Quanten-KI für die Mobilität der Zukunft
Mehrere renommierte Automobilbauer und -Zulieferer sowie Forschungsinstitute wollen gemeinsam Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) für Quantencomputer erproben – und nähern sich damit erstmalig realen Anwendungen an.
Hierfür arbeiten das Forschungszentrum Jülich (federführend), die BMW Group, Mercedes-Benz, Volkswagen, Bosch und das DFKI zusammen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert, startete im April 2021 und verfügt über Mittel von 4 Millionen Euro über die Laufzeit von drei Jahren.
Welchen Nutzen haben Quantencomputer für die Automobilindustrie?
Quantencomputer könnten Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen auf ein neues Level heben. Die Entwicklung realer KI-Anwendungen für Quantenrechner steckt aber noch „in den Kinderschuhen“. Das vom Forschungszentrum Jülich koordinierte Verbundprojekt „Q(AI)2“ (Quantum Artificial Intelligence for the Automotive Industry) bringt beide Ansätze nun anhand konkreter Anwendungsfälle in der Automobilindustrie zusammen. Das Interesse in der Branche ist folglich groß: An dem Vorhaben sind die drei größten deutschen Autohersteller BMW Group, Mercedes-Benz AG und Volkswagen sowie der Zulieferer Bosch und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) beteiligt.
Künstliche Intelligenz ist eine der bedeutendsten Schlüsseltechnologien in der Industrie, speziell in hochtechnisierten Branchen wie der Automobilindustrie. Der Rechenaufwand für viele Anwendungen ist allerdings enorm. Selbst moderne Supercomputer benötigen teilweise mehrere Tage für bestimmte Aufgaben. Manche Probleme sind bislang sogar überhaupt nicht in realistischen Zeitspannen lösbar.
Um welche Anwendungen geht es?
„Quantencomputer bieten die Möglichkeit, Anwendungen mit KI qualitativ zu beschleunigen und so einen echten Geschwindigkeitsvorteil zu erzielen. Dies ist besonders dort wichtig, wo Antworten auf industriell relevante Fragestellungen schnell gefunden werden müssen“, erklärt Projektkoordinator Prof. Frank Wilhelm-Mauch vom Forschungszentrum (FZ) Jülich. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft mit rund 6400 Beschäftigten erforscht das FZ Jülich Optionen für die digitalisierte Gesellschaft, ein klimaschonendes Energiesystem und Ressourcen schützendes Wirtschaften – stets unter dem Motto: „Den Wandel gestalten“. Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften werden dabei mit besonderer Expertise im Höchstleistungsrechnen verbunden. Dazu kann das FZ Jülich (www.fz-juelich.de) auf eine einzigartige wissenschaftliche Infrastruktur zurückgreifen.
„Bei den jetzt geplanten Anwendungsfällen wird beispielsweise untersucht, wie sich flexible Produktionsabläufe in der Industrie 4.0 optimieren lassen. Weitere denkbare Szenarien sind, wie sich autonome Fahrzeuge kollisionsfrei durch den Verkehr steuern lassen, oder auch Touren von Elektrobussen intelligent zu planen. Die Arbeit mit konkreten Aufgaben der Automobilindustrie – als Start und Endpunkt der Forschung – ist ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal dieses Projekts“, erläutert Wilhelm-Mauch.
Hohe Expertise: Quantencomputerforschung am FZ Jülich
Quantencomputer arbeiten nicht wie konventionelle Computer (denn diese nutzen Bits, also Nullen und Einsen). Ein Entweder-Oder gibt es hier nicht, Quanten können verschiedene Zustände einnehmen – und zwar gleichzeitig. Physiker nennen das „Superposition“. Das „Reich der Quanten“ hat seine eigene Logik, und gerade darin liegen seine enormen Chancen. Die Forscher des FZ Jülich sind folglich überzeugt: Quantentechnologie wird die Welt verändern – in Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft und Alltag.
Damit die optimale Synthese von theoretischem Wissen und praktischer Kompetenz möglich wird, möchte die Forschungseinrichtung ihre Kompetenz auf dem Gebiet der nutzeninspirierten Grundlagenforschung ausspielen. Vereint wird dazu die Grundlagenforschung in den Bereichen Quantenmaterialien und -computing mit konkreter Anwendungsentwicklung. Auf dem Forschungscampus soll die ganze Entwicklungskette abgedeckt werden: Im „Helmholtz Quantum Center“ (HQC) werden von Konzepten und neuartigen Bauteilen bis hin zum Quantencomputer-Prototypen alle entscheidenden Komponenten entwickelt, während das Jülich Supercomputing Center (JSC) über die „Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing“ (JUNIQ) eine Bandbreite von Systemen unterschiedlicher Reifegrade einer breiten Nutzergemeinschaft zur Verfügung stellt. Gleichzeitig arbeitet es an der Realisierung von Quantenalgorithmen und deren Anwendung.
Quantenbeschleunigte KI-Algorithmen sind der Schlüssel zum Erfolg
Die Nutzung von Quantencomputern und Quantenannealern für reale Probleme ist aufgrund des frühen Entwicklungsstadiums dieser Systeme bislang noch kaum erforscht. Das Projekt Q(AI)2 nimmt auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle ein. Die Forschenden der akademischen Einrichtungen, der Automobilhersteller sowie des Zulieferers, der bereits über einige Erfahrung in der KI-Nutzung verfügt, wollen gemeinsam eine breite Basis an quantenbeschleunigten KI-Algorithmen schaffen. Dies ist ein Novum. Die KI-Algorithmen sollen dabei sowohl für die zur Verfügung stehende Hardware als auch für industrielle Fragestellungen optimiert sein.
„Wir wollen das Beschleunigungspotenzial ausloten, das in bereits bekannten Algorithmen steckt. Und wir wollen ganz grundsätzlich industriell relevante Anwendungen identifizieren, die sich mithilfe von Quantenrechnern wesentlich beschleunigen lassen“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch. Die angestrebten Erkenntnisse könnten deutschen Automobilherstellern entscheidende Wettbewerbsvorteile verschaffen: Aussichtsreiche Ansätze sollen unmittelbar in konkrete Vorentwicklungsprojekte der beteiligten Unternehmen münden. Gleichzeitig werden die Ergebnisse externen Nutzenden zugänglich gemacht.
Ab wann lässt sich ein „echter Quantenvorteil“ erzielen?
Die Partner in Q(AI)2 wollen aussagekräftige Kennzahlen ermitteln, aus denen hervorgeht, ab wann sich Quantencomputer tatsächlich gewinnbringend für industrielle Anwendungen einsetzen lassen. Wie viele Qubits und welche Taktzeiten müssen die Systeme aufweisen, damit ein echter Quantenvorteil resultiert?
Entscheidend für eine realistische Einschätzung ist dabei die Möglichkeit, Algorithmen mit modernster Quantencomputer-Simulationssoftware zu testen und auf verschiedenen Quantencomputersystemen zu implementieren. Über die JUNIQ-Infrastruktur des Forschungszentrums Jülich ist unter anderem der Zugriff auf vielfältige Hard- und Softwaresysteme sichergestellt. Die Jülicher Quantencomputer-Plattform vereint verschiedene Arten von Quantencomputern, -annealern und -simulatoren unter einem Dach. Forschende erhalten so unter anderem Zugang zu Systemen von IBM, D-Wave, Atos und experimentellen Maschinen, wie sie beispielsweise im europäischen Quanten-Flaggschiffprojekt entstehen. Wenn die Untersuchungen erfolgreich sind, werden die Ergebnisse unmittelbar von den beteiligten Unternehmen und externen Nutzenden weiterverwertet. Dies kann deutschen Automobilherstellern entscheidende Wettbewerbsvorteile verschaffen.
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