Wie zwei Mittelständler ihre Produkte in digitale Services verwandeln
Der Verkauf von Produkten alleine reicht heute in vielen Fällen nicht mehr aus. Neben den Anlagen, Maschinen und Geräten wird die dazugehörige Servitization – das Angebot von passenden Dienstleistungen – immer mehr nachgefragt. Wie lässt sich diese umsetzen?
Um als Unternehmen langfristig erfolgreich zu sein, müssen diese den Kund:innen einen Mehrwert bieten. Immer häufiger suchen diese nach Lösungen für ihre Herausforderungen in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen, und nicht mehr ausschließlich nach der „Hardware“ in Form von Anlagen oder Maschinen. Die Servitization „liegt voll im Trend“. Ein Blick in die Praxis zeigt schnell: Das Potenzial ist hoch.
Mehrwert bieten, Wachstum erschließen
Insbesondere die Vernetzung im Internet der Dinge (IoT) ist für deutsche Unternehmen eine teils noch viel zu wenig genutzte Möglichkeit, Wachstum zu generieren und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Deutschland ist das „Country of Things“ und bietet damit die perfekte Ausgangslage für innovative und digitale Servitization. Wie unterschiedliche Firmen die digitale Servitization ihrer Produkte vorantreiben und was andere Betriebe davon lernen können, erklären Marcel Möstel und Dr. Sebastian Heger von tresmo: Die Augsburger Digitalagentur ist ein führender IoT-Dienstleister in der DACH-Region mit Fokus auf innovativen Projekten für mittelständische Unternehmen. Neben Beratungskompetenz und Softwareentwicklung rund um IoT, Cloud und App wird auch ein einfach zu nutzender IoT-Baukasten auf Basis von „Microsoft Azure“ angeboten, der Mittelständler pragmatisch zur Umsetzung ihrer ersten innovativen Projekte befähigt.
Der Schlüssel zu gelungener Servitization liegt in der Vernetzung und Digitalisierung des eigenen Produktportfolios. Vernetzte Geräte können in vielfältiger Weise dem eigenen Unternehmen und den Endkund:innen Mehrwert stiften: Sie machen beispielsweise die Wartung von Maschinen einfacher (Stichworte: Remote Access, Condition Based Monitoring und Predictive Maintenance), ermöglichen den Fernzugriff auf Assets und generieren Daten, die in der Produktentwicklung gefragt sind, oder die für völlig neue Anwendungsfälle genutzt werden können.
Drei wesentliche Voraussetzungen: Vernetzung, Umdenken und Partner
Allerdings zeigen Statistiken: 74 Prozent aller IoT-Projekte werden abgebrochen, weil Ressourcen fehlen, die Komplexität die eigenen Kapazitäten übersteigt oder die Erstellung der Konzepte zu lange dauert. Hinzu kommt: IoT-Projekte sind nie trivial und müssen eine große Anzahl an Stakeholdern zufriedenstellen, da sie meist unternehmensweite Abhängigkeiten erzeugen. Es gilt eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen, Bedarfe und Anforderungen zu bedienen. Schließlich werden von der Entwicklung über den Support bis hin zur Wartung viele verschiedene Menschen an der IoT-Lösung arbeiten: Produktentwickler:innen wollen auf Daten zugreifen, die im laufenden Betrieb entstehen, um ihre Technologien weiter zu verbessern; Kundendienstmitarbeiter:innen haben Interesse daran, Supportanfragen schneller zu bearbeiten – mit Hilfe von Laufzeitdaten –; Endkund:innen wünschen sich letztendlich ein flexibles Kostenmodell, wie beispielsweise Pay-per-Use.
Sämtliche Interessen und Bedarfe unter einen Hut zu bekommen, ist in der Praxis schwierig. Insbesondere bei der Entwicklung von digitalen Services für Endkund:innen gehen viele Unternehmen „von oben herab” vor und glauben, die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe vollständig zu kennen. Doch gerade in einem relativ neuen Feld wie der digitalen Servitization müssen Unternehmen neu lernen, was ihre Kund:innen wollen, und ihre Lösungen daran anpassen. Deshalb sollte die Markteinführung von Beginn an in den Fokus genommen werden – noch vor der Konzeption. Mit diesem Ansatz lassen sich nicht nur die Mehrwerte heben und die Kundenzufriedenheit verbessern, sondern auch die Kosten für die digitalen Services verringern.
Doch selbst wenn das Bewusstsein für die Vernetzung und der Fokus auf den Kundennutzen vorhanden sind, bleibt eine große Herausforderung bestehen. Digitale Servitization-Modelle sind komplexe Vorhaben. Denn neben einem hohen Maß an notwendigem Fachwissen bei der Gestaltung und Implementierung müssen auch Betrieb, Wartung und Support dauerhaft sichergestellt werden. Regulatorische Anforderungen sind zu erfüllen. Darüber hinaus sind Datenschutz und -sicherheit zu beachten. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, frühzeitig unabhängige Expertise mit einzubinden. So lassen sich Fachkenntnisse und Erfahrungen ins Projekt einbringen. Häufige Fehler werden vermieden und durch eine kluge Priorisierung der Anforderungen viel Geld und Zeit im späteren Projektverlauf eingespart. Mit dem richtigen Partner gelingt der Schritt zur erfolgreichen Servitization. Dies zeigen im Folgenden zwei Beispiele aus der Praxis.
Praxisbeispiel Nr. 1: Service rund um Wasserdampf
Wasserdampf kommt in vielen Branchen täglich zum Einsatz. In der Lebensmittel- und Getränkeindustrie genauso, wie im Anlagen- und Maschinenbau, dem Bausektor sowie im Gesundheitswesen. Moderne Dampfanlagen können mehrere Tausend Kilogramm Wasserdampf pro Stunde erzeugen. Dabei müssen die Anlagen nicht nur extrem leistungsfähig sein, sondern auch weitreichende Sicherheitskriterien erfüllen. Denn der Umgang mit Dampf kann schnell gefährlich werden. Aus diesem Grund bietet ein Hersteller für Dampfautomaten vermehrt Dienstleistungen rund um das eigentliche Produkt an. Dazu gehören unter anderem Schulungen, regelmäßige Wartungen, Prüfungen sowie die Versorgung mit Verbrauchsmaterial und Ersatzteilen. Denn letztlich liegt der Fokus der Kund:innen nicht darauf, eine Anlage zu besitzen, sondern zuverlässig und sicher auf Wasserdampf zugreifen zu können.
Aus diesem Grund soll die Serviceerbringung zukünftig verstärkt durch digitale Lösungen unterstützt werden. Beispielsweise erhalten Betreibende der Dampfanlagen mittels einer App rund um die Uhr Informationen zum aktuellen Betriebszustand sowie Handlungsempfehlungen bei Störungen. Sie können ihre Dokumentationspflichten unkompliziert digital erledigen. Darüber hinaus profitieren Kund:innen und Hersteller von einer deutlich zügigeren Fehlerbehebung. Sollte ein Ersatzteil nötig sein, können Servicetechniker:innen dies bereits aus der Ferne identifizieren und bestellen.
Dazu realisiert der Hersteller eine IoT-Plattform und ein Gateway. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten hat das Team sich für eine bestehende Plattform-Lösung entschieden, die generisch und leicht erweiterbar ist. Denn viele Anforderungen resultieren aus einer Endkunden-App, die zeitgleich entworfen wird und grundlegende Service-Funktionalität mit sich bringt. Ziel ist es, die App zügig mit zehn Testenden zu validieren, um frühzeitig das digitale Serviceangebot zu überprüfen und wertvolles Feedback für die stetige Weiterentwicklung zu erhalten.
Praxisbeispiel Nr. 2: Umweltsimulationen für mehr Nachhaltigkeit
Umweltsimulationen sind ein wichtiger Bestandteil bei der Erprobung einer Vielzahl von Produkten. Egal ob Kraftfahrzeug oder Mikrochip, vor der Markteinführung werden diese in Temperatur-, Klima-, Vibrations-, Korrosions-, Emissions-, Hohen-, Druck- oder kombinierten Stressprüfungen erprobt. Ein führender Anbieter von Umweltsimulationsanlagen bietet ergänzend zum Produkt „Leading-Edge“-Technologien „Made in Germany“ an. Die Anlagen sind für ihre hohe Präzision und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bekannt.
Durch innovative, digitale Services rund um Umweltsimulationen sollen Arbeitsabläufe und Ergebnisse in den Laboren weltweit effizienter und kostengünstiger werden – bei maximaler Datensicherheit und optimalem Komfort. Möglich macht dies eine Cloud-basierte, leistungsfähige Plattform, die als Grundlage für ein digitales Ökosystem dient. Über eine Web-Applikation sind die Daten anschließend für Testingenieur:innen zugänglich.
Die Cloud-basierte Lösung ermöglicht die regelmäßige und unkomplizierte Bereitstellung neuer Features, Kostenersparnis durch „as-a-service“-Komponenten sowie globale Verfügbarkeit. Eine ausgeklügelte Architektur sorgt für die kostengünstige Verarbeitung und Bereitstellung hochauflösender Zeitreihendaten (Time Series Data) bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Performance und Stabilität der Plattform.
Durch die Plattform ist der Grundstein für ein digitales Ökosystem im Bereich Umweltsimulationen gelegt, womit das Unternehmen nun auch alle Ansprüche in der digitalen Welt erfüllt. Die Cloud-Applikation erweitert das Leistungsspektrum rund um die eigenen Produkte. Beispielsweise können Prüfberichte zuverlässig und ohne großen Zeitaufwand hochgradig individualisiert erstellt werden. Zudem sind Effizienzsteigerungen und damit verbundene Kostensenkungen für die Nutzer:innen direkte Mehrwerte der Software. Langfristig lassen sich außerdem weitere Peripheriegeräte, wie Datalogger, einbinden und auswerten. Auch eine Monetarisierung der Daten und Integration über die Grenzen der Prüflabore hinweg ist denkbar.
Fazit: Mit externer Expertise schneller zum Erfolg
Gerätehersteller und Produktionsunternehmen setzen immer häufiger auf Servitization und werden dies künftig weiter intensivieren. Dabei ist ein Schlüsselfaktor die Vernetzung der eigenen Produkte und ein digitales Kundenerlebnis. Und dies sollte nicht nur im B2C- sondern vermehrt auch im B2B-Bereich stattfinden. Doch in Zeiten von Fachkräftemangel und knappen Budgets ist es sehr schwierig, sämtliche Teile einer individuellen IoT-Lösung selbst „in die Hand zu nehmen“. Viele Software- und Plattform-Anbieter bieten Lösungen und Komponenten, die für die eigene Infrastruktur herangezogen werden können. Ansätze wie “No-Code” sorgen dafür, dass sich innovative Servitization-Projekte schnell umsetzen und den Kundenbedürfnissen anpassen lassen. Durch eine geschickte Kombination wird so der Weg zum eigenen Produkt-Service-Portfolio kürzer als möglicherweise erwartet.
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Als Head of Solutions von tresmo ist Marcel Möstel verantwortlich für das Lösungsportfolio und dessen stetige Weiterentwicklung sowie die Kundenberatung rund um IoT-, Cloud- und App-Lösungen. Sein Studium im Bereich Interaktive Medien absolvierte er an der Hochschule Augsburg. In den vergangenen fünf Jahren entwickelte er sich bei tresmo vom Engineer über Product Owner bis hin zur aktuellen Leitungsfunktion weiter. Sein Fokus liegt insbesondere auf den strategischen Themen. Foto: tresmo
Als Solution Specialist bei tresmo begleitet Dr. Sebastian Heger Unternehmen im Zuge der Konzeption, Umsetzung und Etablierung zukunftsfähiger IoT-, Cloud- und App-Lösungen. Zuvor sammelte er als Projekt- und Teamleiter bei der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT weitreichende Erfahrungen an der Schnittstelle von Forschung und Praxis. Heger hat Wirtschaftsinformatik an der Universität Augsburg studiert und zur Gestaltung soziotechnischer Informationssysteme promoviert.