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Eine wirkungsvolle und energieeffiziente Alternative zum Spannungsarmglühen 08.02.2018, 00:00 Uhr

Metall entspannen mithilfe von Vibration

Ein Schweizer Unternehmen hat in den vergangenen Jahren einige neue Patente für die Technologie „Metall entspannen mit Vibration” angemeldet. Das innovative Verfahren kommt zum Einsatz, um Spannungen in metallischen Bauteilen wieder abzubauen, beispielsweise den Verzug infolge von Schweißbearbeitungen.

Bild 1. Geglühte und ungeglühte Walzen – Bauteile, für die das Verfahren MEMV („Metall entspannen mit Vibration”) der WIAP AG besonders geeignet ist. Bild: WIAP

Bild 1. Geglühte und ungeglühte Walzen – Bauteile, für die das Verfahren MEMV („Metall entspannen mit Vibration”) der WIAP AG besonders geeignet ist. Bild: WIAP

Übliche Techniken wie das Spannungsarmglühen oder Flammrichten werden für solche Aufgaben ebenfalls angewendet, sind aber meist energieintensiv oder führen zur Verzunderung der Bauteile. Die neue Technologie bietet hierbei eindeutige Vorteile für den Anwender.

Mit der Technologie „Metall entspannen mit Vibration” (MEMV) beschäftigt sich die WIAP AG Ltd SA schon seit Langem erfolgreich (siehe auch Infokasten). Inzwischen wurde das Lieferprogramm umfangreich erweitert auf fünf Grundmodelle: V5 für Bauteile bis zu 5t Masse, V20 (für 20 t), V50 (50 t), V100 (100 t) sowie V200 für  zweihundert Tonnen Werkstückmasse. Die Neuentwicklungen umfassen zudem den Mehrachsvibrator „VS“. Dieser ist insbesondere für Schweißkonstruktionen geeignet, da er alle drei Koordinatenrichtungen (X-, Y- und Z-Achse) mit nur einem Gerät anregen kann. Mit dem Mehrachs­vibrator wird also gleichzeitig geschweißt, während das Bauteil vibriert. Da er alle Achsrichtungen anregt, sind damit deutlich bessere Spannungsverteilungen als mit herkömmlichen 2-Achs-Anregern möglich.

Das neueste Modell – ein „VV“ mit verstellbaren Exzenterstufen – hat WIAP entwickelt, um sowohl bei tiefen Frequenzen mit hohen Erregerstufen entgegenwirken zu können als auch umgekehrt. Ziel ist jeweils, die Unwuchtstufe zu reduzieren. Mit dieser Anlage kann in der Praxis eine große Bandbreite an Anwendungen ohne manuellen Eingriff abgedeckt werden.

Darüber hinaus sind weitere Neuheiten im Lieferprogramm verfügbar, beispielsweise die aktuellen Drehvorrichtungen. Damit lassen sich mehrere Achsrichtungen gegenüber herkömmlichen Verfahren erfassen. Alle sogenannten Totpunkte – respektive Knotenpunkte – werden angeregt. Auf diese Weise wird ein gleichmäßiger, über das gesamte Bauteil eingeleiteter Entspannungsprozess (englisch: stress relief) mithilfe von Vibration erzeugt.

Intensive Untersuchungen belegen eindeutige Vorteile

Vergleichsweise jüngere Technologien werden gegenüber etablierten Prozessen meist kritisch hinterfragt, obwohl die Vorteile oft direkt zu erkennen sind. Allerdings ist der Nutzen nicht immer auch mit Zahlen konkret belegbar. Um passende Antworten auf solch kritische Fragen zu erhalten, wurde von 2014 bis 2017 über mehrere Jahre intensiv untersucht, welche Wirkungen das Vibrationsentspannen bei den Bauteilen erzielt. Dazu wurden verschiedene Vergleichsmessungen durchgeführt – sowohl zwischen geglühten und ungeglühten Bauteilen, Bild 1, als auch bei flammgerichteten sowie hydraulisch gerichteten Bauteilen.

Keine Verzunderung – 400-fach weniger Energie

Bereits seit 1983 beschäftigt sich WIAP mit dieser Technologie und ihren Vorteilen. Allerdings ist es erst jetzt erstmalig in der Firmen­geschichte gelungen, den konkreten Nutzen eindeutig nachzuweisen. Zum Beispiel werden nicht nur bei Schweißkonstruktionen, sondern – durch das erweiterte MEMV-Verfahren – jetzt auch beim Schwerwalzen mithilfe der Vibrationstechnologie dieselben oder sogar bessere Resultate erzielt wie beim Spannungsarmglühen. Dabei ergeben sich zwei entscheidende Vorteile für den Kunden. Zum einen entsteht beim Vibrationsverfahren keine Verzunderung. Zum anderen lässt sich enorm Energie einsparen: Lediglich 2kW/h sind für diesen Prozess notwendig. Bei einem vergleich­baren Verfahren mit Spannungsarmglühen müssen hingegen etwa 935kW/h aufgebracht werden. Das bedeutet also eine Energieeinsparung von deutlich mehr als dem 400-fachen.

Geschäftsführer Sven Widmer berichtet über die Anstrengungen in der jüngeren Vergangenheit: „In den letzten Jahren wurden alle Lohnarbeitsaufträge statt mit einem Operateur immer mit zwei Werkern ausgeführt. Hintergrund dieser Maßnahme war, mit einem vergleichsweise aufwen­digen Messprozess zu ermitteln, wie der Spannungsabbau im Bauteil immer mehr kontrolliert ablaufen kann, Bild 2.“

Bild 2. MEMV-Messsonden bei der Anwendung an einem großen Bauteil. Bild: WIAP

Bild 2. MEMV-Messsonden bei der Anwendung an einem großen Bauteil. Bild: WIAP

Dank der neuen Prüfmethode war von Beginn an erkennbar, dass sich Zonen – je nach Achsrichtung – mehr oder weniger bewegen. Dies lieferte die Erkenntnis, dass mit dem herkömmlichen 1-Achsrichtungsvibrieren nie alle Zonen gleich entspannt werden können. Die hochgenaue Messmethodik zeigte darüber hinaus auf, dass es zwischen kubischen und rotationssymmetrischen Bauteilen deutliche Unterschiede bei den Ergebnissen gibt. Aktueller Stand ist, dass die Schwingungen bei kubischen Bauteilen entscheidend weniger Querrichtungen erreichen. Diese Erkenntnis ist sehr bedeutsam und zeigt, dass vor allem bei diesen Bauteilen ein Vielrichtungs-Vibra­tionsentspannen (neu MEMV genannt) zum Einsatz kommen muss. In die inten­siven Untersuchungen zum Vibrationsentspannen hat WIAP mit Weitblick dementsprechend seit dem Jahr 2014 bis heute circa CHF 350 000 – also etwa 300 000 Euro – investiert, Bild 3.

Bild 3. Jim Peter Widmer vor einer MEMV-Anlage, die in einem Fertigungsbetrieb im finnischen Tampere zum Einsatz kommt. Bild: WIAP

Bild 3. Jim Peter Widmer vor einer MEMV-Anlage, die in einem Fertigungsbetrieb im finnischen Tampere zum Einsatz kommt. Bild: WIAP

Die messtechnischen Untersuchungen führten in Summe zu einigen wichtigen Erkenntnissen, die sich sowohl technologisch als auch wirtschaftlich nutzen lassen. Erstens ist belegbar, dass sich alle Zonen nur mit dem Mehrrichtungsverfahren (MEMV) anregen lassen. Zweitens zeigt sich, dass eine Anregung, welche hohe Auslenkungen erwirkt, gar nicht notwendig ist. Bei den Schwerwalzen waren die G-Anregungen teilweise sogar nur besonders fein. Dennoch „verhielten“ sich diese Walzen bei der anschließenden Fertigbearbeitung wie eine geglühte Walze.

Geeignet bei flammgerichteten Bauteilen und vielen mehr

Die Liste der Bauteile, bei denen das Verfahren hohe Nutzenpotentiale bietet, lässt sich umfangreich erweitern, zum Beispiel flammgerichtete Rohre mit 12 m Länge. Diese wurden auf Torsion gerichtet und auch die Krümmung wurde um mehrere Millimeter geradegebogen. Tests zeigten, dass sich die zum Glühen gebrachten Rohre nach dem Abkühlen zurück in eine gekrümmte Position verzogen. Hingegen blieben die mit der neuen Techno­logie MEMV entspannten Rohre gerade – sie verzogen sich durch die nachfolgende Be­arbeitung um keinen Zehntel Millimeter. Wurden die flammgerichteten (nicht geglühten / nicht vibrierten) Bauteile bear­beitet, waren diese nachher wieder um mehrere Millimeter krumm.

Die Messungen erbrachten den Nachweis, dass mit dem Vibrationsentspannen die Spannungen genau dort abgebaut werden, wo sie auch sind. Mit dem Flammrichten hingegen wird einerseits eine Zone gedehnt, während in kleinen anderen Zonen die Streckgrenze überschritten wird. Damit geht das Bauteil nicht mehr in die Grundstellung zurück. Zwar bleibt es – bei gezielter fachmännischer sowie kluger Handhabung – gerade, nichtsdestotrotz sind in den Übergangszonen teilweise sogar sehr hohe Spannungen „gefangen“, die nicht abbaubar sind. Mit dem MEMV-Verfahren lassen sich diese Zonen problemlos „antasten“ und so dementsprechend ausgleichen.

In Summe zeigen die zahlreichen Praxisbeispiele, dass die Vibrationstechnologie bei flamm- oder hydraulischgerichteten Bauteilen hervorragend funktioniert – eine neue Ära des Entspannens von Bauteilen aus Metall mit Vibration ist damit einge­läutet.

„Weniger Stress“ mit Vibrationsentspannen

Schon in früheren Jahren hat die WIAP AG bei den eigenen Werkzeugmaschinen den Vorteil des hier näher beschriebenen Entspannungsverfahrens (stress relief) erkannt. Die langjährigen Erfahrungen in Kombination mit den Erkenntnissen aus den aktuellen aufwendigen Tests vereinen nun eine so hohe Qualität, dass sie sich für den Einsatz in einem modernen Produktionsbetrieb inzwischen ganz gezielt nutzen lassen, beispielsweise im hochgenauen Werkzeugmaschinenbau. Die Firma möchte das Wissen über die enormen Möglichkeiten des Verfahrens weitergeben und auch anderen Anwendern zur Verfügung stellen, um die Entwicklung permanent voranzutreiben.

www.wiap.ch

Von Hans-Peter Widmer

Hans-Peter Widmer ist Prokurist bei der WIAP AG in Dulliken/CH.