FTS-Fachtagung findet jetzt wieder als Präsenzveranstaltung
Die letzte FTS-Fachtagung fand Corona-bedingt als virtuelle Tagung statt, in diesem Jahr trifft sich die Branche wieder persönlich. Die Redaktion sprach mit den Organisatoren der Veranstaltung, Dipl.-lng. Thomas Albrecht, Leiter Fahrerlose Transportsysteme am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, und Dr.-Ing. Günter Ullrich, Leiter desVDI-Ausschusses FTS und der europäischen Community „Forum-FTS“.
LfU: Am 21. September findet die inzwischen 16. FTS-Fachtagung statt, dann bereits zum sechsten Mal am Fraunhofer IML in Dortmund. Was ist in diesem Jahr anders und was werden Sie beibehalten?
Thomas Albrecht: Wir freuen uns darauf, in diesem Jahr wieder eine Präsenzveranstaltung in Dortmund durchführen zu können – das wäre dann also anders als vor zwei Jahren und wieder so, wie bei den früheren Tagungen. Somit gibt es in diesem Jahr auch wieder ein Get-together am Vorabend, persönliche Gespräche in den Pausen und auch eine tagungsbegleitende Fachausstellung in unserer großen Versuchshalle. All dies hat – neben den Vorträgen – in den Vorjahren den Charakter der Veranstaltung geprägt und war für viele Teilnehmer ein wichtiger Grund, nach Dortmund zu reisen. An dem seit vielen Jahren bewährten Konzept der Tagung haben wir nichts verändert, dies bedeutet, wir haben wieder ein Programm mit Beitragen „aus der Praxis für die Praxis“: Anwender berichten von ihren FTS-Projekten, ihren Erfahrungen und von den Beweggründen, die zur Entscheidung für ein solches System geführt haben. Außerdem gibt es am Nachmittag eine 1,5-stündige Podiumsdiskussion, bei der unter der Leitung von Dr. Ullrich vier Industrievertreter ein Thema diskutieren werden, das bereits seit einiger Zeit die FTS-Branche und potenzielle Anwender bewegt: Autonome Fahrzeuge, wahlweise FTF oder AMR genannt, und die Frage, welche sinnvollen Use Cases es für diese Technologie gibt.
LfU: Worum wird es bei dieser Podiumsdiskussion gehen?
Günter Ullrich: Diesmal dreht sich die Diskussion um das Buzzword Autonomie. Wir stellen den FTS-Leitfaden „Autonomie bei mobilen Robotern“ vor, den wir im VDI-Fachausschuss FTS erarbeitet haben. Daraus geht ja hervor, dass es zehn Autonomiefunktionen gibt, mit denen man die „autonome Ausstattung“ eines fahrerlosen Fahrzeugs bewerten kann. Je mehr von diesen Funktionen im Fahrzeug vorhanden sind, desto größer ist der sogenannte Autonomie-Index. Wir diskutieren dann darüber, unter welchen Umständen, also in welchen Einsatzfällen man autonome Funktionen brauchen kann. Denn nicht jede autonome Funktion ist per se gut oder schlecht – sie muss vielmehr zum „Use Case“ passen! Die Diskussionspartner werden sein: Mathias Behounek von Safelog, Nicola Tomatis von Bluebotics, Sven Kaluza von Omron und Michael Dold von Sick. Ich erwarte ein Stück Aufklärung zu dem aktuellen Thema!
LfU: Und wo haben Sie generell den inhaltlichen Schwerpunkt ihrer Veranstaltung gesetzt? Und – welchen Nutzen wollen sie den Teilnehmern vermitteln?
Albrecht: Nun, der Nutzen besteht weiterhin darin, dass nicht Hersteller über ihre Produkte und Projekte berichten, sondern dass Anwender ihre Erfahrungen mit der Technik und der Wirtschaftlichkeit solcher Systeme beschreiben. Somit richtet sich die Botschaft unserer Veranstaltung an all jene, die sich grundsätzlich für FTS interessieren und mit dem Gedanken tragen, ihre innerbetrieblichen Transportprozesse mithilfe eines solchen Systems zu automatisieren. Wir bieten Informationen, die nicht auf Aussagen der Hersteller basieren, sondern auf den Erfahrungen der Anwender. Diese berichten aus erster Hand, wie und unter welchen Bedingungen sich FTS planen, in Betrieb setzen und betreiben lassen. Also noch mal: Vom Anwender für Anwender.
Ullrich: Im Auditorium sehe ich aber nicht nur zukünftige Betreiber, sondern auch Anwender, die bereits eine Anlage installiert haben. Auch diesen bieten wir mit der Tagung die Plattform für einen regen Erfahrungsaustausch – wie lassen sich beispielsweise vorhandene Anlagen umbauen, erweitern oder modernisieren, um leistungsmäßig und sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand zu bleiben.
LfU: Im Vergleich zu der vergangenen Veranstaltung: Werden wir neue Entwicklungen oder Einsatzbereiche kennenlernen?
Ullrich: Zwangsläufig! Denn wir sprechen über aktuelle Projekte und Marktentwicklungen. Neben allen Innovationen werden wir in den Vorträgen auch über alltägliche Probleme sprechen. Denn in den Projekten gibt es häufig genug ganz reale Probleme zu lösen; da geht es beispielsweise um den Mischbetrieb mit manuell betriebenen Fahrzeugflotten oder um Verfügbarkeitsprobleme aufgrund von unausgereifter Lokalisierungstechnik. Natürlich geht es darum, zur Aufgabenstellung in der Intralogistik die passende Technik auszuwählen – aber es geht dann eben auch um eine saubere Einbindung in die Anlagenperipherie sowohl hardware- als auch softwareseitig, um die Gewährleistung der Performance und Sicherheit der Anlage und um ein ordentliches Projektmanagement.
Albrecht: Wenn wir uns das Programm und die Vortragsthemen anschauen, so haben wir in diesem Jahr wieder einen breiten Branchen-Mix: Neben der Vorstellung eines FTS-Projekts in der Chemieindustrie wird ein FTS-Einsatz in der Linienfertigung bei der Produktion von Werkzeugmaschinen vorgestellt – allerdings fallen hier die Fahrzeuge aufgrund der Größe und des Gewichts der Maschinen, die auf ihnen gefertigt werden, in die Kategorie Schwerlast-FTF. Zwei weitere Vorträge stellen den FTS-Einsatz in der Produktionslogistik vor, konkret wird es zum einen um die Produktionsver- und -entsorgung bei der Herstellung von Markisen und Jalousien und zum anderen um die Fertigung von Hausgeräten, der sogenannten Weißen Ware gehen. Am Nachmittag erfahren wir Details über den Einsatz von Fahrzeugen in der Elektronikfertigung, und es wird über Betriebserfahrungen mit dem Einsatz einer gemischten Flotte von manuell bedienten und automatischen Fahrzeugen, die von einer einzigen gemeinsamen Leitsteuerung koordiniert werden, berichtet. Da ich die Vortagsabstracts bereits kenne, kann ich versprechen, dass es ganz sicher nicht langweilig wird.
LfU: Was tut sich denn heute in der FTS-Branche und was steht ihr noch bevor?
Ullrich: Wir sehen ja schon im Kreis unseres FTS-Fachausschusses, dass wir Teilnehmer dort haben, die vor einigen Jahren noch nicht dabei waren: Ich rede dabei von Maschinenbau-Unternehmen und Herstellern von Lagertechnik oder Robotern. Das ist für mich ein klarer Hinweis, dass sich inzwischen ganz andere Fachgebiete der Intralogistik mit FTS-Technik befassen und oft zu ganz neuen Lösungen kommen. Ein Beispiel sind die mobilen Roboter, die immer häufiger für Dienstleistungen in industriellen, aber auch in öffentlich zugänglichen Bereichen eingesetzt werden. In der Intralogistik wird es zu Veränderungen kommen, Stichwort „kleine einfache Fahrzeuge“: Mit denen lässt sich nicht nur die klassische Fördertechnik ersetzen, sondern sie werden auch in ernsthafte Konkurrenz zu den heute üblichen Routenzügen treten. Die großen Anwender – allen voran die Automobilindustrie – haben mit steigender Anzahl der eingesetzten FTS das Problem der Einbindung der Leitsteuerungen in die eigene IT-Welt. Daraus leiten sich Forderungen nach Standards ab, die sowohl technische Auswirkungen als auch Veränderungen im Einkaufsverhalten haben werden. Durch die Vielzahl der neuen Spieler im Markt wird die Lage unübersichtlicher. Nicht jeder Neueinsteiger ist in der Lage, die komplexen Anforderungen eines FTS-Projektes gleich von Anfang an zu beherrschen. So beobachten wir folgenschwere Fehler, die von den etablierten FTS-Herstellern bereits vor zwanzig Jahren gemacht wurden.
Albrecht: Mit Blick auf die Technologie sehe ich etliche vielversprechende Entwicklungen bei der 3D-Sensorik – sowohl für reine Messaufgaben, Stichwort „Umfelderfassung“ und „Umgebungsnavigation“, aber auch für zertifizierte Sicherheitstechnik. Insbesondere für die Umfelderfassung werden dabei neben den bisher üblichen Laserscannern auch Stereo-Kamerasysteme und Time-of-Flight-Kameras eingesetzt, deren Daten – man könnte auch von einer „Datenflut“ sprechen – mit KI-basierten Algorithmen ausgewertet werden. Ziel ist dabei die sogenannte Objektklassifikation: Mit Methoden des Machine Learnings beziehungsweise Deep Learnings werden aus der großen Menge an Bildpunkten zuvor erlernte „Intralogistik-Objekte“ extrahiert und deren Lage relativ zum FTF an die Fahrzeugsteuerung übertragen. Diese ist dann in der Lage, beispielsweise auf das Objekt „Palette im Fahrweg“ anders zu reagieren als auf das Objekt „Mensch“ oder „Gabelstapler“ im Fahrweg.
Ullrich: Generell schätze ich die Lage als sehr positiv für die gesamte Branche ein, weil es einen weiter wachsenden Bedarf für flexible fahrerlose Automatisierung gibt. Die Einsatzbereiche für die automatisierte Mobilität wachsen zusammen. Wir sind mit etablierten und neuen Anbietern in der Lage, neue intralogistische Lösungen zu schaffen. Mit jeder neuen Technologie, vornehmlich in den Bereichen Sensorik und Steuerung, und jedem neuen Spieler am Markt wachsen die Möglichkeiten. Allerdings wird es für den potenziellen Anwender damit nicht unbedingt leichter: die Aufgabe, ein zuverlässiges, leistungsfähiges und sicheres FTS in die eigenen Prozesse und Infrastrukturen zu integrieren bleibt anspruchsvoll. Dazu gehört die Abwägung zwischen den konkreten Anforderungen und den Versprechen einer maßgeblich vom Marketing beeinflussten neuen Welt. Deshalb ist die praxisnahe Ausrichtung unserer FTS-Fachtagung so wichtig!