Roboter plus Spezialwerkzeuge fertigen perfekte Batteriewannen
Wird ein Fräser von einem Roboter geführt, ist die Bearbeitung grundsätzlich labiler als auf einem Bearbeitungszentrum. Jedoch kommt es auch bei dieser Art der Zerspanung darauf an, prozesssicher kürzeste Taktzeiten zu erzielen – zum Beispiel bei Batteriewannen für Elektromobile.
Erreicht wird das Ziel einer prozesssicheren industriellen Produktion in diesem speziellen Fall von einer neu entwickelten Anlage, die drei Industrieroboter mit einschließt. Diese entgraten die Batteriewannen für Elektrofahrzeuge mit dem dreischneidigen Werkzeug namens „FlyCutter“. Das leichte Spezialwerkzeug wurde gezielt für labile Bedingungen in der Bearbeitung entwickelt, wie sie bei Roboteranwendungen in der Zerspanung auftreten. Denn Roboter bringen eine viel geringere Steifigkeiten als eine Werkzeugmaschine mit sich, was in aller Regel zu ungenaueren Bearbeitungsergebnissen führt.
Lösung vom Maschinenbauer mit Spezialgebiet Entgraten
Die Unternehmensgeschichte des Anlagenentwicklers, der Kadia Produktion GmbH + Co in Nürtingen, begann 1959 mit der Herstellung von Honwerkzeugen. Zehn Jahre später wurden die ersten Honmaschinen entwickelt. Einen weiteren Geschäftszweig erschloss sich das Unternehmen seit 1981 mit der Herstellung von Entgratmaschinen.
Heute gehört der Betrieb zu den führenden Spezialisten für Hon- und Entgrattechnologie und beschäftigt aktuell 200 Mitarbeiter. Kunden sind vor allem Automobilhersteller und deren Zulieferer, Hersteller von Bau- und Agrarmaschinen, von Windkraftanlagen sowie der Flugzeugbau. Während der Hersteller für das Honen Standardmaschinen in verschiedenen Größen anbietet, werden für das Entgraten grundsätzlich Sondermaschinen gebaut. Zum Kundenkreis gehören auch große Maschinenhersteller.
„Bleistifttest“ klassifiziert die Grate vor der Bearbeitung
Bei der mechanischen Bearbeitung wird zwischen losen und festen Graten unterschieden. Nach dem Entgraten soll das Bauteil je nach Anforderung scharfkantig, mit Kantenverrundung oder mit einer Fase ausgestattet sein, weshalb hier auch von „Kantendesign“ gesprochen wird. Zur Beurteilung eines losen Grats setzen die Nürtinger auf einen ebenso simplen wie aussagekräftigen Test, für den die um fünf Millimeter ausgefahrene Mine eines Druckbleistifts dient. Kann der Grat damit entfernt werden, ist er lose. Bricht die Mine ab, hat man es mit einem festen Grat zu tun, der je nach Anforderung weggefräst werden muss oder stehen bleiben darf, da er sich später nicht löst.
Für die Bearbeitung mit einem Roboter ist auch die Größe des Werkstücks entscheidend. Bei kleineren Bauteilen wird die Führung des Werkstücks favorisiert. Der Roboter fährt dabei das Werkstück an fest montierten Bearbeitungseinheiten entlang. Bei einer Werkzeug-geführten Strategie bearbeitet der Roboterarm ein fest eingespanntes Werkstück. „Bei großen Werkstücken bin ich mit dem Fräser in der Hand wesentlich geschickter, als wenn ich das sperrige Teil bewegen muss“, erläutert Jannik Weiss, Vertrieb Entgratmaschinen bei Kadia.
Roboterzelle bietet wirtschaftliche Vorteile
Als von einem großen Automobilhersteller eine Entgratmaschine für Batteriewannen in Elektrofahrzeugen angefragt wurde, stand gleich fest, dass der Roboter hier die Werkzeuge führen muss. Der aus Strangpressprofilen zusammengeschweißte Aluminiumrahmen misst 1900 x 1400 x 100 Millimeter. Die gestellten Anforderungen umfassten das Fräsen der Trennflächen und das anschließende Bürsten der vom Fräser erzeugten Grate, damit die Rahmen später mit einem Deckel verschraubt und abgedichtet werden können. Derlei Aufgaben erledigt eine Roboterzelle wirtschaftlicher und flexibler als ein Bearbeitungszentrum, zumal die Anforderungen an die Oberflächengüte moderat sind.
Kernstück der Entwicklung ist eine fünf Meter mal sechs Meter große Versuchszelle mit einem Sechs-Achs-Industrieroboter sowie einer Schnellwechseleinheit. Hier kann der Prozess der späteren Anlage bereits getestet werden. Vorversuche ermitteln die optimalen Schnittdaten und prüfen die Stabilität. In der Zelle befinden sich 15 einwechselbare Einheiten, auf neun davon hat der Roboter einen automatisierten Zugriff – mit einem Aktionsradius von 2,7 Metern. Eine Einheit stellt eine bestimmte Funktion dar, die für die Bearbeitung eines Bauteils gebraucht wird. Typischerweise besteht sie aus einer Motorspindel mit Schnittstelle und einem Zerspanungswerkzeug.
Ein Rundtisch als siebte Achse gehört ebenfalls zur Ausstattung der Versuchszelle, die zudem über genügend Freiraum verfügt, um weitere Anlagen – wie etwa eine Kühlmittelversorgung oder zusätzliche Prozesseinheiten – unterbringen zu können. Oft sind beim Hon- und Entgratspezialisten gleich mehrere Teile für verschiedene Versuche in der Zelle gerüstet.
Übliche Tools können beim Dummy-Werkstück nicht überzeugen
Für erste Vorversuche an einem Dummy-Bauteil der Batteriewanne verwendete Kadia einen bereits in der Fertigung vorhandenen Rundplattenfräser. Das Werkzeug erwies sich als völlig ungeeignet für die Aufgabe. Die auftretenden Schwingungen waren so extrem, dass sogar die Bearbeitungsspindel Schaden nahm. Selbst bei niedrigen Schnittwerten machte sich die Geräuschkulisse beim Fräsen noch im Nebengebäude störend bemerkbar.
Wegen eines geeigneten Fräsers für das Aluminiumgehäuse wurde der Werkzeugspezialist Mapal aus Aalen als Problemlöser gewählt. „Wir informieren uns im Vorfeld, bei welchem Werkzeughersteller wir das Potenzial für eine Zusammenarbeit sehen“, berichtet Weiss. Zwar lag der Fokus zunächst auf Standardwerkzeugen, doch war es durchaus ein Pluspunkt für die Aalener, dass der Werkzeughersteller bei Bedarf Sonderwerkzeuge entwickelt.
Spannende Vergleichsversuche: Zwei Fräser stehen zur Auswahl
Dieser Dienst wurde bereits in einem vorherigen Projekt genutzt – für ein spezielles Hydrodehnspannfutter. Als Norbert Meier, technischer Berater bei Mapal, wegen dieses Spannfutters vor Ort war, wurde ihm die Aufgabe mit der Batteriewanne erläutert. In kürzester Zeit hatte er Lösungen parat und brachte bei seinem nächsten Besuch zwei Fräser aus dem Standardportfolio mit: den siebenschneidigen Planfräser „IFM751“ und den „FlyCutter D63“ mit drei Schneiden. Beide Fräser zeigten sich in den Tests der Aufgabe gewachsen, doch lieferte der kleine Dreischneider zur Verwunderung von Weiss deutlich bessere Resultate.
Meier wollte dem Kunden mit dem zweiten Fräser eine Alternative zeigen, hatte mit diesem Ergebnis aber bereits gerechnet. „Unseren FlyCutter haben wir ganz speziell für derartige Anforderungen im Portfolio“, erläutert er. Mapal hat das leichte Werkzeug gezielt für labile Voraussetzungen in der Bearbeitung entwickelt, wie sie bei Roboteranwendungen auftreten. Er ist optimiert für kleine Schnittstellen wie etwa BT30. Das innovative Design und der Einsatz von Aluminium sorgen für ein besonders geringes Gewicht des Fräskopfes. Mit dem in diesem Anwendungsfall verwendeten Durchmesser von 63 Millimetern wiegt der PKD (polykristalliner Diamant)-Fräskopf inklusive der Fräseinsätze gerade einmal 220 Gramm.
Die feinfühlige Keiljustierung erlaubt die Mikrometer-genaue Einstellung der Fräseinsätze. Die Schwalbenschwanzführung und eine zusätzliche Wurmschraube sorgen für einen perfekten Sitz und eine hohe Wiederholgenauigkeit bei der Montage der Fräseinsätze. Durch die spezielle, hochpositive Schneidengeometrie wirken nur geringe Kräfte auf das Bauteil und die vom Roboter geführte Werkzeugspindel.
Bei der Bearbeitung der Batteriewanne kommt es auf Oberflächengenauigkeit im Mikrometer-Bereich nicht an, im Gegenteil: Damit das vom Automobilhersteller aufzubringende Dichtmittel besser hält, war sogar eine gewisse Rauigkeit der Oberfläche gewünscht. Nur die Welligkeit durfte nicht zu groß werden. In den Versuchen wurde der Fräser über das Limit hinaus bewegt, um festzustellen, bis zu welchem Punkt entstehende Rattermarken an dem relativ dünnen Bauteil noch innerhalb der verlangten Toleranz liegen.
Wichtig: Schnittwerte und Positionierung
„Die Krux bei einer Roboterbearbeitung ist das Zusammenspiel zwischen Werkzeug, Vorrichtung und Roboter“, erläutert Meier. Die Steifigkeit ist ein grundsätzliches Problem bei der Bearbeitung. Je weiter der Roboterarm ausfährt, desto labiler wird die Zerspanung. In den Versuchen testet Kadia daher nicht nur unterschiedliche Schnittwerte, sondern auch verschiedene Positionierungen des Roboters vor oder neben dem Werkstück.
Für den vorliegenden Fall ermittelten die Partner als optimale Schnittdaten bei einer Spindeldrehzahl von 11.000 Umdrehungen in der Minute einen Vorschub von 0,16 m/s und eine Zustellung von 0,5 Millimetern. Prozesssicher lieferte der FlyCutter eine sehr gute Oberflächenqualität. Diese Daten aus dem Versuchsstand wurden in das Konzept für die Sondermaschine übernommen. Als wirtschaftlichste Lösung für die Serienfertigung hat der Hersteller dafür den Einsatz von drei Robotern in einer Zelle ermittelt. Während zwei davon sich die Bearbeitung der Vorderseite teilen, arbeitet der dritte an der Rückseite.
Dem Kunden gibt der Entwickler nicht nur die Schnittdaten an die Hand, sondern kann bereits vor dem Bau der Maschine sagen, wie lange eine Bearbeitung dauert und was für eine Taktzeit damit zu realisieren ist. Das Entgraten einer großen Batteriewanne dauert demzufolge etwa 80 Sekunden. „Bei einem Roboterprozess sind solche Prozessangaben zu Schnittwerten noch nicht ganz so üblich wie bei einer CNC-Maschine. Je nach Positionierung des Roboters erzeugen gleiche Daten andere Ergebnisse“, sagt Weiss. Aufgrund der durchweg positiven Ergebnisse wollen die beiden Partner ihre Zusammenarbeit vertiefen. Weitere Versuche für unterschiedliche Bearbeitungsprozesse sind bereits in Planung.
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