Elektromobilität als Bewährungsprobe für den Automobilbau in Deutschland
Der E-Mobilität gehört die Zukunft – diese Aussage hat bis vor Kurzem niemand angezweifelt. Doch der Fachkräftemangel und geringe Produktivitätssprünge bereiten der deutschen Automobilindustrie Probleme. Zudem fordert die Branche planbare Rahmenbedingungen.
Die deutsche Automobilindustrie muss ihre Produktivität und Innovationskraft bei neuen Technologien deutlich steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, für die der VDE, Frankfurt/Main, hochrangige Führungskräfte und Unternehmenschefs aus verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette sowie Politikerinnen und Politiker befragt hat. Darunter Vertreter von Automobilherstellern, Zulieferern, Batterieproduzenten und aus Forschung und Entwicklung. Die befragten Expertinnen und Experten sind jedoch auch davon überzeugt, dass die deutsche Automobilindustrie bei der Elektromobilität durchaus wettbewerbsfähig ist.
„Auch ohne Verbote für fossile Verbrenner werden sich Elektrofahrzeuge aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit durchsetzen.“
Kostengünstige E-Autos in Deutschland konzipieren
„Wir gehen davon aus, dass Elektrofahrzeuge in Zukunft den Markt dominieren werden. Daher haben wir nachgefragt, wie gut der Standort Deutschland aus Sicht wichtiger Akteure darauf vorbereitet ist“, erklärt Dr. Ralf Petri, Geschäftsbereichsleiter Mobility beim VDE. „In Schulnoten ausgedrückt, bewerten die Befragten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie mit der Note 3+. Damit können wir uns nicht zufriedengeben.“ Der Massenmarkt sei von den Problemen am härtesten betroffen – wenn es so weiter gehe wie derzeit, kommen preiswerte E-Autos bis 2035 hauptsächlich aus China, so die Prognose.
Der Automobilstandort Deutschland ist aus Sicht der Befragten nicht ausreichend auf den tiefgreifenden Wandel vorbereitet. Die Tatsache, dass es der Branche in den letzten Jahren sehr gut ging, hat dazu geführt, dass Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt wurde. Das räche sich jetzt – in einer Phase, wo die Zinsen gestiegen sind, die Energiepreise hoch sind und die Konkurrenz aus dem Ausland immer stärker wird.
Investitionssicherheit schaffen
Bei der Wettbewerbsfähigkeit aufzuholen, insbesondere in den Kernbereichen Software und Batterietechnologie, wird daher als zentral angesehen. Die Fertigungsprozesse müssen radikal neugestaltet werden, unter anderem durch mehr Automatisierung. Vor allem bei den preiswerten E-Autos für den Massenmarkt müssen dringend Lösungen entwickelt werden, um dem großen Angebot aus China in diesem Segment begegnen zu können.
Die Transformation der Branche, der wachsende internationale Wettbewerb, anhaltendende globale Krisen sowie hohe Energiepreise und Zinsen haben dafür gesorgt, dass die Unsicherheiten größer geworden sind. Hier sind sich Politik und Wirtschaft einig, dass es dringend planbare Rahmenbedingungen braucht – unter anderem, um mehr Investitionssicherheit zu schaffen.
Ein Fokus der Studie lag auch auf dem Thema Resilienz: Die Befragten sind sich einig, dass die Automobilproduktion auch 2035 auf internationaler Arbeitsteilung beruhen wird. Gleichzeitig werden die damit verbundenen Lieferketten grundlegend neu betrachtet: Standen vorher rein die Kosten, Liefertreue und Qualität im Fokus, gewinnen Resilienz und Nachhaltigkeit an Bedeutung. Lokalisierung, Diversifizierung und die Vermeidung von Rohstoffabhängigkeiten sind entscheidend, um externe Schocks wie politische Krisen oder Naturkatastrophen abzufedern und die eigene Produktion aufrecht erhalten zu können.
Anhaltenden Fachkräftemangel bei Software und KI bekämpfen
Neben der Produktivität wird der Fachkräftemangel als die größte Herausforderung angesehen. Die beruflichen Anforderungen in der Automobilindustrie werden sich merklich wandeln. Digitale Kompetenzen rücken in den Vordergrund. Für technologische Innovationen wie das autonome Fahren sind Kenntnisse in Programmiersprachen, Softwarearchitektur und Data Science unerlässlich. Der Bedarf an diesen Jobprofilen besteht jedoch branchenübergreifend – entsprechend ausgeprägt ist der Wettbewerb. Für die Zukunftsfähigkeit des Automobilstandorts ist es entscheidend, diese digitalen Expertinnen und Experten für sich zu gewinnen. Ein besonderer Nachteil der Automobilindustrie: gerade bei der jungen Generation wird ihr Ruf von Diskussionen über Klimaschutz und Dieselskandal überlagert.
„Die Bedeutung von KI für das autonome Fahren wird in Deutschland nach wie vor unterschätzt.“
„Wenn Unternehmenschefs berichten, dass sie Aufträge ablehnen müssen, weil ihnen die Beschäftigten fehlen, ist das besorgniserregend. Hier brauchen wir auch ein neues, positives Narrativ“, sagt Dr. Ralf Petri: „Die deutsche Automobilindustrie hat sich zwar finanziell vom Dieselskandal weitgehend erholt, aber den Image-Makel ist sie nie ganz losgeworden. Dabei bieten Elektromobilität und nachhaltige Verkehrslösungen die Chance, die Wahrnehmung der Branche zu korrigieren. Die Rolle von Technologie sollte nicht als Hindernis, sondern als Lösung für ökologische Herausforderungen hervorgehoben werden.“
Über die VDE-Mobility-Meinungsführer-Studie
Zum zweiten Mal hat der VDE Meinungsführende aus Politik und dem Mobilitätsbereich befragt. Vor zwei Jahren ging es dabei um das Antriebsportfolio der Zukunft – wie es ausgewogen und ökologisch gestaltet und an den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet werden kann. Die neue VDE Studie „Automobilstandort Deutschland 2035“ zielt darauf ab, die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, Chancen und Trends zu identifizieren und wiederzugeben – insbesondere im Kontext des Übergangs zur Elektromobilität, der Digitalisierung und der globalen Wettbewerbslandschaft.
Über die Initiatoren der Studie – DKE und VDE
Die vom VDE getragene „Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik“ (DKE) ist die Plattform für rund 9.000 Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zur Erarbeitung von Normen, Standards und Sicherheitsbestimmungen für die Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (www.dke.de). Normen unterstützen den weltweiten Handel und dienen der Sicherheit, Interoperabilität und Funktionalität von Produkten und Anlagen. Als Kompetenzzentrum für elektrotechnische Normung vertritt die DKE die Interessen der deutschen Wirtschaft in europäischen (CENELEC, ETSI) und internationalen Normenorganisationen (IEC). Darüber hinaus erbringt die Organisation umfangreiche Dienstleistungen rund um die Normung und das VDE-Vorschriftenwerk.
Der VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V.), eine der größten Technologie-Organisationen Europas, steht seit mehr als 130 Jahren für Innovation und technologischen Fortschritt. Als einzige Organisation weltweit vereint der VDE dabei Wissenschaft, Standardisierung, Prüfung, Zertifizierung und Anwendungsberatung unter einem Dach (www.vde.com). Das VDE-Zeichen gilt seit mehr als 100 Jahren als Synonym für höchste Sicherheitsstandards und Verbraucherschutz.
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