Maschinelles Lernen unterstützt die Qualitätskontrolle
Künstliche Intelligenz (KI) bietet in der diskreten Fertigung zahlreiche Chancen, die Abläufe zu optimieren. Gewinnbringend wird sie beispielsweise in der Qualitätskontrolle in der Automobilindustrie eingesetzt.
Als diskrete Fertigung wird eine Produktionsumgebung bezeichnet, in der Produkte als abzählbare Einheiten hergestellt werden – beispielsweise bei Automobilen oder hochwertigen Konsumgütern. Merkmal ist eine Linienstruktur, in der jedes herzustellende Teil nacheinander verschiedene Arbeitsstationen durchlaufen muss, welche in einem Arbeitsplan oder in Fertigungsaufträgen festgehalten sind. Seit 2020 ist das Thema „maschinelles Lernen in der diskreten Fertigung“ ein neuer Produktbereich von abat+. Der internationale Softwareanbieter aus St. Ingbert nimmt damit eine Vorreiterrolle ein.
Anwendungsfall: QS in der Automobilindustrie
Einer der „Use Cases“ zur Qualitätskontrolle lässt sich folgendermaßen beschreiben: „Karosserie, linke Seite, im Heck ist ein Kratzer zu sehen“, dokumentiert der fiktive Mitarbeiter „Andreas Werker“. „Schon wieder dieser Fehler“, bemerkt er, dennoch arbeitet er routiniert seine Checkliste mit Prüfpunkten weiter ab und sendet das fehlerhafte Auto zur Nacharbeit. Er ist zuständig für die Qualitätssicherung (QS) bei einem führenden deutschen Hersteller im Bereich Automotive. In seinem Beruf muss er täglich hunderte Autos auf die verschiedensten Qualitätspunkte hin überprüfen. Sein persönliches Ziel ist es, keinen Fehler zu übersehen und damit fehlerfreie Autos übergeben zu können.
Diese fiktive Person wurde neben weiteren als exemplarischer Anwender für den Einsatz von KI in der Qualitätskontrolle identifiziert. Täglich muss sie mit vielen Checklisten und Karosserien interagieren – und daher auch viele Fehler kennen. Während der täglichen Arbeit fielen Andreas Werker bereits einige Dinge auf, die ihn daran hinderten, optimal arbeiten zu können. Dazu gehört, dass er manche Prüfpunkte in der Software direkt überspringt. Dank seiner Erfahrung weiß er, dass diese bei einem bestimmten Typ von Auto noch nie vorgekommen sind. Im Gegensatz dazu sind einige Fehler genauer zu überprüfen, da sie häufiger auftreten als andere.
Qualität steigern durch Machine Learning
Nicht nur Andreas Werker sind diese Abläufe bekannt, auch dem Team KI (Künstliche Intelligenz) bei abat+ sind die Probleme geläufig. In diesem Team vereint sich langjährige Erfahrung aus diskreter Fertigung sowie Produktionssteuerung mit den neuesten Entwicklungen im Themengebiet „Künstliche Intelligenz“. Der aktuelle Fokus liegt auf der QS in Produktion und Fertigung, Bild 1.
Durch den neuartigen Einsatz von maschinellem Lernen kann der Kontrollvorgang merklich beschleunigt und vereinfacht werden. Zudem ist es möglich, unmittelbar Schwerpunkte auf Fehlerquellen zu legen. Ziel ist es, eine nachhaltige Qualitätssteigerung durch den effektiven Gebrauch von Machine Learning zu erreichen – anhand von Use Cases, die einen Einblick in die vielfältigen Optionen zum Einsatz von KI geben.
Daten zu verwertbaren Informationen aufbereiten
Die Voraussetzung zur Entwicklung einer individuellen Lösung für die Qualitätskontrolle ist das Sammeln und Auswerten einer großen Menge an Daten. Diese werden im laufenden Betrieb tagtäglich generiert und beschreiben detailliert sämtliche Prozesse der gesamten Produktion. Für den Use Case der Qualitätskontrolle wurden die Betriebsdaten der Kontrollstationen ausgelesen. Die Daten bilden daher große Prüfumfänge mit vielen einzelnen Schritten ab.
Zu Beginn waren die erhaltenen Qualitätsdaten allerdings noch „roh“, das heißt ungeordnet und teilweise auch redundant. Es existieren zum Beispiel viele Datenbanken mit der Auftragsnummer, aber unterschiedlichen zusätzlichen Informationen – wie der Farbe des Autos oder dazu, auf welcher Seite das Lenkrad eingebaut ist. Diese Daten müssen daher zu verwertbaren Informationen aufbereitet werden.
Zur Bewältigung der Datenflut wurden vielversprechende Methoden evaluiert und weiterentwickelt. Die einzelnen Tabellen werden durch dieses Vorgehen in einen größeren Datensatz umgewandelt und daraufhin beispielsweise alle doppelten Spalten entfernt. Für die weiteren Schritte bedarf es noch genauerer Kenntnisse über die Daten und deren Beziehungen zueinander.
Unbekannte Zusammenhänge sichtbar machen
„Mithilfe unseres Verständnisses der Abläufe in der diskreten Fertigung können aus dem so entstandenen Datensatz die jeweils interessanten Informationen gefiltert und in logische Beziehungen gesetzt werden“, erläutert Philipp Stopp, Projektleiter im KI-Projekt der abat+. Auch der Austausch mit den Endanwendern ist dabei von entscheidender Bedeutung: Andreas Werker bemerkte beispielsweise, dass ein bestimmter Fehler häufiger vorkam, konnte jedoch aufgrund der fehlenden umfassenden Datenkenntnis den Grund dafür nicht erkennen.
„Diese bislang unbekannten Zusammenhänge können wir durch unterschiedliche statistische und mathematische Operationen sowie den Einsatz von neuronalen Netzen sichtbar machen. Es bestätigte sich, dass einzelne Prüfschritte häufiger Fehler aufwiesen als andere. Ebenso wurden beispielsweise 5 von 150 Prozessschritten ausfindig gemacht, die bei keiner Prüfung einen Fehler aufwiesen“, so Stopp. Neben der Häufigkeit stellte das Team zusätzlich eine höhere Fehlerrate während der Mittagsschicht fest. Auch ein Zusammenhang besonderer Sonderwünsche – wie Farbe des Autos oder eine spezielle Konfiguration – wurden im Hinblick auf das Auftreten von Fehlern untersucht. Hier zeigte sich ebenfalls, gemessen am Gesamtanteil der Sonderwünsche, eine Häufung der Fehler bei bestimmten Bauteilen.
Prozessdaten können für Optimierungen genutzt werden
Neben der Auswertung der Prozessdaten gilt es, sie anschließend auch für Verbesserungen zu nutzen. An dieser Stelle kommt das maschinelle Lernen zum Einsatz. Für die Zukunft wird sich das Modell aneignen, welche Fehler nie vorkommen oder vermehrt in gewissen Konstellationen auftreten. Durch diese Unterstützung können Mitarbeiter bestimmte, von der KI vorgeschlagene Prüfpunkte direkt überspringen und die Aufmerksamkeit auf tendenziell fehlerhafte Bereiche lenken.
Dies ist aber nur ein Auszug der Einsatzmöglichkeiten von maschinellem Lernen. Die Person Andreas Werker bekommt zukünftig nur die relevanten Prüfpunkte angezeigt und hat dadurch mehr Zeit, diese eingehender zu untersuchen. Abhängig von der Konfiguration des Autos werden ihm so, individuell bei jedem Typ, die problembehafteten Stellen angezeigt. Darüber hinaus wird mit dieser Vorgehensweise die Qualität der Kontrollen direkt verbessert. Durch eine mögliche Reduzierung der Prüfpunkte und mehr Abwechslung in der Kontrolle selbst, kann die Aufmerksamkeit besser erhalten und gelenkt werden.
Eine Verbesserung der Qualitätskontrolle wünscht sich auch „Markus Manager“, eine zweite fiktive Person im Automobilunternehmen. Er ist zuständig für den reibungslosen Ablauf der Produktion und sucht regelmäßig nach Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung. Dabei hegt er einen hohen Anspruch: „Erst wenn die Produktion einwandfrei läuft und die Mitarbeiter adäquat arbeiten können, werden neue Ideen umgesetzt!“ Der vorgestellte Use Case zur Reduzierung der anfallenden Nacharbeit und Unterstützung seiner Mitarbeiter ist daher ganz in seinem Sinne, Bild 2. Darüber hinaus möchte er aber noch weitere Optimierungsvorschläge erhalten.
Neben der beschriebenen Datenauswertung gehören daher auch die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zum Portfolio im Bereich KI. Das Angebot der abat+ beschränkt sich nicht nur auf Qualitätskontrollen, sondern lässt sich vielfältig auf die unterschiedlichen Herausforderungen anpassen.
Vorausschauende Wartung und Prozess-Monitoring
Eine weitere Anwendung kann beispielsweise im Hinblick auf „Predictive Maintenance“ eingesetzt werden, etwa um unnötige Bandstillstände aufgrund von Wartungen zu vermeiden. Durch das Auslesen der Maschinendaten besteht die Option, eine nachlassende Genauigkeit sofort festzustellen. Gleichzeitig findet eine Überwachung von zusätzlichen Maschinenteilen hinsichtlich der Leistung statt, wodurch der optimale Zeitpunkt zum Wechsel von Gerätekomponenten ermittelt werden kann.
Das Angebot besteht in der Bereitstellung diverser Algorithmen & Techniken, die auf einem Baukastenprinzip aufbauen. Damit lassen sich individuelle Problemstellungen auf Basis unterschiedlicher Datenstrukturen lösen. Dazu gehören die Sprach-, Bild- und Mustererkennung sowie allgemein die Prozessoptimierung. Darüber hinaus können, wie im Use Case beschrieben, die Mitarbeiter besser unterstützt oder ein Prozess-Monitoring für die leitenden Positionen erstellt werden.
„Da die Daten ohnehin vorhanden sind, können sie nun endlich auch umfassend genutzt werden“, meint Markus Manager erfreut, als er die Leistungsübersicht der einzelnen Maschinen angezeigt bekommt. Auf dem Monitor sind beispielsweise Daten zu Temperatur und Drehmoment angegeben. Durch den umfassenden Überblick sieht er direkt weitere Möglichkeiten zur Einsparung im Produktionsablauf.
Passgenaue Anwendungen gemeinsam entwickeln
Das kleine „Intermezzo“ mit dem fiktiven leitenden Mitarbeiter macht deutlich, wie wichtig abat+ ein unmittelbarer Kundenkontakt zur Erstellung einer passgenauen Anwendung ist. Für das genaue Verständnis der Daten und deren Zusammenhänge arbeitet das Team deshalb während des agilen Entwicklungsprozesses nach Scrum eng mit dem Kunden zusammen. Mit eingehender Beratung werden gemeinsam Strategien zum Vorgehen bzgl. Maschinen-, Prozess- oder Betriebsdaten entwickelt und umgesetzt. Darüber hinaus gibt es eine umfassende Betreuung beim Einsatz der Lösungen. Der Fokus liegt auf den Branchen Automotive und Diskrete Fertigung. abat+ beschäftigt weltweit rund 220 Mitarbeiter und berät führende Automotive-Hersteller und Kunden aus der Produktion, wie Audi, Daimler, Miele, nobilia und Qoros.
„Unser Anspruch als Team KI ist es, genau auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden einzugehen. Dazu haben wir uns intensiv mit den Wünschen und Problemen auseinandergesetzt, woraus diese kleinen Geschichten zu Andreas Werker und Markus Manager entstanden. Nach erfolgreichem Abschluss eines gemeinsamen Projekts ist es unser Anspruch, dass die beiden sagen: Ohne die Unterstützung dieser KI möchte ich nicht mehr arbeiten müssen – auf sie vertraue ich“, betont Philipp Stopp abschließend.
Die Grundlage bilden die eigenen Daten des Kunden, welche auch unter seiner Kontrolle bleiben, aber durch die KI-Lösung erstmalig nutzbar und „veredelt“ werden. Alleinstellungsmerkmal ist die Struktur des Baukastens, wodurch hohe Entwicklungskosten und -zeiten vermieden werden. Denn es bestehen bereits validierte Funktionalitäten, die für das neu angegangene Problem nur noch marginal angepasst werden müssen. Anwendungsmöglichkeiten finden sich z.B. in der Produktion, zum Monitoring von Daten oder zur Automatisierung bislang händischer Vorgänge.
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Salome Schlemer ist Masterandin im KI-Projekt der abat+. Ansprechpartner: Philipp Stopp, philipp.stopp@abatplus.de