Digitale Zwillinge optimieren den Sortierprozess
Wohl jeder Logistiker kennt das Problem: Polybags, also biegeschlaffe Warensendungen in einer flexiblen Umverpackung, machen den Sortierprozess nicht selten schwer bis unmöglich. Wissenschaftler*innen der TU Graz haben für dieses Problem nun eine Lösung gefunden. Sie entwickelten einen digitalen Zwilling für die flexiblen Sendungen.
Polybags kommen beim Versandhandel immer mehr in Mode. Allerdings haben die Postsendungen in biegeschlaffen flexiblen Verpackungen ihre Tücken. Im Gegensatz zu „normalen“ Warensendung in festen Paketen aus Karton verändern die Kunststoffverpackungen während des Transport permanent ihre Form und behindern so in den Umschlagzentren eine zuverlässige automatische Sortierung. Wissenschaftler*innen des Instituts für Technische Logistik an der TU Graz haben sich diesem Problem gemeinsam mit dem Unternehmen Körber und der Österreichischen Post im Projekt ISAAK zur Entwicklung eines Simulationsansatzes zur Analyse von Kleinsendungen angenommen. Dieses Forschungsvorhaben wird unterstützt von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Zum Einsatz kommt dabei eine realitätsgetreue physikalische Simulation, die sich nach Aussage der Forschenden als Lösung auch abseits von Postsendungen nutzen lässt.
Versandkartons auf Maß geschneidert
Steigendes Polybag-Aufkommen
„Besonders bei Sendungen aus Fernost ist die Zahl an Polybags in den vergangenen Jahren aufgrund der geringeren Kosten stark gestiegen“, erklärt Projektleiter Christian Landschützer vom Institut für Technische Logistik der TU Graz. „Um die großen Mengen zu bewältigen, sortieren Logistiker die Sendungen automatisch, und mit der von uns entwickelten Methode gelingt das jetzt mit Polybags zuverlässiger als bisher. Soweit wir wissen, sind wir derzeit weltweit die einzigen, die sich dieses Themas angenommen haben.“
Dazu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Methode entwickelt, mit der sich das Verhalten eines Polybags physikalisch sehr genau simulieren lässt. Dadurch kann eine Sendung bei ihrer Reise durch das Logistikzentrum nun virtuell verfolgt, physikalisch beschrieben, wiedererkannt und sortiert werden. Doch damit nicht genug: Auch viele weitere – leicht verformbare – Behälter mit losem Inhalt in Form von Stück- oder Schüttgut lassen sich mit dem an der TU Graz entwickelten Verfahren auf dem Weg durch das Logistikzentrum verfolgen. Zudem ist die Technik zukunftsfit, wie die Projektverantwortlichen betonen, da sich mögliche künftige Änderungen am Verpackungsmaterial mit der neuen Technologie ebenfalls simulieren lassen.
KI wird dem Softwareeinsatz in der Logistik neuen Schwung verleihen
Im laufenden Betrieb vermessen
Zunächst galt es für die Entwicklung einer realitätsgetreuen Simulation herauszufinden, welche Arten von Warensendung im Umlauf sind. Die Forschenden haben dafür sehr viele Sendungen vermessen und deren Merkmale beschrieben. Dies geschah im laufenden Betrieb eines Paketzentrums. Die unterschiedlichen Paketsorten fassten die Forschenden in „Clustern“ zusammen, um diese Klassen anschließend nachzubauen. In einer Testanlage von Körber wurden mit diesen Nachbauten anschließend zahlreiche Testreihen durchgeführt. Die über die Versuchsergebnisse ermittelten Daten dienten zur Kalibrierung der Parameter des Simulationsmodells. Dafür wurden modernste mehrkörperdynamische und mechanisch-physikalischen Simulationsmethoden eingesetzt, über die sich das reale Verhalten einer Sendung genau abbilden lassen. Im Blickpunkt standen dabei die damit analysierbaren Kräfte, welche im Sortierprozess auf die Sendungen einwirken. Die Cluster und deren realitätsgetreue Simulation wird von den Logistiker nun genutzt, um damit die Erkennung und anschließende Verarbeitung von Sendungen in den Sortieranlagen zu optimieren. Auf der anderen Seite nutzen die Hersteller von Fördertechnik – wie zum Beispiel der Projektpartner Körber – die so gewonnenen Erkenntnisse für die Neu- und Weiterentwicklung von Anlagen innerhalb einer virtuellen Umgebung.
Flurförderzeug-Hersteller beweisen Innovationspotenzial
Sendungsinteraktion als Folgeprojekt geplant
„Obwohl die Problematik der verformbaren Verpackungen aus dem Postsektor kommt, war es uns wichtig, das Thema aus Sicht der Grundlagenforschung zu betrachten, um eine Lösung für mehrere Anwendungsbereiche zu finden. Dadurch können verschiedenste Sektoren von unseren Ergebnissen profitieren“, sagt Christian Landschützer. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts ISAAK möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Technische Logistik jetzt für ein Folgeprojekt nutzen. Anstatt nur eines sollen dann mehrere Polybags und ihre Interaktion simuliert werden, um damit die Beschreibung von Sendungen im Sortierprozess noch weiter zu verbessern. Dieses Forschungsprojekt ist verankert im Field of Expertise „Mobility & Production“, einem von insgesamt fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.