Meilensteine für das Quantencomputing
Ein Quanten-Annealer mit mehr als 5000 Qubits ist gerade am Forschungszentrum Jülich in Betrieb gegangen. Begleitend dazu hat auch das Netzwerk „EIN Quantum NRW“, das die Expertise zahlreicher Partner bündelt, seine Arbeit aufgenommen. Eine aktuelle Fördermaßnahme für das photonische Quantencomputing umfasst sogar 50 Millionen Euro.
Das Jülich Supercomputing Centre (JSC) und D-Wave Systems, einer der führenden Anbieter von Quantencomputer-Systemen mit Hauptsitz in Burnaby, British Columbia, Kanada, gaben im Januar 2022 den Startschuss für das erste Quanten-Cloud-basierte System dieses Unternehmens außerhalb Nordamerikas. Das neue System hat seinen Standort in Jülich und soll in Zukunft eng mit den Supercomputern des JSC zusammenarbeiten. Der Quanten-Annealer ist Teil der Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing mit dem Namen „JUNIQ“, die Forschenden in Deutschland und Europa seit Herbst 2019 Zugriff auf verschiedene Quantensysteme erlaubt. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und EU-Kommissarin Mariya Gabriel nahmen das System mit einer Feierstunde offiziell in Betrieb und unterstrichen die Bedeutung der Zusammenarbeit bei der Entwicklung praktischer Quantenanwendungen über Branchen und Forschungsbereiche hinweg.
Erhebliche Investitionen in die Spitzenforschung
Die Landesregierung und das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützen den Aufbau mit einer Förderung in Höhe von je fünf Millionen Euro. „Die Nutzerinfrastruktur JUNIQ und die Inbetriebnahme des Quanten-Annealers in Jülich belegen eindrucksvoll die Entwicklung NRWs zum europäischen Spitzenstandort für Quantencomputing. Unsere hervorragende Wissenschaftslandschaft sowie die enge Vernetzung unserer Akteure in Wissenschaft und Wirtschaft erlauben es, das Potential dieser Technologien voll auszuschöpfen“, sagt Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das Forschungszentrum (FZ) Jülich hat sich zum Ziel gesetzt, eine führende Entwicklungs- und Nutzergemeinschaft aus Industrie und Wissenschaft für die Anwendungen von Quantencomputern in Deutschland und Europa aufzubauen. „Dazu haben wir am Jülich Supercomputing Centre mit JUNIQ bereits 2019 eine Nutzereinrichtung für offene Innovationen geschaffen, die Anwendern eine einheitliche Quantencomputing-Plattform als Service und die zugehörigen Kompetenzen zur Nutzerunterstützung und gemeinsamen Software-Entwicklung zur Verfügung stellt“, erklärt Prof. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des FZ.
Das neue Quantensystem ist bereits der zweite D-Wave-Quantenrechner in der Nutzer-Infrastuktur – und das weltweit erste Advantage-System mit Standort außerhalb des Firmensitzes in Kanada. „Wir betreiben das System direkt bei uns in Jülich – damit haben wir die Möglichkeit, es eng in unsere Supercomputing-Infrastruktur einzubinden“, erklärt Prof. Kristel Michielsen, Pionierin im Quantencomputing und Leiterin der Gruppe „Quantum Information Processing“ am JSC. Die Jülicher Experten können Erfahrungen mit dem Betrieb und der Wartung eines solchen Geräts sammeln – das führt zu einem erheblichen Wissenstransfer nach Deutschland. Darüber hinaus wird der Zugang zum System unter deutscher Gesetzgebung und Kontrolle ablaufen.
Viele potentielle Einsatzgebiete für den Quanten-Annealer
Das neue System, ein „Quanten-Annealer“, ist äußerst geeignet für die Lösung von schwierigen Optimierungsproblemen, die insbesondere auch für die Industrie von großem Interesse sind – etwa um Verkehrsflüsse effizient zu steuern oder um künstliche neuronale Netze für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz zu trainieren. D-Wave ist ein führender Hersteller von Quantensystemen dieses Typs. Kunden des Unternehmens haben frühe Quantenanwendungen in so unterschiedlichen Bereichen wie Quantenchemie-Simulation, Automobilbau, Gesundheitsvorsorge, Logistik, Finanzmodellierung oder Flugplanung entwickelt. „Wir untersuchen auch Möglichkeiten, das neue System in unsere Supercomputer-Infrastruktur zu integrieren. Dies ist möglich, weil der Annealer über 5000 Qubits hat und daher groß genug ist, um bei anwendungsbezogenen Problemen zu helfen, wie sie auf Supercomputern gerechnet werden“, sagt Prof. Thomas Lippert, Direktor des JSC.
Für den Betrieb des Quanten-Annealers wurde eigens ein neues Gebäude errichtet. Quantencomputersysteme benötigen einen speziellen, vibrationsfreien Standort. Die beiden Maschinenhallen des Gebäudes verfügen daher über spezielle Schwingungsfundamente, um Erschütterungen abzudämpfen.
Netzwerk in NRW bietet Brückenschlag zwischen Forschung und Industrie
Derweil bündelt NRW seine Kräfte für den Aufbruch ins „Quantenzeitalter“. Es kommt jetzt darauf an, die nationale Technologieführerschaft in der Forschung und Entwicklung von Quantentechnologien auszubauen, Fachkräfte für dieses Zukunftsfeld auszubilden und Anwendungen für die Wirtschaft und Großindustrie im Herzen Europas zu erschließen – das alles sind die Ziele des neuen Netzwerks „EIN Quantum NRW“, das die Expertise der Partner bündelt. Das „EIN“ im Namen steht für Education, Innovation und Networking. Im März 2022 informierten dazu Ministerpräsident Wüst, Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart die Öffentlichkeit gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Mehr als ein Dutzend Forschungseinrichtungen in NRW haben das Netzwerk ins Leben gerufen, um sich mit Unternehmen aus der Wirtschaft zusammenzuschließen. „EIN Quantum NRW“ wird über einen Förderzeitraum von zunächst fünf Jahren mit bis zu 20 Millionen Euro ausgestattet. Die Besonderheit: 7,5 Millionen Euro bringen die Forschungseinrichtungen in Erwartung eines Mehrwerts durch die Kooperation mit der Wirtschaft selbst ein. Die Landesregierung flankiert dies mit bis zu 12,5 Millionen Euro bis 2026.
Der Nutzen: neue Erkenntnisse, interdisziplinäre Forschung und Ausbildung
Quantentechnologien werden den Alltag verändern: Schon heute gehen zahlreiche technische Errungenschaften auf Erkenntnisse der Quantenphysik zurück. Die Beispiele reichen von Photovoltaikzellen über die Laser- und Medizintechnik – etwa der Magnetresonanztomografie – bis hin zum modernen Computer und dem Internet. Die fortschreitende Kontrolle einzelner Quantenteilchen rückt zunehmend weitere technologische Fähigkeiten in greifbare Nähe, die lange undenkbar schienen.
Dies soll mithelfen, neue Antworten auf brennende Fragen unserer Zeit zu liefern: Etwa für komplexe Zusammenhänge des Klimawandels, bessere Verkehrsströme oder abhörsichere Kommunikation durch Quantenverschlüsselung. Denn damit lassen sich Risiken für kritische Infrastrukturen, die durch Cyber-Angriffe möglich wären, reduzieren. Die vielversprechendsten Ansätze – supraleitende Schaltkreise, Ionenfallen, Photonen oder Halbleiter-basierte Ansätze – werden an den Forschungsinstitutionen in NRW abgedeckt. Über Transferschnittstellen zur Wirtschaft lassen sich konkrete Anwendungen fördern.
Nordrhein-Westfalen übernimmt Vorreiterrolle
NRW ist prädestiniert für eine Vorreiterrolle bei der Realisierung und Anwendung von Quantencomputing und anderen Quantentechnologie-Feldern, wie beispielsweise der Quantenkryptografie. In NRW haben zahlreiche Unternehmen ein enormes Interesse daran, die Chancen der Quantentechnologien zu nutzen. Sie treffen nicht nur auf hervorragendes wissenschaftliches Know-how, sondern auch auf andere Unternehmen und Neugründungen, die bereitstehen, als Zulieferer die neuen Technologien auch in der Wirtschaft umzusetzen. „Wir haben dazu die NRW-Koordinierungsstelle QT.NRW ins Leben gerufen und mit Wissenschaft, Start-ups und Industrie ein Kompetenznetzwerk mitentwickelt, das von uns finanziell unterstützt wird und nun landesweit an den Start geht“, sagt Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.
Potenzielle Anwender der neuen Technologien reichen von Großunternehmen bis hin zu spezialisierten Start-Ups, die als Partner aus der Wirtschaft an „EIN Quantum NRW“ beteiligt werden. Denn der Technologietransfer und internationale Kooperationen sind wichtige Anliegen des Netzwerks. Eine der zentralen Aufgaben des Netzwerks wird es sein, die exzellente Grundlagenforschung mit Großunternehmen und Quanten-Spin-Offs des Landes noch besser zu vernetzen. Das Marktpotential ist groß. NRW verfügt als größte Chemie-, Energie- und Stahlregion Europas mit seiner starken Textil- sowie Maschinenbau- und Elektroindustrie – und dem dichtesten Verkehrsnetz – über beste Voraussetzungen. Insbesondere im Bereich der medizinischen Wirkstoffentwicklung und des Materialdesigns, der Routenoptimierung und Verkehrssteuerung sowie des intelligenten Stromnetzmanagements werden Sprung-Innovationen mit hoher wirtschaftlicher Relevanz erwartet.
Viele renommierte Hochschulen als Gründungspartner
Zu den Gründungspartnern des Netzwerks gehören die Universitäten Aachen, Bochum, Bonn, Dortmund, Duisburg-Essen, Düsseldorf, Köln, Münster, Paderborn, Siegen sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das FZ Jülich und die Fraunhofer-Gesellschaft. Die Partner werden sich verstärkt für die Lehre einsetzen, aber auch für die Weiterbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs und Fachkräften. Gefragt ist dabei sowohl Expertise in der Physik als auch in der Informatik und in den Ingenieurwissenschaften. An verschiedenen Standorten arbeiten die Fachbereiche daher im Rahmen des Netzwerks zunehmend eng zusammen, um entsprechende Angebote zu entwickeln.
In der Rheinlandregion werden bereits unterschiedliche Programme für Bachelor- und Masterstudierende sowie Promovierende an den Universitäten Köln, Bonn und Aachen in der Research School des Exzellenzclusters Materie und Licht für Quanteninformation (ML4Q) gebündelt. Und in Siegen startet beispielsweise 2023 der Master-Studiengang „Quantum Science“, der ein interdisziplinäres Studienprogramm aus den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik und Elektrotechnik bietet.
Konsortium unter Paderborner Beteiligung erhält 50 Millionen Euro Forschungsförderung
Am 8. März 2022 teilte die Universität Paderborn in einer Pressemeldung mit, dass ein Konsortium rund um das Quanten-Start-up Q.ANT rund 50 Millionen Euro Forschungsförderung erhält. Rund 42 Millionen Euro davon übernimmt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), rund 8 Millionen Euro steuern die Konsortialpartner*innen bei. Mit den Fördermitteln soll eine Demonstrations- und Testanlage für photonische Quantencomputer-Chips und andere Quantencomputer-Komponenten aufgebaut werden. Das Konsortium soll damit Algorithmen und Technologien für das photonische Quantencomputing erforschen und den industriellen Einsatz vorbereiten.
Q.ANT, eine hundertprozentige Tochter von TRUMPF, hatte vor Kurzem ein Verfahren präsentiert, das die Herstellung sehr leistungsfähiger Quantencomputer-Chips ermöglicht. Durch das Aufbringen hochspezieller Lichtkanäle auf Silizium-Chips lassen sich mit diesem sogenannten Photonik-Chip-Verfahren Quanten auch bei Raumtemperatur nahezu verlustfrei führen, steuern und kontrollieren. In Zukunft ermöglicht dies den Einsatz der Chips auch bei herkömmlichen Großrechnern.
„Die Förderung ist ein wichtiges Signal für den Innovationsstandort Deutschland. Wir stehen am Beginn des Quantencomputerzeitalters und das weltweite Rennen um Marktanteile dieser Zukunftstechnologie hat begonnen. Die nun bereit gestellten Mittel für diese Forschungsallianz sind ein wichtiger Baustein für einen Quantencomputer made in Germany“, sagt Michael Förtsch, CEO von Q.ANT. Dem Konsortium unter industrieller Führung gehören insgesamt 14 weitere deutsche Firmen, angewandte Forschungsinstitute und Universitäten an. Innerhalb von zweieinhalb Jahren wollen die Projektpartner einen ersten Prototyp vorstellen. In spätestens fünf Jahren soll ein Quantencomputer-Chip entstehen, der weitreichende Berechnungen anstellen kann.
Das Institut für Photonische Quantensysteme (PhoQS) wird die am Standort Paderborn vorhandenen Expertisen in den Bereichen der integrierten Optik und Quantenoptik, der Quanteninformationstheorie sowie der Algorithmik und Elektrotechnik bündeln, um im Verbund große Quantensysteme für die lichtbasierte Quanteninformationsverarbeitung zu implementieren. „Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Forschung auf diesem Gebiet weltweit führende Pionierarbeit in der Grundlagenwissenschaft geleistet. Das Projekt gibt uns erstmals die Möglichkeit, diese mit Demonstrationsaufbauten in die Anwendung zu bringen“, sagt Prof. Dr. Christine Silberhorn von der Universität Paderborn. Die beteiligten Universitäten sollen Grundlagenwissen zum Verhalten von Quanten entwickeln und beisteuern. Die angewandten Forschungsinstitute sollen dabei unterstützen, das Wissen in praxistaugliche Verfahren zu überführen. Die beteiligten Start-ups werden Komponenten von Quantencomputerchips entwickeln und bauen.
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