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FTS-Fachtagung 2022 29.11.2022, 12:27 Uhr

Fahrerlose Transportsysteme: Spannende Vorträge „aus der Praxis für die Praxis“

Unter dem Motto „Bewährte Technik und innovative Technologien: Mit FTS und AMR bereit für zukünftige Herausforderungen“ fand kürzlich die FTS-Fachtagung am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund statt. Über 190 Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, sich über Best-Practice-Lösungen sowie Praxiserfahrungen rund um die Auswahl, die Einführung und den Betrieb von Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) zu informieren.

Zahlreichen Themen rund um Fahrerlose Transportsysteme wurden kürzlich während der FTS-Fachtagung am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund besprochen. PantherMedia/gualtiero boffi

Zahlreichen Themen rund um Fahrerlose Transportsysteme wurden kürzlich während der FTS-Fachtagung am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund besprochen. PantherMedia/gualtiero boffi

Bei der 16. FTS-Fachtagung – zum inzwischen sechsten Mal in Dortmund ausgerichtet – war fast alles wieder so wie in den Vorjahren: ein Get-together zum Networken am Vorabend, persönliche Gespräche in den Pausen und in der tagungsbegleitenden Fachausstellung mit 29 ausstellenden Firmen, im Hörsaal Platz für 180 Zuhörer die, einziges Zugeständnis an die Corona-Pandemie, Masken trugen, sieben Vorträge und eine 1,5-stündige Podiumsdiskussion.

Nach der Begrüßung der Tagungsteilnehmer durch Dr. Günter Ullrich, Leiter des VDI-Fachausschuss „Fahrerlose Transportsysteme“ und des Forum-FTS als fachlicher Träger der Tagung, machte Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML, mit seinem Impulsvortrag „Innovationen in der Intralogistik“, den Auftakt. Er spannte einen weiten Bogen von der Vorstellung technischer Neuerungen, wie Schwärme autonomer Roboter, plattformbasierte KI, „cyberphysische Zwillinge“ und – in nicht allzu ferner Zukunft – humanoide Roboter, hin zu aus seiner Sicht absolut notwendigen firmenübergreifenden Entwicklungskooperationen. Zitat: „… den Entwicklungsherausforderungen ist kein einzelnes Unternehmen gewachsen. Die Zeit der Alleingänge ist vorbei!“

Das autonome Fahren nimmt im Lager Gestalt an

Direkte Kopplung von Produktion und Versandzentrum mit vier verschiedenen FTF-Typen

Ein komplexes FTS, bestehend aus in Summe zwölf automatischen Fahrzeugen mit vier verschiedenen Fahrzeugtypen des Hersteller ek robotics, stellte Martin Strobel, Projektleiter bei der Warema Renkhoff SE, Marktheidenfeld vor. Am Standort Wertheim entstand 2021 ein neues Produktions- und Logistikzentrum, 34 Dockingstationen und 48 Lkw-Stellplätze stehen hier für die Versandabwicklung bereit. Ein wesentliches Projektziel war die maximale Reduktion der innerbetrieblichen Logistikaufwendungen, was durch den Einsatz eines FTS erreicht wurde. Das FTS verknüpft dabei direkt mehrere Bereiche, die Fahrzeuge befahren ein Wegenetz von über vier km Länge und bedienen dabei mehr als 1.500 Lagerplätze und 300 Übergabestationen. Weitere Ausbaustufen sind in der Planung.

So werden FTS-Projekte erfolgreich

Outdoor FTS bei BASF: Sechs Jahre Betriebserfahrungen

In einem Doppelvortrag berichteten Roland Senninger, Betriebsleiter a. D. bei der BASF SE in Ludwigshafen, und sein Nachfolger Dr. Christian Fischmann, über „ihr“ FTS, bestehend aus acht Schwerlast-FTF für den Transport von ca. 40 t schweren Tank-Containern. In einem umfassenden Optimierungsprojekt wurde vor ca. zehn Jahren damit begonnen, die gesamte Bahnlogistik im und außerhalb des Werks auf neue Beine zu stellen. Mit der Entkoppelung von Tankcontainer und Tragwagen konnten neue Wege in der Logistik aufgezeigt werden. Dies ermöglicht unter anderem eine flexiblere und deutlich verkürzte Zustellung der Tankcontainer zu den Betrieben durch mehrere Schwerlast-FTF. Vorgestellt wurde die Technik der Fahrzeuge, ihre Sicherheitseinrichtungen sowie der Leitstand mit der Möglichkeit zur werksweiten videounterstützten Teleoperation.

Der digitale Lieferschein kommt

Schwerwiegende FTS-Installation in der Serienproduktion

Markus Guggemoos, Prozessmanager Produktion bei der Deckel Maho Pfronten GmbH, erläuterte in seinem Vortrag, dass auch Schwerlast-FTF als „rollende Werkbänke“ eingesetzt werden können. Im Jahr 2020 wurde die Produktion der monoBlock-Baureihe von einer Standplatzmontage zu einer kontinuierlichen Fließmontage umgebaut. Es kommen nun FTS der Firma Solving zum Einsatz, welche die bis zu 20 t schweren Werkzeugmaschinen über 34 Stationen mit je sieben m Länge im 150 Minuten-Takt bewegen. Die Navigation erfolgt über ein QR-Code-Band, welches nicht nur für die FTF-Führung, sondern auch für den automatischen Materialabruf über die Leitrechner-ERP-Schnittstelle genutzt wird.

Die Herausforderungen bei der Auswahl des FTS lagen neben der hohen Traglast und der geringen Fahrgeschwindigkeit von 0,003 km/h auch in der geforderten Stabilität, denn neben der Montage der Werkzeugmaschinen werden auch die Geometrievermessung und Testläufe auf dem FTF durchgeführt. Weiter musste die Sicherheitstechnik so gewählt werden, dass eine Montage an und auf dem Fahrzeug trotz kontinuierlicher Bewegung sicher möglich und gleichzeitig ergonomisch ist.

Coole Produktionsversorgung mit FTS in der Kühl- und Gefriergerätefertigung

Steffen Baur, Global Production Planer Logistik bei der B/S/H Hausgeräte GmbH in Giengen an der Brenz, stellte in seinem Vortrag ein 2019 gestartetes FTS-Pilotprojekt als Alternative beziehungsweise zur Ergänzung der vorhandenen Routenzüge vor. Ausgewählt wurden Unterfahr-FTF des Lieferanten DS Automation aus Linz (A), zu transportieren sind Trolleys mit Türen für Kühl- und Gefriergeräte. Die FTF sind in der Lage ist, die Trolleys zu unterfahren und zum Transport anzuheben. Eine wichtige Vorgabe war, dass die bereits vorhandenen Trolleys weiterverwendet und möglichst nicht angepasst werden sollen. Die beladenen Trolleys werden in der Türenfertigung an Bahnhöfen bereitgestellt, vom FTF aufgenommen und an die Endmontagelinie gefahren. In der Türenfertigung erfolgt die Bereitstellung in den Bahnhöfen entweder manuell durch die Werker oder automatisch per Roboter und Fördertechnik. An der Endmontage werden volle Trolleys abgegeben, leere Trolleys aufgenommen und zurück zur Türfertigung transportiert. Die Steuerung der Transportaufträge erfolgt durch das System selbst, das heißt ohne Schnittstelle zu einem übergeordneten Materialflussrechner. Hierzu wird die Belegung der Stellplätze in der Endmontage über Sensoren abgefragt. Die acht FTF vom Typ OSCAR spin führen bis zu 550 Transportaufträge pro Tag durch und teilen sich dabei die Fahrwege mit Routenzügen und zahlreichen anderen manuell bedienten Flurförderzeugen.

„TOP 100 der Logistik – Marktgrößen und Marktsegmente“ – die deutsche Logistikwirtschaft im Fokus

Sechs Jahre Erfahrung mit frei navigierenden FTF von zwei verschiedenen Herstellern in einer Anlage

Michael Grünert, Technologe für FTS im Siemens Gerätewerk in Erlangen berichtete über Betriebserfahrungen mit einer in sechs Jahren stetig gewachsenen Fahrzeugflotte von inzwischen 26 Omron- und sechs Agilox-FTF. Das Zusammenspiel zwischen dem FTS und Leichtbaurobotern in der Montage ist ein zentraler Automatisierungsbaustein. Für die Omron-FTF wurden drei verschiedene Aufsätze und die dazu passenden Bahnhöfe entwickelt. Damit können KLTs, Magazine, Kartonagen und Fertigerzeugnis-Stapel transportiert werden. Mit dem Agilox-FTF werden Euro-Paletten und halbe Euro-Paletten gefahren. Für die Prozesse wurden die Übergabe-Bahnhöfe sowie Hubregale neu entwickelt.

Leitsystem für hybride FTS-Flotten

Stephan Hosemann, Leiter Logistik, und Jonathan Hoffmann, Prozessmanager Logistik, bei der Knoll Maschinenbau GmbH in Bad Saulgau, stellten in Ihrem Vortrag ihre Erfahrungen mit dem 2021 eingeführten Transportleitsystem FlexGuide der Firma Flexus AG vor. Dieses koordiniert derzeit 14 Stapler und Ameisen, zwei Routenzüge sowie vier AGVs im Einsatz, die pro Tag rund 1.000 Fahraufträge bewältigen. Ziel bei der Einführung war es, den Materialfluss komplett transparent zu gestalten und mehrstufige Fahraufträge – auch über unterschiedliche Fahrzeugtypen hinweg – generieren zu können. Für jeden einzelnen Transportauftrag entscheidet das Leitsystem, durch welches Flurförderzeug dieser Auftrag ausgeführt werden soll. Dabei werden die hinterlegten Prioritäten berücksichtigt, die unter anderem nach Fälligkeit, Alter und Fahrstrecke unterschieden und jederzeit manuell übersteuert werden können. Ein Teil der Transportaufträge wird manuell durch die Mitarbeiter erstellt, hierfür werden die nahe der rund 120 Anlaufstellen montierten stationären Terminals sowie Tablets der Werker genutzt. Die restlichen Transportanforderungen werden zyklisch im Hintergrund generiert sowie durch Produktionsrückmeldungen automatisch angelegt.

Vielfältige Einsatzgebiete für FTS in unterschiedlichen Branchen

Die insgesamt sechs Vorträge „aus der Praxis für die Praxis“, in denen aus Betreibersicht konkrete Fahrerlose Transportsysteme vorgestellt wurden, haben erneut gezeigt, welch vielfältige Einsatzfelder in den unterschiedlichsten Branchen möglich sind und welche Optimierungspotenziale sich im innerbetrieblichen Materialfluss durch FTS realisieren lassen. Die Podiumsdiskussion hat deutlich gemacht, in welch aufregenden Zeiten sich die automatisierte Intralogistik befindet. Die sich stark verändernden Anforderungen der großen Märkte und die enorme Nachfrage nach FTS erzeugt schon jetzt Vorfreude auf die nächste FTS-Fachtagung im Herbst 2024.

Vorankündigung

Die 17. FTS-Fachtagung wird am 25. September 2024 erneut am Fraunhofer IML in Dortmund stattfinden. Bereits im September nächsten Jahres findet in der Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen das 10. „Technologieforum Fahrerlose Transportsysteme (FTS) und mobile Roboter“ statt, organisiert durch das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart.

Von Thomas Albrecht und Dr. Günter Ullrich