Königsklasse der Zerspanung: Titanbearbeitung
In der Schwerzerspanung bestehen besondere Anforderungen an Maschine und Bearbeitungsprozesse. Spezielle Werkstoffe wie Titan sind „auf dem Vormarsch“, stellen Fertigungsbetriebe aber vor Probleme. Gezeigt wird, wie sich die sogenannte Komplettbearbeitung realisieren lässt.
Hat man es mit einem schwer zerspanbaren Werkstoff wie Titan und den zugehörigen Legierungsvarianten zu tun, so ist besonderes Know-how vonnöten, um die gestellten Anforderungen in der Zerspanung zu bewältigen. Dies betrifft die Maschinentechnik ebenso wie die darauf eingesetzten Werkzeuge. Hinzu kommen die Besonderheiten der Komplettbearbeitung: das Fräsen, Drehen, Bohren und ggf. auch Schleifen auf nur einer Maschine mit automatischem Werkzeugwechsel, ohne das Werkstück umzuspannen. Am Beispiel einer Bearbeitungslösung für Fahrwerksteile von Flugzeugen kann österreichischer Werkzeugmaschinenbauer mit Expertenwissen in diesem Bereich überzeugen.
Ein Werkstoff mit ganz besonderen Eigenschaften
Titan stellte in der Zerspanung schon immer besondere Anforderungen an Werkzeuge und Maschinen. Bei den Leichtbaustoffen hat sich in den vergangenen Jahren Titan 3.7165 als Werkstoff mit hervorragenden Eigenschaften vor allem in der Luft- und Raumfahrtfahrtindustrie, aber auch im medizinischen Bereich, durchgesetzt. Es ist eine der meistverwendeten Titanlegierungen, welche 6 Prozent Aluminium und 4 Prozent Vanadium enthält. Diese Legierung, gewöhnlich als Ti6Al4V bezeichnet, weist eine sehr gute Kombination aus Widerstandskraft, Korrosionsbeständigkeit und Beanspruchbarkeit auf.
Obwohl für diesen Werkstoff mittlerweile gute Erfahrungswerte und Schnittdaten vorliegen, zählt die Bearbeitung aber immer noch zu den Königsdisziplinen in der Zerspanung. Ein wichtiges Marktsegment stellt für den Kirchhamer Maschinenbauer WFL inzwischen die Luftfahrtindustrie dar. In diesem Industriezweig setzen sich immer mehr Materialien durch, welche als schwer zerspanbar gelten. Insbesondere die Titanbearbeitung ist ein Feld, in dem der Anbieter mit gewachsenem Know-how punkten kann.
„Der Titan unter den Titanen“
Für spezielle Anwendungen werden stetig neue Titanlegierungen, oftmals sogar aufgrund spezieller Kundenanforderungen, entwickelt. So gilt Titan 5553 (Ti5Al5V5Mo3Cr) von mehreren WFL-Kunden als der Wunschwerkstoff für die Fahrwerksproduktion in der Luftfahrtindustrie. Dieser Werkstoff zeichnet sich durch verbesserte Eigenschaften hinsichtlich Festigkeit und Zähigkeit aus. Auch ist er unempfindlicher gegen Gefügeveränderungen bei der Erwärmung. Dieser Werkstoff zählt in der Zerspanung zu den wirklichen „Titanen“ und hat seinen Namen aus der griechischen Mythologie.
Ti 5553 gehört derzeit wohl zu den am schwersten zu bearbeitenden Werkstoffen, die auf dem Markt verfügbar sind. Bei seiner Bearbeitung sollte eine Schnittgeschwindigkeit von 45 m/min nicht überschritten werden, da bei Schnittgeschwindigkeiten von bereits 60 m/min Scherspannungen von bis zu 2.780 N/mm² entstehen.
Herausforderungen begegnen: Kühlstrategie, Prozessführung
Problemstellungen wie Punktwärme durch schlechte Wärmeleitung – und die damit verbundene chemische Veränderung im Werkstoff (Verspröden bei höheren Temperaturen) – sowie die Bildung von Aufbauschneiden treten bei diesem Werkstoff in wesentlich höherem Maße auf als bei anderen Titanlegierungen. Darum muss bei Ti 5553 besonders darauf geachtet werden, dass Schnittgeschwindigkeit, Vorschub und Eindringtiefe genau aufeinander abgestimmt werden.
Der Einsatz geeigneter Kühlschmiermittel ist dabei ebenso wichtig wie die richtige Kühlstrategie. Ein schneller und kontinuierlicher Spanabtransport ist zu gewährleisten, denn die Wärmeableitung erfolgt zu einem weit größeren Maß über das Werkzeug. Eine weitere Herausforderung bei diesem Werkstoff ist das Entfernen der Schmiedehaut, von Experten „Elefantenhaut“ genannt. Diese Haut weist durch den vorgeschalteten Schmiedeprozess und den dabei entstehenden thermischen und metallurgischen Einflüssen eine sehr hohe Randhärte auf.
Durch das geringe Elastizitätsmodul neigt Titan dazu, dem Druck des Werkzeugs auszuweichen und mit der Schneide zu verschweißen. Die Bearbeitung sollte daher, wie bereits erwähnt, unter geringer Schnittgeschwindigkeit, aber mit relativ großem und gleichmäßigem Vorschub ablaufen. Auf schwingungsfrei eingespannte, scharfe Werkzeuge ist in jedem Falle zu achten. Als Schneidstoff kommen hochkobalthaltige Schnellarbeitsstähle, Hartmetalle oder Stellite in Frage.
Die Erfahrung ist entscheidend für den Erfolg
All dies zeigt, dass bei der Bearbeitung von Titan viel Erfahrung in Auswahl und Einsatz der verwendeten Werkzeuge als auch der Bearbeitungsstrategien erforderlich ist. Schon in der Konzeptphase muss ein Fertigungsbetrieb zeigen, dass bei ihm auf kritische Aspekte der Bearbeitung eingegangen werden kann. So ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Materialdicken im Werkstückrohling angepasste Bearbeitungsstrategien erfordern. Wärmeeinflusszonen sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die auftretenden Schnittkräfte.
Schwer zerspanbare Materialien wie Titan haben die Entwicklung der Maschinen des Anbieters WFL mitgeprägt. Genau für diese anspruchsvollen Anwendungsfälle werden individuelle Lösungen geliefert, die neben der eigentlichen Maschine auch Themen wie Kühlung und Fertigungsstrategie mit einschließen. „Um unseren Kunden eine prozesssichere Lösung anbieten zu können, entwickeln wir Komponenten, die es erlauben, die Auslegung der Maschine genau auf den jeweiligen Anwendungsfall abzustimmen“, sagt dazu abschließend Reinhard Koll, Head of Application Engineering bei WFL.
Nachhaltigkeit als Thema auf der EMO
Neben zahlreichen organisatorischen Abläufen, die es zu optimieren gilt, zählt in der Fertigung die Komplettbearbeitung von Bauteilen zu den technologischen Ansätzen, um sowohl effizienter als auch (infolgedessen) nachhaltiger zu produzieren. Und das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Industrie aktuell ganz besonders – deshalb hat der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Frankfurt am Main, ihr ein Fokusthema auf der „EMO“, der Weltleitmesse für Produktionstechnik, gewidmet. Die internationale Veranstaltung vom 18. bis zum 23. September 2023 in Hannover stellt sich sowohl gesellschaftlich als auch technologisch den Anspruch, weit über den Tellerrand hinaus zu schauen. Unter der eigenen Rubrik „Future of Sustainability in Production“ und dem gleichnamigen Gemeinschaftsstand widmet sich die EMO Hannover 2023 dem Thema Nachhaltigkeit als einer „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“.
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