Industrie 4.0 und mehr – Visionen für die Produktion der Zukunft
Industrie 4.0 und die Hannover Messe sind seit gut zehn Jahren eine Symbiose eingegangen. Wie hat sich das Thema seitdem weiterentwickelt? Und welche weiteren Trends und Innovationen stehen auf der Messe des Jahres 2023 darüber hinaus im Fokus?
Vom 17. bis zum 21. April findet die Hannover Messe 2023 wieder in Präsenz statt und wird 15 Hallen auf dem großen Hannoveraner Messegelände füllen. Vor mehr als zehn Jahren feierte der Terminus „Industrie 4.0“ seine Premiere auf der Messe. Viele der ursprünglichen Visionen wurden bereits umgesetzt, diverse neue Problematiken taten sich auf und an vielen Technologien wird weiterhin intensiv gearbeitet – was aktuell im Fokus steht, können die Besucherinnen und Besucher in knapp einem Monat auf den Ständen der Aussteller und in vielen Zusatzveranstaltungen erfahren.
Digitalisierung – nur ein Hype oder schon erfolgreiche Realität?
Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie. Das Zukunftsprojekt zielt nach Ansicht des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung ) darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein. Denn diese ist gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-)Produktion. Das BMBF setzt zur Unterstützung der Vorhaben die „Forschungsagenda Industrie 4.0“ um und hat für die Arbeiten dazu (bisher) Fördermittel in Höhe von über 470 Millionen Euro investiert.
Nach Ansicht der „Messemacher“ in Hannover kann Industrie 4.0 als „Dachmarke“ angesehen werden, unter der sich Sensorikhersteller, Automatisierer, Robotikbauer, Softwarehersteller und Anwender versammeln. Mit dem Begriff sei eine neue Begeisterung für die Automatisierung und damit auch für die Digitalisierung von industriellen Prozessen entstanden. Das lockte sogar viele junge, technik-affine Menschen in die Industrieunternehmen.
Die Versprechen waren groß. Aber ist schon alles erreicht? – sicherlich nicht. Die Kritik an dem Terminus „Industrie 4.0“ kommt auch daher, dass er politisch sehr stark aufgeladen wurde, dass am Anfang jede Komponente „intelligent“ gemacht werden sollte (was sich oft nicht rechnete), und dass die Produktivität nicht unverzüglich „nach oben schnellte“. In den Anfangsjahren versuchte man, den Silicon-Valley-Konzernen nachzueifern. Das Fieber der Digitalisierung war ansteckend. Mittlerweile besinnt sich die Industrie auf die eigenen Stärken – und ausgerechnet die Tech-Konzerne suchten in den zurückliegenden Jahren verstärkt Kontakt zum deutschen Mittelstand und zur Industrie 4.0. Die ersten Früchte ernten Unternehmen in diesen Jahren und zeigen das auf der Hannover Messe.
Verwaltungsschale und Digitaler Zwilling
Die Verwaltungsschale war und ist ein Vorzeigeprojekt und liefert eine standardisierte Beschreibung von Komponenten, auf die viele Aussteller auf der Messe mit ihren Produkten jetzt aufbauen. Das Konzept ist thematisch eng verknüpft mit dem digitalen Zwilling. Am ersten Messetag diskutieren Industrievertreter über den „standardisierten digitalen Zwilling für eine nachhaltige Industrie.“ Der digitale Zwilling ist auch für Lenze ein entscheidendes Element auf der Plattform „Nupano“.
Die Idee: Maschinen- und Anlagenbauer wollen neue Erlösquellen erschließen. Der Druck auf sie wächst, denn sie müssen sich durch digitale Zusatzangebote differenzieren. Dafür fehlt es jedoch häufig an den passenden Ressourcen und dem notwendigen Know-how. Lenzes Open Automation Platform soll dabei unterstützen. Sie bietet einen Raum für digitale Innovationen auf Maschinen- und Anlagenebene und schafft den Zugang zu neuen Geschäftsmodellen – und das ganz ohne Kenntnisse der Informationstechnologie (IT) aufseiten des Anwenders. Die Niedersachsen setzen dabei auf offene, bewährte IT-Architekturen und -Technologien. Der Aussteller schlägt damit die Brücke von der OT (Operational Technology)- zur Informationstechnik-Welt.
Fruchtbare Kooperationen und Weiterbildungen zum Thema
Die Hannover Messe gilt als perfektes Schaufenster für Industrie 4.0. Es geht immer noch um vernetze Maschinen, Sensorik, Daten und Informationen, neue Geschäftsmodelle, aber auch um eine neue Denkweise in der Industrie: Unternehmen müssen auf Plattformen präsent sein, müssen eigene Plattformen entwickeln oder bespielen. Automatisierer sollen mit den Kunden kollaborieren, müssen dabei auch in „Open Source“ denken. Es gilt, gemeinsam Produkte zu entwickeln, junge Unternehmen sowie neue Branchen wie die Gaming-Industrie (Gaming Engines in der Robotik) einzubinden, voneinander zu lernen, in neuen Konstellationen zusammenzuarbeiten (Coopetition) und mit anderen Business-Cases Geld verdienen (Subscription). Industrie 4.0 ist damit auch ein Kultur- und Bildungsthema. Umfassende Trainings- und Qualifizierungsangebote bietet beispielsweise Festo Didactic mit der „CP-Factory“, einer universellen Industrie 4.0-Forschungs- und Lernplattform, an.
Aber wie geht es generell weiter? Manche sprechen schon von Industrie 5.0. Damit das volle Potenzial erschlossen werden kann, braucht es Daten. Viele Daten, auf die alle am Wertschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen zugreifen können. Ein neues zusammenhängendes Daten-Ökosystem soll Abhilfe schaffen: Manufacturing X. Vorangetrieben wird diese Vision einer souveränen und sicheren Datenplattform unter anderem von den Wirtschaftsverbänden BDI, VDMA und ZVEI. Im engen Schulterschluss mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz werden auf der Hannover Messe die ersten Schritte zur Umsetzung vorgestellt. Doch den realistischen Blick auf die Fertigung von morgen hat eventuell die „SmartFactory“ aus Kaiserslautern mit ihrer „Production Level 4“-Demonstratorlandschaft? Die Besuchenden der Messe können sich vor Ort selbst eine Meinung bilden. Und in Hannover können alle voneinander lernen.
Lösungen für eine vernetzte und klimaneutrale Industrie
Was steht ansonsten auf der Hannover Messe im Fokus? Die Liste der Herausforderungen für die Industrie ist derzeit lang: Klimawandel, Energieknappheit, unterbrochene Lieferketten, Fachkräftemangel. Die Lösung dafür liegt im konsequenten Einsatz von Technologien. Gleichzeitig müssen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden. Die Messe will 2023 beides bieten: Technologien für eine vernetzte und klimaneutrale Industrie zeigen sowie als Weltbühne für den Diskurs zwischen Industrie, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft fungieren. Die „Weltleitmesse der Industrie“ verbindet diesmal die Ausstellungsbereiche Automation, Motion & Drives, Digital Ecosystems, Energy Solutions, Engineered Parts & Solutions, Future Hub, Compressed Air & Vacuum und Global Business & Markets. Zu den Top-Themen zählen (neben Industrie 4.0, IT-Sicherheit und künstlicher Intelligenz) auch Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft, Logistik 4.0 sowie Wasserstoff und Brennstoffzellen. Konferenzen und Foren ergänzen das Programm.
Unter dem Leitthema „Industrial Transformation – Making the Difference“ zeigen rund 4000 Unternehmen aus dem Maschinenbau, der Elektro- und Digitalindustrie sowie der Energiewirtschaft Lösungen für die Produktion und Energieversorgung der Zukunft. Von der Digitalisierung und Automatisierung komplexer Produktionsprozesse über den Einsatz von Wasserstoff zur Energieversorgung von Fabriken bis hin zur Anwendung von Software zur Erfassung und Reduzierung des CO2-Fußabdrucks bietet die Hannover Messe ein ganzheitliches Bild und soll für jede der aktuellen globalen Herausforderungen Lösungsansätze zeigen. Smart Energy Monitoring-Lösungen der Aussteller helfen dabei, Energieverbräuche auf Maschinenebene zu ermitteln, zu optimieren und damit den CO2-Fußabdruck zu reduzieren.
Energie- und Hoffnungsträger Wasserstoff
Grüner Wasserstoff ist in aller Munde. Die Industrie will sich damit aus der Abhängigkeit von fossiler Energie lösen und CO2-Emissionen reduzieren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bezeichnet Wasserstoff derweil als einen Schlüsselenergieträger, der für den langfristigen Erfolg der Energiewende und für den Klimaschutz essenziell ist. Dennoch gibt es bislang ungelöste Herausforderungen. Das Herstellen von Wasserstoff ist aufwendig und teuer. Fragen der Verfügbarkeit, des Transports und der Speicherung im großen Maßstab müssen noch geklärt werden. Mehr als 500 Unternehmen auf der Hannover Messe zeigen Lösungen für den Einsatz von Wasserstoff in der Industrie. Damit ist sie als die weltweit wichtigste und größte Plattform zum Thema Wasserstoff anzusehen. Anwender aus der Industrie und politische Entscheidungsträger können sich in Hannover ein ganzheitliches Bild über das Potential des Energieträgers machen und erkennen, welche Weichen auf dem Weg zu einer wasserstoffbasierten Industrie zu stellen sind.
Nachwuchsinitiative und Karrierekongress
Mit der Nachwuchsinitiative „Your Future“ hat die Messe gemeinsam mit Partnern ein neues Konzept entwickelt, das sich in erster Linie an Abschlussklassen, Student*innen und „Young Professionals“ richtet. Ihnen wird eine zentrale Diskussionsplattform sowie geführte Touren zu interessierten Ausstellern geboten. Und: Der Karrierekongress „WomenPower“ ist eine der erfolgreichsten Netzwerk- und Diskussionsveranstaltungen für Frauen, wenn es um Diversität, Karriereförderung, Nachhaltigkeit und neue Arbeitswelten geht. Der Kongress wird alljährlich bei der Messe ausgerichtet und richtet sich in erster Linie an Teilnehmer*innen aus dem MINT-Bereich. In diesem Jahr lautet das Motto „Celebrate Diversity“.
Außerdem: Mit Indonesien präsentiert sich die größte Wirtschaftsmacht in der Asean-Region als Partnerland. Das Motto lautet: „Making Indonesia 4.0“. Bis 2030 möchte Indonesien eine der zehn größten Volkswirtschaften der Welt sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung soll bis dahin auf knapp 52 Prozent anwachsen. Auf der Messe möchte sich das aufstrebende Land als zuverlässiger Partner für Unternehmen rund um den Globus präsentieren.
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