Wer darf an die Maschine? – Zugangsberechtigung mittels KI-Gesichtsunterscheidung
Fachkräftemangel, zunehmende gesetzliche Regulierungen und wachsende Sicherheitsansprüche erschweren den Arbeitsalltag in Fertigungsunternehmen – und dies alles im Kontext mit immer höher automatisierten Anlagen oder Maschinen. Eindeutige Konzepte für die Kontrolle der Zugangsberechtigung sind notwendig.
Im Betrieb stellen sich häufig Fragen wie: Wer darf eine bestimmte Maschine bedienen? Wer darf sie warten? Oder reinigen? Und bei welcher Schicht? Aktuelle Zugangsberechtigungskonzepte lösen das bisher meistens über Zugangscodes, Zugangskarten oder RFID-Chips. Doch diese Vorgehensweise birgt Risiken.
Zugangscodes und -karten lassen sich leicht „austricksen“.
Alle zuvor genannten Methoden sind anfällig für die Weitergabe (jeder, der den Chip hat, hat auch die entsprechende Berechtigung). Oder sie regen sogar zur Manipulation an. Dies kann zu Schadensersatzansprüchen an den Betreiber oder Hersteller, zu Qualitätsproblemen oder sogar zu schweren Unfällen führen.
„Gesichtserkennung ist zum Beispiel beim Smartphone schon seit einigen Jahren allgegenwärtig. Eingesetzt in der Industrie, erfordert sie entweder hohe Rechenkapazitäten oder Internet-Zugang zur Cloud. Das führt zu laufenden (Konnektivitäts-) Kosten und ist darüber hinaus anfällig für Angriffe und auf eine Infrastruktur (Netzwerk, Server- oder Cloudverbindung. In vielen Anwendungen sind die kontinuierlichen Betriebskosten eines solchen Systems daher nicht wirtschaftlich,“ erläutert Viacheslav Gromov, Gründer und Geschäftsführer des KI-Spezialisten Aitad. Das Unternehmen entwickelt elektronikbezogene künstliche Intelligenz (Embedded-KI), die in Geräten und Maschinen lokal und in Echtzeit definierte Aufgaben übernimmt. Gromov verfügt als Verfasser zahlreicher Beiträge sowie diverser Lehrbücher im Halbleiterbereich über große Expertise. Er ist in verschiedenen KI- und Digitalisierungs-Gremien tätig, unter anderem von DIN und DKE sowie der Bundesregierung (DIT, BMBF).
Die Problemstellung lautet im beschriebenen Fall: In sicherheitsrelevanten Industrie-Umgebungen ist möglicherweise der Internetanschluss nicht vorhanden oder erlaubt. Des Weiteren kommen Bedenken in Bezug auf die erhobenen biometrischen und personenbezogenen Daten hinzu. An diesen Anforderungen sind solche, den bestehenden Systemen durch Manipulations-Resistenz bei gleichzeitiger hoher Identifikationssicherheit überlegene Technologien bisher meist gescheitert.
Es muss nicht immer Identifikation sein
In vielen Fällen muss es aber gar nicht die Identifikation sein. Vielmehr sollte es bei zahlreichen Anwendungen ausreichen, beispielsweise die zwanzig an der Maschine arbeitenden Kollegen zu unterscheiden, anstatt zu erkennen. Unterscheiden bedeutet das technische Diskriminieren zwischen bekannten Identitäten – nicht aber die Identifikation unter Millionen von möglichen Personen. Während die Identifikation eher für Zugangssysteme wie z.B. Sicherheitstüren relevant ist, ist der Kreis der Personen, die die Maschine bedienen dürfen, meist deutlich eingeschränkter.
Gesichtsunterscheidung eignet sich gut für Zugangsberechtigungen an zum Beispiel Industriefahrzeugen wie Baggern, Baumaschinen, genauso aber CNC-Fräsen, Drehmaschinen, Schleifmaschinen, Spezialmaschinen, Anlagen in der Pharmaherstellung, Lebensmittelproduktionsmaschinen und vielem mehr.
„Embedded-KI eröffnet hier neue Möglichkeiten. Wir sind auf die Entwicklung, Fertigung und Lieferung von Embedded-KI-Sensoren spezialisiert und entwickeln für Maschinen- und Anlagenbauer sowie Baumaschinenhersteller kundenspezifische, lokale Gesichtsunterscheidungssysteme. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass biometrische Daten die Sensorplatine nicht verlassen – der komplette Prozess geschieht zuverlässig vor Ort auf den Halbleitern. Dies vermindert Datenschutz- sowie Sicherheitsprobleme. Darüber hinaus braucht das System keine Netzwerkanbindung, es entstehen also keinerlei Konnektivitäts-Folgekosten (wie Cloud-Gebühren). Es spricht also einiges für ein solches Nutzer-Unterscheidungssystem“, erläutert Gromov weiter.
Die Funktionsweise des Embedded-KI-Sensors
Ein solcher Embedded-KI-Sensor ist nur wenige Zentimeter groß. Ein Time-of-light-Sensor bzw. eine integrierte Nahinfrarot-Kamera (NIR) macht das System unabhängig vom Umgebungslicht. So entsteht auch bei Dunkelheit eine 3D-Aufnahme des Gesichts. Die auf dem Sensor befindlichen KI-Modelle extrahieren daraus diverse Merkmale (vereinfacht gesagt: Nasen- und Ohrenlänge – die realen Merkmale sind jedoch deutlich komplexer). Daraus entsteht ein Muster, das mit bereits erlernten anderen Mustern verglichen wird. Bei Übereinstimmung übergibt der Sensor ein Signal an die Steuerung – es liegt nun am Kunden, welche Aktion auf das Signal folgen soll – ob es beispielsweise mit bestimmten Zugangsrechten verknüpft wird.
Dabei ist es auch möglich, festzulegen, wie nah die Person dem Sensor kommen muss, was geschieht, wenn sie das Sichtfeld verlässt oder auch, wenn sie sich nicht mehr bewegt (wie als Ersatz für den „Totmannschalter“). Das System kann zusätzlich um eine Aktivitätserkennung erweitert werden, um aus einem Energiesparmodus zu erwachen.
Wie wird ein solches System trainiert?
Ähnlich, wie man es vom Smartphone kennt, blickt ein neuer Nutzer mehrfach in den Sensor; der Prozess dauert nicht länger als ein bis zwei Minuten. Von der Maschinensteuerung aus kann (zum Beispiel über das in der Maschine verbaute Display) dem gelernten Muster eine Personen-ID mit (auch uhrzeitabhängigen) Berechtigungsstufen zugewiesen werden. Die gelernten Muster sind abstrakte Strukturen, die Wiederherstellung eines Gesichts aus diesen Mustern ist nahezu unmöglich. Darüber hinaus wird das Auslesen der Muster aus dem Sensor technisch verhindert.
„Unternehmen sollten unbedingt auf ein maßgeschneidertes System setzen. Je nach Entwicklungsart – Berücksichtigung von Richtlinien, Anbringung, Schutz und Interface, Größe und Funktionsumfang – belaufen sich die Kosten für einen kundenspezifischen Sensor auf 100 bis 1.500 Euro im Volumen,“ so Gromov abschließend. Sein Unternehmen befasst sich mit der Entwicklung, Testung und Serienfertigung von KI-Elektroniksystemen, insbesondere in Verbindung mit maschinellem Lernen im Industriekontext. Die Offenburger sind „KI-Champion Baden-Württemberg“ 2023, gelten als einer der Top 100-Innovatoren 2023 und sind darüber hinaus Gewinner des „embedded award“ 2023 in der Kategorie KI. Spezialgebiete sind Preventive/Predictive Maintenance, User Interaction und funktionale Innovationen.
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