direkt auf den Lkw gebracht werden.
Investieren in die Zukunft – der Brauereinachwuchs macht es vor
Automatisierungslösungen sind das persönliche Steckenpferd von Thomas Fiedler, dem Sohn von Christian Fiedler. Der Braumeister verkörpert die fünfte Generation und ist seit 1999 im Familienunternehmen mit dabei. Seither kümmert er sich besonders intensiv um alle technischen Belange. „Wir wissen, dass wir kontinuierlich investieren müssen, um auf dem technischen Stand zu bleiben“, sagt Thomas Fiedler. Das bedeute für ihn selbst, dass er – wie beim Roboter-Einsatz – die angestrebte Lösung immer vollständig verstehen und dann auch konsequent und als Gesamtpaket umsetze wolle. „Halbe Sachen kommen mir nicht in Frage.“
Viele Mittelständler seiner Branche hätten immer noch Angst vor der Automatisierung. „Das muss überhaupt nicht sein. Automatisierung macht Spaß.“ Mit Till Beyer habe er dabei einen sehr guten Sparringspartner gehabt, der genau wisse, worauf es in der Getränkeindustrie ankomme – und der sich auch in die jeweiligen lokalen und räumlichen Gegebenheiten einzudenken vermöge.
Optimieren der verfügbaren Kapazitäten
Genau diese Kenntnisse und Erfahrungen des Partnerunternehmens waren in besonderer Weise bei den historischen Gemäuern der Fiedler Brauerei gefragt. „Wir sind mit den räumlichen Kapazitäten unseres Standorts am Limit. Erweiterungen sind deswegen hier nur über eine Optimierung des Platzangebotes möglich“, weiß Thomas Fiedler.
Und so verlangte dann auch die Integration der Roboter-Zelle eine aufwendige Maßarbeit. „Für die Palettierstation standen uns gerade einmal 4 Meter mal 5 Meter zur Verfügung – und wir brauchten weiteren Platz für den Durchgang zur Abfüllstation, um hier auch noch Europaletten an der Roboter-Einhausung vorbeibringen zu können“, beschreibt der Braumeister die anspruchsvollen Bedingungen. „Jedoch – wir haben es hingekriegt“, freut er sich.
Anwendungsfreundliche Steuerung erleichtert alle Abläufe
Aber es geht dem Brauer nicht nur um die physische Integration der Anlage. Die Automatisierungstechnik soll auch digital möglichst einfach in die laufenden Prozesse eingebunden werden können. „Die Grundlage dafür schafft die Software“, berichtet Till Beyer. Als Schnittstelle zwischen dem Roboter und der Maschinensteuerung erlaube „Kuka.PLC mxAutomation“ eine einfache Inbetriebnahme, Programmierung und Diagnose jedes Roboters durch die SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung). Die Softwarefunktionen sorgen im Zusammenspiel mit moderner industrieller Realzeitkommunikation für eine effiziente Fernkommandierung des Roboters. Dies alles geschieht anwendungsfreundlich, auch ohne spezielle Roboter-Programmierkenntnisse. Nahezu sämtliche Funktionen der Robotersteuerungen können via SPS aufgerufen werden. Die Software bietet zudem Roboterbibliotheken für alle bekannten Steuerungen im Markt.
Vater und Sohn sind vom Automatisierungskurs der Privatbrauerei überzeugt. „Sie schafft die Grundlage für gleichbleibend hohe Qualität unserer Premiumbiere. Darin steckt mehr Zukunft als in einem ruinösen Preiskampf, der leider viele Bereiche des Biermarktes erfasst hat“, ist Thomas Fiedler überzeugt. Und seinem Vater Christian machen die Innovationen rund um den Brauprozess auch noch viel Spaß: „Es knallt und zischt in jeder Ecke, wenn ich morgens früh in die Brauerei komme“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Vom automatischen Sudhaus, über die automatisierte Abfüllanlage bis hin zum Palettierroboter – alles zahlt auf eine immer verlässliche, gleichmäßig hohe Qualität unserer Biere ein. Das zeichnet uns aus und macht am Ende auch den Unterschied im Wettbewerb. Unser Bier muss einfach gut schmecken. Punkt. Da machen wir keine Kompromisse.“
Die nächste Generation steht schon bereit
Ende 2022 will Christian Fiedler die Geschäfte der Brauerei komplett in die Hände seines Sohnes Thomas legen. Und der ist hochmotiviert: „Als nächstes modernisieren wir die Fassabfüllung.“ Denn die Nachfrage sei groß, und das soll auch weiterhin so bleiben.
Die Zukunft „steht bereits in den Startlöchern“. Gerade beginnt seine Tochter Vanessa mit ihrer Braumeisterausbildung – und somit ist die sechste Generation bereit für den Einstieg. Es scheint so, als sei die Geschichte des Traditionsunternehmens Fiedler im Erzgebirge noch lange nicht fertig geschrieben. Na dann: Glück auf!
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