Virtuelle Inbetriebnahme steigert Verfügbarkeit von Werkzeugmaschinen
Moderne Bearbeitungsmaschinen werden immer komplexer und die Funktionsvielfalt nimmt stetig zu. Umso wichtiger ist es, alle Funktionen und Abläufe bereits vor der realen Inbetriebnahme umfangreich zu erproben.
Ganz im Gegensatz zur Komplexität der Werkzeugmaschinen wird das zur Verfügung stehende Zeitfenster, um diese in die Produktion einzubringen, fortwährend kürzer – ein Spannungsfeld, mit dem viele Fertigungsbetriebe heutzutage zu kämpfen haben.
Inbetriebnahme wird zum Zeit- und Kostenfaktor
Besonders gravierend tritt diese Diskrepanz bei der Erweiterung oder dem Umbau bestehender Anlagen und Fertigungslinien hervor, wo Stillstandzeiten so gering wie möglich gehalten werden müssen. Zusätzlich kommen immer häufiger Werkstückmaterialien zum Einsatz, die hoch entwickelt, langlebig und entsprechend teuer sind. Eine intensive Inbetriebnahme von Maschinen und Technologie kann dadurch schnell zu einem enormen Kostenfaktor werden. Um diesem Zwiespalt zu begegnen und trotzdem erfolgreich zu sein, ist es erforderlich, dass die Funktionen und Abläufe bereits vor der realen Inbetriebnahme umfassend getestet werden.
Eine Möglichkeit, dies umzusetzen, ist die „Virtuelle Inbetriebnahme“ (VIBN) von Maschinen und Anlagen. Dazu werden virtualisierte Maschinenmodelle entwickelt, welche das reale System- und Zeitverhalten abbilden. Bei erfolgreicher Umsetzung dieser virtuellen Tests können Entwicklungs- und Inbetriebnahmezeiten um 30 Prozent bis sogar zu 50 Prozent verkürzt werden. Dies sorgt im Betriebsalltag für erhebliche Effizienzsteigerungen.
Die Vorgehens- und Funktionsweise bei der virtuellen Inbetriebnahme
Die VIBN beschreibt die Erstellung eines virtuellen 3D-Abbildes einer oder mehrerer zu entwickelnder Maschinen und die Kopplung dieses Modells mit realen oder virtuellen Steuerungen. Die mechanischen und elektrischen Eigenschaften der Anlagen sollen damit möglichst 1:1 und in Echtzeit nachgebildet werden.
Mit einer solchen Virtualisierung von Maschinenmodellen ist eine Inbetriebnahme parallel zum Entwicklungs- und Fertigungsprozess möglich. Bereits während der Programmierung der Software können die Funktionen sowie das mechanische Verhalten der Maschine am Modell getestet und damit Fehlerquellen lokalisiert und beseitigt werden. Auch kritische Maschinenzustände lassen sich gefahrlos modellieren und intensiv prüfen.
Es werden dabei nicht nur einfache Schaltvorgänge simuliert – wie beispielsweise die Zuschaltung des Kühlschmierstoffs oder weiterer Medien – sondern auch komplexe Vorgänge getestet. Dazu zählen auch komplette Bearbeitungsprozesse oder komplexe Zusammenhänge hinsichtlich Materialfluss und Robotersteuerung. Durch die Kopplung von mehreren Maschinen und Automationssystemen werden vollständige Bearbeitungs- und Fertigungsprozesse simuliert. Diese können zum Beispiel aus einzelnen Fertigungszellen, wie der Kombination einer Fräsmaschine, einer Messmaschine und einer Anlagenautomation bestehen, oder auch vollständige Fertigungslinien abbilden. Während dieser Tests werden sowohl die Abläufe zur Messung und Übergabe der Qualitäten und Maßkorrekturen an die Maschinen, als auch die sich ändernden Produktionssteuerungsprozesse erkannt. Die mit Hilfe der Modelle optimierten Programme werden im Anschluss auf die realen Systeme übertragen.
Effizienz, langfristige Flexibilität und hohe Verfügbarkeit sicherstellen
Das Entwicklungswerkzeug VIBN ist sowohl eine wertvolle Ergänzung für den Entwicklungsprozess, als auch eine Ergänzung für den Service und die Fehleranalyse. Neben der deutlichen Verkürzung der Inbetriebnahmezeit (speziell auch direkt beim Kunden vor Ort) lassen sich vor allem auch zusätzlich anfallende Kosten –aufgrund von Nacharbeiten oder teurem Materialeinsatz für Tests – reduzieren und die Zuverlässigkeit der Systeme erhöhen. Insbesondere können aufgrund des Einsatzes der virtuellen Inbetriebnahme Verfügbarkeiten bis zu 95 Prozent erreicht werden.
Ein weiterer Vorteil der virtuellen Maschinenmodelle, vor allem aus Kundensicht, ist die Möglichkeit zur Nutzung während eines kompletten Maschinenlebens. Mit ihnen können Kunden ganze Produktionslinien umbauen bzw. auch nur einzelne Funktionalitäten in der Produktionslinie ergänzen. Stillstandszeiten, Umbauzeiträume und einhergehende Risiken lassen sich auf ein Minimum reduzieren.
Hoher Nutzen über ein komplettes Maschinenleben hinweg
Virtuelle Maschinenmodelle gestatten somit die Optimierung der gesamten Produktionsplanung – und zwar ein Maschinenleben lang. Aus diesem Grund ist die Bereitstellung einer virtuellen Inbetriebnahme – und damit verbunden die Möglichkeit der Übernahme des entstandenen digitalen Modells – immer häufiger ein zentrales Kriterium im Rahmen von Investitionsentscheidungen der Kunden im Werkzeugmaschinenbau. Diese Vorgehensweise perfektioniert hat Niles-Simmons Industrieanlagen, ein namhaftes Werkzeugmaschinenbau-Unternehmen und Teil der weltweit agierenden NSH Gruppe, die auf 185 Jahre Erfahrung zurückblickt. Deren Geschäftsaktivitäten konzentrieren sich auf Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Werkzeugmaschinen mit dem Ziel, innovative Produkte mit besonderer Qualität und Energieeffizienz herzustellen. Die Gruppe gehört zu den 30 größten Werkzeugmaschinenherstellern der Welt und ist in fünf Industriezweigen tätig: Maschinenbau, Automobil- und Truckindustrie, Luft- und Raumfahrt, Railway und Metroindustrie sowie Werkzeug- und Formenbau.
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Thomas Koch, Dipl.-Ing., ist Leiter Produktstrategie bei der Niles-Simons Industrieanlagen GmbH in Chemnitz. Foto: NSH