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Lieferkettenmanagement 13.06.2024, 13:34 Uhr

Process Mining: Mit datengestützten Einblicken zu mehr Transparenz

Das EU-Lieferkettengesetz bringt weitreichende Verpflichtungen für Unternehmen mit sich. Zugleich bietet es Chancen für mehr Nachhaltigkeit und Effizienz. „Process Mining“ erweist sich dabei als Schlüsseltechnologie, um die komplexen Anforderungen zu meistern und gleichzeitig Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Materialumschlag im Hafen: Unternehmen sind nach dem Lieferkettengesetz verpflichtet, nicht nur ihre eigenen Aktivitäten, sondern auch die ihrer Zulieferer zu überwachen und die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards sicherzustellen. Foto: Pixabay

Materialumschlag im Hafen: Unternehmen sind nach dem Lieferkettengesetz verpflichtet, nicht nur ihre eigenen Aktivitäten, sondern auch die ihrer Zulieferer zu überwachen und die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards sicherzustellen.

Foto: Pixabay

Nachdem die Mehrheit der EU-Staaten nach wochenlangen Debatten im März 2024 für ein gemeinsames Lieferkettengesetz gestimmt hat, rückt die Verpflichtung für europäische Unternehmen näher, eine verantwortungsvolle Steuerung ihrer gesamten Lieferkette zu gewährleisten. Unternehmen sind nach dem Gesetzesentwurf verpflichtet, nicht nur ihre eigenen Aktivitäten, sondern auch die ihrer Zulieferer zu überwachen und die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards sicherzustellen. Zusätzlich müssen sie dokumentieren, dass von ihnen importierte Produkte in den Herkunftsländern nicht zu Kinderarbeit oder Umweltschäden führen.

Erheblicher Mehraufwand für die Industriebetriebe

Die mit dem Gesetz verbundenen Herausforderungen sind komplex: Sie reichen von der Sicherstellung von Transparenz und Compliance in oft global verzweigten Lieferketten bis hin zur Implementierung effektiver Risikomanagement- und Berichterstattungsprozesse. Dies stellt Unternehmen vor die Herausforderung, relevante Informationen über ihre gesamte Lieferkette hinweg nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich – und möglichst automatisiert – zu erfassen und zu pflegen. Spezialisierte Anbieter wie IntegrityNext oder Ecovadis können dabei helfen, aber es gilt auch, langfristig tragfähige Beziehungen zu den Lieferanten aufzubauen.

Das Gesetz bedeutet für Unternehmen einen deutlich größeren Aufwand aufgrund verschärfter Dokumentations- und Kontrollpflichten. Jedoch bietet es auch die Chance, Lieferketten nachhaltig zu verbessern und Prozesse effizienter zu gestalten, um Nachhaltigkeitsziele schneller zu erreichen. Dadurch kann die Auseinandersetzung mit dem Gesetz zu einer Optimierung betrieblicher Abläufe führen, die die Compliance gewährleistet und Resilienz sowie Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

Die transformative Kraft des Process Mining

In diesem Zusammenhang wird die Innovationskraft von Process Mining deutlich. Die Technologie ermöglicht es Unternehmen, die Komplexität ihrer Daten zu entwirren und sich einen umfassenden Überblick über ihre Prozesse zu verschaffen. Häufig sind relevante Daten über verschiedene, nicht miteinander verbundene Systeme verstreut – von ERP (Enterprise Resource Planning)-Software über Excel-Tabellen bis hin zu Lieferantenbewertungstools. Diese Fragmentierung erschwert eine ganzheitliche Prozessbetrachtung, die aber zur Erfüllung der gesetzlichen Berichterstattungspflichten notwendig wäre.

Process Mining sorgt für tiefe Einblicke in die Lieferkettenprozesse und eröffnet die Fähigkeit, komplexe Datenströme effektiv zu nutzen.

Foto: Pixabay

Process Mining setzt hier an, indem es die Unternehmensprozesse wie ein Röntgengerät durchleuchtet, Daten aus internen sowie externen Quellen zusammenführt und eine ganzheitliche Sicht auf die Abläufe ermöglicht. Durch die Analyse der Daten in Echtzeit können Unternehmen Ineffizienzen, Engpässe oder Schwachstellen erkennen und gezielt angehen. Ob es darum geht, mit den richtigen Lieferanten zu arbeiten, unnötige Leerfahrten zu vermeiden oder Produktionsabläufe effizienter zu gestalten – die Methodik hilft, solche Probleme zu identifizieren und (teil-)automatisiert zu beheben. Dies führt nicht nur zu kurzfristigen Erfolgen, sondern kann auch eine grundsätzliche Optimierung des Geschäftsmodells in Richtung Nachhaltigkeit unterstützen.

Datenanalyse als Wegbereiter für nachhaltige Lieferketten

Durch den Einsatz von Process Mining gewinnen Unternehmen tiefe Einblicke in ihre Lieferkettenprozesse und erlangen die Fähigkeit, komplexe Datenströme effektiv zu nutzen. So können sie externe Lieferantenbewertungen und selbst berichtete Werte, z. B. zum CO2-Fußabdruck oder zum Energieverbrauch, sammeln und in Beschaffungssysteme einbinden. Nachhaltigkeitskriterien lassen sich somit bereits im Bestellprozess berücksichtigen. Die optimierte Lieferkette kann darüber hinaus auch zu einer Reduzierung von Emissionen aus Logistikprozessen führen. So können Unternehmen Nachhaltigkeitsbestrebungen in ihren Kerngeschäftsprozessen verankern.

Die Material Emissions App zeigt die Einsparpotenziale auf einen Blick. Grafik: Celonis

Die umfassende Erfassung und Analyse von Daten – sowohl aus internen als auch aus externen Quellen – erlaubt es, Emissionen entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten genau zu messen. Dabei lassen sich auch Scope-3-Emissionen – also alle indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette entstehen – gezielt adressieren. So können Unternehmen die Hauptquellen für Emissionen identifizieren und Strategien zu ihrer Reduzierung entwickeln, was den CO2 Ausstoß minimiert und zu Kosteneinsparungen führt.

Weg zur Nachhaltigkeit – ein Praxisbeispiel

Der weltweit agierende Anbieter im Maschinen- und Anlagenbau Dürr demonstriert, wie Process Mining zu einer Transformation hin zu nachhaltigeren Geschäftspraktiken beiträgt. Mit der Einführung der „Material Emissions App“ von Celonis ist das Unternehmen in der Lage, den CO2-Fußabdruck seiner Beschaffungsaktivitäten genau zu bestimmen und systematisch zu reduzieren. Das Co-Innovations-Projekt ist Teil eines umfassenden Klimaplans der Gruppe, der eine signifikante Reduktion der Emissionen bis 2030 und Netto-Null-Emissionen bis 2050 vorsieht. Dies betrifft sowohl die direkten und indirekten Emissionen (Scope 1 und 2) als auch die Emissionen entlang der Lieferkette (Scope 3).

Die aktuelle Emissionsentwicklung lässt sich jederzeit mit definierten Zielwerten abgleichen. Grafik: Celonis

Die Kooperation des Maschinenbauers mit Celonis und dessen Partner Climatiq bündelt Kompetenzen in den Bereichen Process Mining, Künstliche Intelligenz, Emissionsmessung und Maschinenbau. Der Prototyp der eingesetzten App liefert bereits Ergebnisse, die Dürr nicht nur bei der Erreichung seiner Nachhaltigkeitsziele unterstützen, sondern auch dabei helfen dürften, den künftigen gesetzlichen Anforderungen des EU-Lieferkettengesetzes gerecht zu werden. Dank der Material Emissions App lassen sich die Emissionen für beschaffte Waren und Dienstleistungen genau messen.

Mit dem vordefinierten Mapping von Climatiq und einer Methodik, die auf dem „Greenhouse Gas Protocol“ basiert, kann der Maschinen- und Anlagenbauer kontinuierliche Materialemissionen verfolgen und so gezielt Maßnahmen ergreifen, um seine Umweltziele zu erreichen. Außerdem unterstützt die App die Bewertung und Umsetzung von Reduktionsmöglichkeiten für Scope-3-Emissionen, indem sie Vorschläge zur Beschaffung von umweltfreundlicheren Anbietern macht, ohne dabei die Geschäftsperformance zu beeinträchtigen.

Die automatisierte Erfassung aller Materialien gewährleistet eine genaue Datengrundlage. Grafik: Celonis

Process Mining als Motor für nachhaltiges Wachstum

Das EU-Lieferkettengesetz markiert einen Meilenstein auf dem Weg zu einer ethischen und verantwortungsbewussten Unternehmensführung. Process Mining eröffnet hier immense Möglichkeiten, nicht nur die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, sondern auch die unternehmerische Entwicklung voranzutreiben. Die Fähigkeit, komplexe Lieferketten transparent darzustellen und zu optimieren, stellt für Industriebetriebe somit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar.

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Janina Bauer ist Global Head of Sustainability bei Celonis in München. Foto: Celonis