Werkzeugmaschinenbauer setzt auf digitale Transformation
Neben der Digitalisierung der Wissensarbeit rückt auch die des Shopfloors, also der Mitarbeitenden in den Werkhallen, verstärkt ins Visier von IT-Partnern. Gezeigt wird, wie sich die Arbeitsabläufe in den Produktionsstätten eines Traditionsbetriebs deutlich verbessern ließen.
Ein seit 125 Jahren gewachsenes, nachhaltig geführtes Familienunternehmen ist Kapp Niles. Die Coburger bieten hochwertige Lösungen rund um die Feinbearbeitung von Verzahnungen und Profilen an. Aufgrund des perfekten Zusammenspiels von Maschine, Werkzeug, Technologie und Messtechnik kann der Anbieter präzise Bearbeitungen auf Tausendstel Millimeter und bis zu einem Durchmesser von acht Metern garantieren.
Mit Systemlösungen, die individuell auf Kundenanforderungen optimiert sind, durch innovative Dienstleistungen und digitale Lösungen unterstützt werden und über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg betreut werden, ist Kapp Niles langjähriger Partner von Unternehmen aus den Branchen Mobilität, Automatisierung und Energie. Das Unternehmen beschäftigt in Deutschland rund 1.050 Mitarbeitende an den Standorten Coburg, Berlin, Großostheim und Karlsruhe. Weltweit werden neun Produktionsstandorte und zwei Vertriebs- und Serviceniederlassungen unterhalten.
Ambitionierte Planung in Richtung Cloud
Seit 2018 ist Dominik Kainath als Teamleiter in der Informationstechnik mit der IT-Infrastrukturplanung der Unternehmensgruppe betraut. In enger Abstimmung mit der Unternehmens- und IT-Leitung hat er 2019 einen ambitionierten 5-Jahres-Plan erstellt, der alle Herausforderungen der hybriden Arbeitswelt einbezog und neben größerer Flexibilität in den Betriebsabläufen auch eine bessere Einbindung der Mitarbeitenden auf dem Shopfloor umfasste.
Drei Problematiken gaben Anlass zu dieser groß angelegten hybriden Neustrukturierung der Firmen-IT. Kainath beschreibt: „Zum einen erforderte die heterogene Verwaltung diverser uneinheitlicher Systeme ein breites Wissensspektrum der Administratoren. Bei 16 Personen in der IT-Abteilung und rund 1.800 IT-Arbeitsplätzen ist das unmöglich abbildbar. Wir arbeiteten vor allem mit ,Skype for Business‘, doch durch den komplexen lokalen Aufbau und die umständliche Wartung des Clients waren wir stets auf die Unterstützung von externen Partnern angewiesen. Die Trennung des Chats, der Dateien und Videobesprechungen von Arbeitsgruppen war sehr umständlich und führte zu unerwünschten Schleifen. Dann gab es noch zahlreiche Probleme mit der Inter-Konnektivität zu anderen Lösungen, was regelmäßig in Besprechungen zu Ausfällen oder dem Rückfall auf reine Telefonkonferenzen führte.”
Dank „Microsoft Exchange“ sollte die Bestandsinfrastruktur schnell und sicher auf ein neues Level an Sicherheit und Benutzungsfreundlichkeit transferiert werden. „Dann wollen wir Cloud-Dienste, wie OneDrive und SharePoint, ausrollen und mit dem bestehenden System zusammenführen. Entsprechende Use-Cases und Schulungen für die Belegschaft garantieren einen reibungslosen Übergang“, ergänzt Stefan Neumann vom IT-Partner Bechtle-Comsoft das Transformationsvorhaben.
Lösung für das Schließen von Digitalisierungslücken
Durch den Einsatz von Multifaktor-Authentifizierung, „Office Anywhere“ und „SharePoint“ konnten in die Jahre gekommene Lösungen – wie Laufwerksfreigaben oder VPN – auf ein Minimum reduziert werden. Die Einführung von „Microsoft Teams“ löste gleich viele Probleme: Umfassend, einfach und in die Lizenzstruktur der M365-Verträge integriert, war es sofort nutzbar.
Zudem eröffnete die Ablage-Struktur in Teams und Chats dem Werkzeugmaschinen- und Messtechnikanbieter die Möglichkeit, über die Rechenzentrumsgrenzen hinweg Unternehmensinformationen sicher abzuspeichern – und vor allem wiederzufinden. Komplexe Suchmöglichkeiten stellten einen klaren Vorteil zu vorherigen Prozessen dar. Nach der Umstellung von Serverdiensten in Hybridstellung folgte 2022 schließlich der Lasttransfer in die Cloud sowie das Schließen noch offener technischer Lücken. Ein schlussendlich leicht zu bedienendes Gesamtsystem in der Cloud war entstanden.
Besonders positiv aufgenommen wurde die Möglichkeit, den Personenkreis selbst zu steuern, also selbstständig dem eigenen virtuellen Team Mitglieder hinzuzufügen und Berechtigungen zu verwalten. „Die Gruppenbildung in Teams und die Ablage in SharePoint haben den Mitarbeitenden auf dem Shopfloor ein einfaches Tool an die Hand gegeben, das diese Herausforderungen löst. Einige unserer Mitarbeitenden haben sich zu einem Citizen-Development-Team formiert, in dem Erfahrungen und Workflows ausgetauscht werden. Mittels ,Power Platform‘ erkannte Digitalisierungslücken lassen sich durch einfache Applikationen sofort schließen”, erklärt Kainath.
Alle Arbeitsstationen mobil vernetzt
Stationäre Computerarbeitsplätze, mit denen auf digitale Lösungen, wie Wartungsprotokolle oder Schichtpläne, zugegriffen werden, sind in Werkhallen wenig sinnvoll. Kapp Niles bemühte sich daher um eine mobile Hardware-Lösung auf dem Shopfloor und ließ die Anwender:innen in den eigenen Hallen mehrere Geräte und Tablets „auf Herz und Nieren“ testen. Unter vielen verschiedenen Optionen konnte sich schlussendlich „Microsoft Surface Go 2“ durchsetzen. Durch die Kombination aus Teams und dem Surface Go sind die Mitarbeitenden an den Maschinen und auf dem gesamten Shopfloor jederzeit gut miteinander vernetzt.
So konnten in der Folge schnell personalisierte Wechselarbeitsplätze für Produktionsmitarbeitende geschaffen werden. Trotz eines Schichtwechsels garantiert das Vorgehen die durchgängige Kommunikation an einem gemeinsamen Arbeitsplatz – insbesondere an den kostenintensiven Maschinen. Denn dort wurden die Informationen über lange Zeit handschriftlich oder mündlich ausgetauscht.
Wie sieht der Einsatz in der Praxis aus?
Die Kollegen im Shopfloor haben für das Surface Go 2 praktische Gurte fürs Handgelenk und den Oberkörper, zusammen mit einer bruchsicheren Hülle, angefordert. Das heißt, sie können sich flexibel durch die Fertigung bewegen und dabei unter anderem mit der Kamera die Maschinen scannen, um wichtige Informationen über den Status sowie Übergabeprotokolle abzurufen. Dadurch sind Mitarbeitende jederzeit über den Zustand einer Maschine und eventuelle Wartungsnotwendigkeiten informiert. Zusätzlich können Bedienungsanleitungen zu der jeweiligen Maschine eingesehen werden. So können auch Werker Maschinen bedienen, denen sie vielleicht nur übergangsweise zugeordnet sind.
Positive Effekte waren umgehend spürbar: Der Austausch von Informationen gelingt schneller und sicherer. Durch die einfache Bedienung verlagert sich die Lösungsentwicklung stark in die einzelnen Fachabteilungen hinein, wodurch z. B. bisherige Lastspitzen der IT deutlich reduziert oder sogar komplett vermieden werden. Durch die neue IT-Vernetzung lebt der interdisziplinäre Austausch von Wissen und Lösungen insgesamt auf. Eine zuvor teilweise schleppende Integration von Fachwissen und neuen Technologien, wie KI, wurde in allen Bereichen signifikant beschleunigt.
Individueller Einbezug für gute Zusammenarbeit
Bei Kapp Niles gibt es keine Unterscheidung in „blue” und „white collar”, im Gegenteil: „Bei uns wird eine Kultur gelebt, die dieser Trennung widerspricht. Wir leben hier die Werte eines modernen Familienunternehmens: Gemeinschaft, Verantwortung, Vertrauen und Gleichberechtigung. Unseren Inhabern ist das sehr wichtig. Man sieht sie täglich in den Werkhallen, wie sie an einer Maschine stehen und mit den Mitarbeitenden sprechen und auch oft direkt deren Anliegen mit anderen Fachabteilungen besprechen. Wir haben sehr kurze und barrierefreie Wege zwischen dem Shopfloor und der Firmenführung und den Fachabteilungen, auch der IT. Ist die immer nur einen Steinwurf entfernt, ergibt sich eine ganz andere Zusammenarbeit.“
Diese Kultur befördert einen schnellen Wandel. Egal wie groß angelegt, werden die Key-User schon in der Planungsphase mit in Transformationsprojekte einbezogen. Bei der Digitalisierung und Automatisierung von Produktion und Montage gab es in den letzten Jahren immer mal Probleme mit der Integration der Systeme, für die durch diese aktive Zusammenarbeit schnell sehr gute Lösungen gefunden wurden. „Unsere Kultur der offenen, aktiven, direkten Kommunikation und Interaktion macht für mich den größten Unterschied zu anderen Global Playern aus, bei denen ich zuvor gearbeitet habe”, berichtet Dominik Kainath.
Aus dem Kopf ins Tablet
Bedenkt man die Verrentung von circa 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in den nächsten 10 bis 15 Jahren, ist die Erhaltung des Experten- und Expertinnenwissens jahrzehntelang betriebstreuer Mitarbeitender eine Kernaufgabe – und das auch der IT. Für Kainath ist genau dieser Generationen-Wissenstransfer eine Herzensangelegenheit. „Wir haben in SharePoint ein spezielles Portal entwickelt, in das unser Firmenfachwissen einfließt. Diese Such- und Ablagedatenbank funktioniert auf Basis von Teams, SharePoint, Azure und Power Platform – hinterlegt mit unseren verbesserten Workflows. Es handelt sich um eine Struktur mit direktem Austausch zu Systemen wie MES, SAP oder Teamcenter. Wir nennen es einen ,gemeinsamen Aktenschrank‘, bei dem alle Informationen zentral zusammenlaufen und damit allen Abteilungen zur Verfügung gestellt wird.“
„Der Betrieb profitiert auch im Bereich der Ablage, Dokumentation bzw. Informationsgewinnung von der offenen Kommunikationskultur, da die Mitarbeitenden weltweit alle Daten – beispielsweise zu einer Maschine – in einer Akte ablegen und damit jeder eingebundenen Person, unabhängig vom nutzenden System, bereitstellen”, schwärmt Kainath. Als konkretes Anwendungsbeispiel nennt er das Thema Qualitätssicherung z. B. bei Schichtübergaben.
Ein Beispiel: Geht ein Maschinenbediener in den Feierabend, teilt er noch eben dem Nachbetreuenden seine Beobachtung mit, dass es bei einem bestimmten Bauteil zu Schwierigkeiten kam. Trägt der Mitarbeitende diese Bedenken digital ein, wird nicht nur der nächste Schichtarbeitende zu entsprechender Vorsicht gerufen, sondern diese Meldung betriebsweit vermerkt. Hierbei kann jetzt beispielsweise die Qualitätssicherung einen chargenbedingten Fehler dieses Bauteils erkennen, da hier alle Meldungen zusammenlaufen. Damit werden ohne lange Recherche alle Stellen, die dieses Teil verwenden, informiert sowie die Serviceabteilung aktiviert, die sich umgehend um die Lösung kümmern kann.
Starke Partnerschaft
Die Kapp Niles-Unternehmensgruppe legt großen Wert auf eine langjährige Zusammenarbeit. Gegenseitiges Vertrauen steht dabei an erster Stelle. „Wichtig ist uns bei der Dienstleisterauswahl vor allem gewesen, eine Partnerschaft zu etablieren, die Bestand hat.“ Die Firma Bechtle aus Neckarsulm bietet mit dem breiten Angebot und der „Lösungsmentalität“ hierfür die richtige Basis. Das Unternehmen ist seit 40 Jahren ein verlässlicher IT-Partner für den Mittelstand und garantiert ein Rundum-sorglos-Paket zur Digitalisierung der Mitarbeitenden in der Werkhalle. „Unsere Anfragen umfassen oft Hard- und Software, Planung und Durchführung als auch den Service über mehr als einen Produktbereich. Da unser IT-Partner alle Services aus einer Hand anbietet, lassen sich selbst komplexe Projekte ohne Probleme durchführen”, resümiert Dominik Kainath.
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