Werkzeugspezialist treibt nachhaltige Produktion voran
Für fortschrittliche Hersteller von Zerspanungswerkzeugen gehört Nachhaltigkeit schon seit geraumer Zeit zu den Zielen, an denen sich die Strategie des Unternehmens ausrichtet.
Vor knapp zehn Jahren wurde beispielsweise „Walter Green“ etabliert: Unter dem Label werden seit 2013 Zerspanungswerkzeuge angeboten, die komplett CO2-kompensiert sind. Mit dem Service „Reconditioning“ gibt es außerdem seit Jahren ein Angebot, mit dem Kunden die Standzeit von hochwertigen Zerspanungswerkzeugen verdreifachen können. Im Jahr 2021 hat sich der bekannt Hersteller Walter aus Tübingen noch deutlich ambitioniertere Unternehmensziele in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt: Bis 2030 werden die CO2-Emissionen des gesamten Unternehmens halbiert, Produkte und Verpackungen zu 90 Prozent aus recyceltem Material hergestellt.
Für die Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele spielen Gerhard Schüßler und sein Team eine wichtige Rolle. Als „Head of Quality & Risk Management“ bei Walter (www.walter-tools.com) hat er vor allem die Gesamtheit der Prozesse im Blick. Dass Nachhaltigkeit gerade bei einem metallverarbeitenden Unternehmen auch ein wichtiger Faktor im Bereich Risikomanagement ist, sollte niemanden überraschen. Gerhard Schüßler erklärt: „Wie zentral stabile und redundante Lieferketten sind, zeigen nicht nur die Effekte, die globale und regionale Schutzmaßnahmen gegen die Covid19-Pandemie auf den globalen Warenkreislauf haben. Die Extremwetterereignisse, mit denen wir es dieses Jahr weltweit zu tun bekommen haben, sind ein weiterer Faktor, der sich disruptiv auf Beschaffungsprozesse auswirkt. Und natürlich ist die Metallbearbeitung energieintensiv. Somit sind wir auf eine stabile Energieversorgung, auch was die Preise angeht, angewiesen. Dazu kommt, dass wir uns als Hersteller von Vollhartmetallwerkzeugen auf die verlässliche Verfügbarkeit von Metallen verlassen müssen. Die Grundstoffe für diese Werkzeuge haben unter sozialen, ökologischen sowie auch politischen Gesichtspunkten oft schwierige Förder- und Produktionsbedingungen. Kurz: Sich ökologisch verantwortlich aufzustellen, heißt auch, sich wirtschaftlich nachhaltig aufzustellen.”
Vom Wissen, wie groß der eigene CO2-Fußabdruck ist, zum Handeln
Eine grundlegende Herausforderung für Unternehmen, den eigenen CO2-Ausstoß zu erfassen, zu bilanzieren und dessen Reduktion zu messen, ist gegenwärtig noch das Fehlen global verankerter Standards und Normen. Walter orientiert sich bei seiner eigenen Klimabilanzierung einerseits an Verfahren, die in anderen Branchen und Industrien bereits erfolgreich eingesetzt werden – zum Beispiel auf die Zertifizierung durch die weltweit anerkannte CSR-Rating-Agentur Ecovadis. Andererseits arbeiten die Tübinger aktuell an einem wissenschaftlich basierten Berechnungsmodell, mit dem die vielen Faktoren, die die CO2-Bilanz eines konkreten Werkzeugtyps beeinflussen, berechnet werden.
Aber auch ohne weltweite Normen und Standards gibt es ausreichend Parameter, mit denen jetzt schon gemessen werden kann, wie man in Sachen Energie- und Ressourcenverbrauch steht. So ist das Unternehmen nach ISO 14001 (Umwelt) und ISO 50001 (Energie) zertifiziert. Der Energieverbrauch ist tatsächlich eine einfache, aber sowohl ökonomisch als auch in Bezug auf den Klimaschutz aussagekräftige und leicht messbare Größe – und er lässt sich bereits mit überschaubaren Maßnahmen reduzieren. So konnte Walter allein durch die Umrüstung der Hallenbeleuchtung in der Rohlingsfertigung auf LED-Beleuchtung den Energieverbrauch der Leuchtmittel mehr als halbieren. In der Wendeschneidplattenfertigung in Münsingen sind bereits heute Energie-, Wasser- und Wärme-Produktion und -Verbrauch soweit möglich als geschlossene Kreisläufe gestaltet.
Eine echte Herausforderung: Metallbearbeitung klimaneutral gestalten
Die größte Herausforderung bei der weitgehend CO2-neutralen Gestaltung der Produktion stellen in der metallbearbeitenden Industrie die Materialien und die Bearbeitungsprozesse selbst dar. Da sind zum einen die oft schwierigen Förderbedingungen. Aber selbst bei Minen und Herstellern, die die von Walter geforderten sozialen und ökologischen Standards transparent nachweisen, bleibt die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen wie Kobalt, aber auch ganz gewöhnlichen Stählen energieintensiv. Ein Walter Vollhartmetall-Werkzeug zum Beispiel besteht im Durchschnitt zu rund 10 Prozent aus Kobalt. Ähnlich ökologisch und teilweise politisch schwierige Beschaffungssituationen gibt es auch bei Wolframcarbid und Tantal, die bei Walter in vielen Werkzeugen und Beschichtungen zum Einsatz kommen.
Strenge Zertifizierung für nachhaltige Lieferketten
Der Werkzeugspezialist hat Strategien entwickelt, um das Sourcing nachhaltig zu gestalten. So stammt ein Teil des Bedarfs an Wolframcarbid von der Wolfram Bergbau und Hütten AG aus Österreich: Das Unternehmen gehört weltweit zu den bedeutendsten Wolfram-Produzenten. In Mittersill (Österreich) wird Scheeliterz gefördert; in St. Martin im Sulmtal (Österreich) wird dieses gemeinsam mit weltweit zugekauften Rohstoffen, darunter auch verschlissene Werkzeuge aus Wolframcarbid, zu Wolframoxid-, Wolframmetall- und Wolframcarbidpulver verarbeitet. Im Konzern werden die Rohmaterialien ausschließlich von Lieferanten bezogen, die nach international geltenden Standards wie denen der „Responsible Mining Initiative“ zertifiziert sind. So hat Walter die Garantie, dass die von hier bezogenen Ausgangsmaterialien für Vollhartmetall-Werkzeuge und Wendeschneidplatten weder aus Konfliktgebieten stammen noch unter Menschen- und Umwelt-ausbeutenden Arbeitsbedingungen gefördert und verarbeitet worden sind.
Produktion ressourcenoptimiert gestalten
Gerade bei der Herstellung von Wendeschneidplatten und Vollhartmetallwerkzeugen werden zwangsläufig Abfälle produziert, die aufwendig bei der sachgerechten Entsorgung sind oder nur in relativ komplizierten Prozessen wieder dem Rohstoffkreislauf zugeführt werden können. Hier verfügt der Anbieter über einen besonderen Vorteil: Vom Pressen und Sintern der Ausgangsstoffe bis hin zur Beschichtung liegen das komplette Know-how und die Produktionsprozesse im Unternehmen.
Für eine ressourcenoptimierte Herstellung arbeiten bereits in der Entwicklungsphase neuer Werkzeuge die Entwicklungsingenieure und Produktionsplaner eng zusammen. Die Wendeschneidplatten werden heute bei Walter präzisionsgesintert und direkt gepresst. Das heißt, dass die Platten schon im form- und geometriegebenden Verfahrensgang so genau wie möglich in ihre finale Form gebracht werden. Dadurch entfällt meistens das Umfangschleifen. Die so eingesparten Prozessschritte sparen Energie und der sonst beim Schleifen entstehende Abfall muss nicht aufwendig recycelt werden. Ein weiteres Beispiel: Bei den „DC160“-Supreme-Bohrern hat der Hersteller den Durchmesser des Schafts verkleinert – das benötigt weniger Rohmaterial und spart Zeit beim Schleifen. So lassen sich jährlich bis zu vier Tonnen CO2 einsparen.
Nachhaltigkeit als strategischer Wettbewerbsvorteil
Gerhard Schüßler erklärt, warum Investitionen in Nachhaltigkeit gut angelegt sind: “Wir haben bereits einiges in die neue Nachhaltigkeitsstrategie investiert. Gerade das Konzipieren und Aufsetzen neuer Prozesse kostet Geld, aber wir sind sicher, dass wir damit ganz direkt in unsere Zukunft investieren. Wer sich jetzt nicht entsprechend aufstellt, wird bereits in den kommenden Jahren ernsthafte Schwierigkeiten am Markt haben. Der Nachweis einer funktionierenden Nachhaltigkeitsstrategie ist für einige unserer Kunden schon jetzt ein wichtiges Kriterium, um als Lieferant in Frage zu kommen. Und auch die gesetzlichen Anforderungen in der EU und weltweit machen Druck. Proaktiv zu handeln, sorgt für Spielräume, die man als Unternehmen vielleicht bald nicht mehr hat.”
Die Kunden profitieren jetzt schon direkt von der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens: Beispielsweise kommen nur noch neue Zerspanungslösungen auf den Markt, die im Vergleich zur Vorgängergeneration eine deutliche Produktivitätssteigerung beziehungsweise Standzeiterhöhung (über 30 Prozent) liefern oder auch eine Schneidkante mehr bei gleichem Werkzeugvolumen bringen. Das ist ein direkter wirtschaftlicher Vorteil für die Anwender, aber auch ein Gewinn an Nachhaltigkeit: mehr Produktivität pro Werkzeug.
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