Trendbarometer: Verdrängt additive die subtraktive Fertigungstechnik?
Mit den Fortschritten beim 3D-Druck und den neuen verfügbaren Werkstoffen ist die additive Fertigung zu einer effizienten Hightech-Methode geworden. Auch Hersteller von Werkzeugen und industriellen Bauteilen greifen immer häufiger darauf zurück. Wie ist der aktuelle Stand der Technik?
In Expertenkreisen wird lebhaft darüber diskutiert, in welchem Ausmaß der 3D-Druck die CNC-Bearbeitung – als klassische bzw. konventionelle Methode zur Bauteilherstellung mithilfe von Materialabtrag – beeinflussen wird. Hat die Additive Fertigung (Additive Manufacturing – AM) das Potential, sich zu einer Substitutionstechnologie zu entwickeln? – im Folgenden ein „philosophischer Diskurs“ über die Zukunft der Zerspanung aus der Sicht eines Werkzeugherstellers.
Welches Verfahren ist effektiver? – eine technologische Abwägung
Die Einführung des 3D-Drucks für die Herstellung von Prototypen hat die Produktentwicklung erheblich verbessert. Sie ist in letzter Zeit deutlich schneller und wirtschaftlicher geworden. Damit wird diese Technologie bereits als Alternative zur CNC-Bearbeitung gehandelt. Dieser Ansatz sollte jedoch hinterfragt werden, und es gilt zu klären, ob der 3D-Druck die maschinelle Fertigung in der „Smart Factory“ komplett verdrängen kann.
Die Antwort der Werkzeugexperten aus Ettlingen lautet: „Trotz positiver Zukunftsaussichten des 3D-Drucks kann er die CNC-Bearbeitung als dominierende Technologie für die Herstellung von Metallbauteilen nicht vollständig ersetzen. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass AM erhebliche Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Produktionsverfahren haben wird“, – so skizziert es Erich Timons, CTO (Chief Technology Officer) von Iscar. Beide Technologien erzeugen die Geometrie eines Bauteils, indem sie den zu bearbeitenden Werkstückstoff Schicht für Schicht formen. Beim 3D-Druck dient dazu der Materialauftrag, beim CNC-Verfahren der Abtrag.
Doch: Welches der Verfahren ist effektiver? Und wie wird sich die Kombination beider Lösungen künftig konkret auf die Produktion auswirken? Um diese Fragen zu beantworten, müssen die Hauptmerkmale von 3D-Druck und CNC-Bearbeitung genau beleuchtet werden. Dazu zählen die Werkstück-Werkstoffe und deren physikalische Eigenschaften, die erzeugbaren Formen und die Präzision der Bearbeitung.
Nichtmetallische Werkstoffe dominieren nach wie vor im 3D-Druck
Metalle sind die wichtigsten Werkstückmaterialien in der CNC-Bearbeitung. Im 3D-Druck haben – trotz eines deutlich gestiegenen Anteils von Metallen – immer noch nichtmetallische Werkstoffe die Überhand. „Gleichzeitig haben die Fortschritte in der Pulvermetallurgie den Druck von Teilen aus schwer zu bearbeitenden Materialien wie Superlegierungen auf Nickelbasis möglich gemacht. Dies eröffnet neue Perspektiven für die additive Fertigung“, sagt Timons
Auch die Physik spielt eine wichtige Rolle: Metalle sind isotrop. Das heißt, sie bieten in allen Richtungen die gleichen physikalischen Eigenschaften. Im Gegensatz dazu sind 3D-gedruckte Produkte anisotrop: Beispielsweise kann ihre Festigkeit in horizontaler Richtung höher sein als in vertikaler.
Das Strukturverhalten, die Steifigkeit und die Zuverlässigkeit von Bauteilen aus isotropen Metallen lässt sich präzise berechnen. Bei 3D-Druck-Produkten ist es hingegen schwieriger, genaue Vorhersagen zu treffen. Nicht zuletzt deswegen schreitet die Einführung von AM bei der Herstellung von Schlüsselelementen aus Metall eher langsam voran: Die CNC-Bearbeitung ist das vorherrschende Verfahren bei der Produktion kritischer Bauteile.
Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Verfahren?
Die CNC-Bearbeitung ist vor allem dadurch eingeschränkt, dass der Zugang eines Schneidwerkzeugs zur zu bearbeitenden Oberfläche begrenzt ist. Anders der 3D-Druck: Dieser ist flexibler und erweitert die Möglichkeiten bei der Herstellung komplexer Formen beträchtlich. Der Metallabtrag durch Zerspanung bietet die Chance, Bauteile mit einem großen Abmessungsspektrum zu bearbeiten. Der 3D-Druck ist in dem Punkt wesentlich limitierter: Prinzipiell kann ein großformatiges Bauteil zwar additiv hergestellt werden. Hier bietet es sich aber an, das Teil in mehrere kleinere Komponenten aufzuteilen und diese anschließend zu fügen. „Dieses Verfahren verlängert die Produktionszeit jedoch erheblich und wirft zudem die Frage nach der geforderten Festigkeit und Steifigkeit auf“, gibt der CTO zu bedenken.
3D-Drucker erzielen aktuell eine Maßgenauigkeit von 0,25 Millimetern. Dies führt zu Ungenauigkeiten und zu rauen Oberflächen, die häufig aufwendig nachbearbeitet werden müssen. Die CNC-Bearbeitung ist wesentlich präziser und realisiert mindestens zwei- bis dreifach engere Toleranzen. Das Verfahren arbeitet zudem wiederholgenauer und erzeugt höhere Oberflächengüten.
Zu beachten sind auch die Themen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Ein 3D-Drucker ist günstiger als eine moderne CNC-Maschine. Bei der CNC-Bearbeitung fallen zudem Späne an, die recycelt werden müssen. Beim 3D-Druck entsteht dagegen weniger Abfall, der Werkstück-Werkstoff wird effizient genutzt und der Energieaufwand ist geringer.
Positiv: Fertigung sehr nahe an der Endform
Durch additive Fertigung entstehen Werkstücke, die der gewünschten Endform bereits sehr nahe kommen. Die Herstellung komplexer Bauteile erfordert eine CNC-Nachbearbeitung mit minimalem Werkstoffabtrag sowie hoher Präzision und Oberflächenqualität. „3D-Druck ermöglicht schnelle und präzise Prototyping-Ergebnisse und verkürzt so wertvolle Produktionszeit, um die optimale Lösung zu erzielen“, sagt Timons.
„3D-Druck-Verfahren sind aber kein Ersatz für die CNC-Bearbeitung, vielmehr ergänzen sich die Bearbeitungsprozesse.“ Es gibt bereits einige Maschinen auf dem Markt, die eine präzise mehrachsige Zerspanung mit dem 3D-Druck kombinieren – beides integriert in nur einer Anlage.
Was ist bei Werkzeugen durch 3D-Druck möglich?
Der Einsatz von 3D-Druck wirkt sich insbesondere vorteilhaft bei Fräswerkzeugen aus, die komplexe Teile formen und steigende Anforderungen an Effizienz und Präzision erfüllen müssen. Um optimale Zeitspanvolumen bei geringen Aufmaßen umzusetzen, kommen in der Praxis oft Hochgeschwindigkeits-Bearbeitungen (HSM) mit hohen Vorschüben und Drehzahlen zum Einsatz. Diese erfordern präzise Schneidwerkzeuge, die eine prozesssichere Zerspanung mit möglichst wenig Bearbeitungsdurchgängen und sehr guter Oberflächenqualität erlauben. Beispiele sind Vollhartmetall (VHM)-Schaftfräser – modulare Werkzeuge mit austauschbaren Schneidköpfen – und präzise Profilfräser mit einer Wendeschneidplatte, die Iscar für die wirtschaftliche Bearbeitung komplexer Formen anbietet.
Hersteller von Zerspanungswerkzeugen berücksichtigen die additiven Komponenten bei der Zusammenstellung ihres Portfolios. So hat Iscar sein Angebot an mehrschneidigen VHM-Fräsern für die Hochgeschwindigkeits-Bearbeitung erweitert. Das aktuelle „Neologiq“-Programm legt einen Schwerpunkt auf Schaftfräser mit speziellen Schneidengeometrien. Diese kommen bei der 5-Achs-Hochgeschwindigkeits-Bearbeitung komplexer Profile zum Einsatz und sind die passende Lösung für effiziente Schlichtverfahren. Darüber hinaus finden sich diese Plattengeometrien in einem einschneidigen Wendeschneidplatten (WSP)-Werkzeug wieder, das größere Fräser-Nenndurchmesser abdeckt. Die Ettlinger haben diese Schneiden in die modulare „Multi-Master“-Werkzeuglinie mit austauschbaren Fräsköpfen integriert. Sie verbindet die Vorteile von VHM- und WSP-Konzepten.
Vorteile in der Werkzeugentwicklung durch konstruktive Freiheiten
Ein Beispiel für die Synergie von 3D-Druck und CNC-Bearbeitung zeigt sich bei der Herstellung komplizierter Konfigurationen – zum Beispiel bei speziellen WSP-Werkzeugen. Darüber hinaus bietet der 3D-Druck Vorteile in der Werkzeugkonstruktion: Er optimiert die Bauart eines Fräsers. Dies betrifft insbesondere die Gestaltung und Herstellung von Innenflächen und Kühlmittel-Kanälen. Die neuartigen Möglichkeiten zur Auslegung von Tools erlauben die zielgerichtete Kühlung direkt an jeder Schneidkante.
Die F&E-Ingenieure von Iscar sehen folglich im 3D-Druck ein geeignetes Verfahren, um optimale und nachhaltige Lösungen für spezielle und neu entwickelte Produkte zu finden. Einen großen Schritt nach vorn macht der 3D-Druck von Wendeschneidplatten: Die additive Herstellung von Prototypen kommt damit ohne teure Matritzensätze aus und ermöglicht die zuverlässige Prüfung verschiedener Designvarianten der Platten. Dieses Verfahren verkürzt die Entwicklungszeit deutlich, senkt die Produktionskosten und minimiert den Abfall.
Das Fazit lautet: Der 3D-Druck wird die CNC-Bearbeitung auch in Zukunft nicht komplett aus den Produktionshallen verdrängen. Erich Timons bringt es auf den Punkt: „Die Symbiose dieser beiden Technologien wird ein charakteristisches Merkmal der Metallbearbeitung der nahen Zukunft sein.“
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