So funktioniert die Lieferantensteuerung in agilen Entwicklungsnetzwerken
Kein Zweifel. Bei der Belieferung seiner Werke mit Teilen und Komponenten setzt der Automobilbau seit Jahrzehnten Maßstäbe. Ungeachtet dessen bringt der Aufstieg der Plattformökonomie eine Vielzahl von Anforderungen mit sich, die noch einmal ganz anders gelagert sind. Auslöser ist die Entwicklungsdynamik in den Ökosystemen, mit denen die Branche marktverändernde Themen wie etwa das autonome Fahren angehen will.
Auf fachlicher Ebene zeigt sich die Dynamik darin, dass Engineering-Projekte organisiert und gesteuert werden müssen, bei denen die Zahl der Kompetenzen deutlich höher ist als all das, was Automobilproduzenten selbst in komplexeren Entwicklungsvorhaben zuvor gesehen haben. Doch damit nicht genug. Im Hinblick auf das Lieferantenmanagement ist dabei entscheidend, dass somit nicht nur die Zahl der einzubindenden Partner und die Menge der zu steuernden Verträge wächst, sondern auch das Spektrum der Interessensgruppen, die auf die Vergabeprozesse Einfluss nehmen.
All dies geschieht vor dem Hintergrund, dass sich in den Netzwerken funktionsübergreifende Teams herausbilden, die agile Organisationsmethoden nutzen. Einer der zentralen Gedanken dieser Methoden liegt darin, Entscheidungsbefugnisse an denjenigen im Team zu übergeben, der die jeweils passendste Expertise mitbringt. Für die Beschaffung bedeutet dies, dass mehr und mehr Mitarbeiter an Sourcing-Prozessen teilnehmen, für die die Anforderungen eines systematischen Lieferantenbeziehungsmanagements weitgehend Neuland sind.
Intuitiv nutzbare Steuerungsplattformen
Um die daraus resultierenden Risiken zu beherrschen, muss der Lebenszyklus der immer vielfältiger werdenden Lieferantenbeziehungen in leicht zugänglicher Form aufbereitet werden. Über Jahrzehnte hinweg gewachsene Supplier-Relationship-Management-(SRM)-Systeme sind für diese Aufgabe eher weniger geeignet. Sie sind in erster Linie auf die Prozesse des Einkaufs hin ausgelegt und bieten den dort tätigen Procurement-Spezialisten mächtige Werkzeuge, um zum Beispiel langwierige Ausschreibungsverfahren oder anspruchsvolle Vertragsgestaltungsprozesse sicher zu managen. Wenn es nun jedoch darum geht, den Mitgliedern einer agilen Entwicklungsmannschaft in kürzester Zeit Einblick in die Eignung und das Leistungsvermögen eines möglichen Lieferanten zu geben, ist ein wesentlich transparenterer, intuitiverer Zugang zu den hierfür relevanten Informationsquellen erforderlich.
Gleiches gilt für all jene Informationsbedürfnisse, die sich erst im Zuge der bereits laufenden Ökosystembeziehungen ergeben. Damit das Engineering seine Governance-Entscheidungen bestmöglich absichern kann, wird eine Steuerungsplattform gebraucht, die das komplexer werdende Geflecht der Lieferanten- und Partnerbeziehungen übersichtlich aufbereitet. Neben dem prozessbezogenen Aufschlüsseln der unterschiedlichen Verträge geht es insbesondere auch darum, die aktuelle Performance der Partner zu verdeutlichen und diese mit den vereinbarten Service Levels abzugleichen. Die hierzu erforderlichen Workflows sollten weitestgehend automatisiert ablaufen.
Doch der Governance-Bedarf der Ökosystem-Manager reicht noch weiter. Weitaus stärker als dies in Engineering-Projekten bisher der Fall war, brauchen die Verantwortlichen eine Steuerungslösung, in der sich gerade auch solche Anforderungen abbilden lassen, die sich erst in der Betriebsphase eines Services beziehungsweise Produktes ergeben. So etwa beim Management von Software-Aktualisierungen und Sicherheits-Patches oder auch bei klassischen Betriebsaufgaben wie dem Ticket-Handling im Servicemanagement.
Risiken managen
Lässt man die neuen Sourcing-Player im Unternehmen mit diesen Anforderungen allein, drohen Alleingänge. Entsprechend steigt das Risiko, dass Entwicklungsvorhaben langwieriger und teurer werden. Was in jedem Fall zunimmt, ist der administrative Gesamtaufwand. Zudem birgt jede individuell gemanagte Partnerbeziehung die Gefahr, Kostenvorteile zu verlieren, die über die Bündelung der Einkaufsvolumina erzielbar gewesen wären.
Neben den kaufmännischen Unsicherheiten gibt es auch eine ganze Reihe fachlicher Risiken, die sich mit einer intuitiv nutzbaren Steuerungsplattform minimieren lassen. Eine der zentralen Anforderungen besteht zum Beispiel darin, rasch und verlässlich zu klären, in welchem Maß ein Partner die Compliance-Vorgaben erfüllt, für die der OEM die Verantwortung trägt. Zusätzlich zur Aufbereitung der damit einhergehenden Prüfnachweise geht es darum, ein leicht administrierbares Revisions- und Auditwesen aufzusetzen und weitgehend automatisiert zu betreiben. Unter anderem sollte die Plattform eigenständig überwachen können, ob die erforderlichen Prüfberichte zeitgerecht in der gewünschten Qualität eingehen. So zum Beispiel Nachweise zur DSGVO-Konformität im Datenschutz oder TISAX-Zertifizierungen in der Informationssicherheit.
Davon abgesehen stellen sich den Entwicklerteams permanent neue Haftungs- und Betriebsfragen. In besonderem Maße gilt dies für digitale Großvorhaben wie das bereits erwähnte autonome Fahren. Viele der damit verbundenen Themen sind derzeit noch nicht gelöst, auch von Seiten der Aufsichtsbehörden, Auditgesellschaften und Versicherungswirtschaft nicht. Vor diesem Hintergrund ist es extrem wichtig, ein Governance-Instrument in den Händen zu haben, in dem sich neue Vorgaben so abbilden lassen, dass sich die Teams rasch Klarheit darüber verschaffen können, welche Teile ihres Ökosystems von den Änderungen in welcher Weise betroffen sind.
Betriebskontinuität sichern
Transparenz ist auch auf einem weiteren, diesmal wieder rein betriebswirtschaftlichen Gebiet gefragt: Denn um auch in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben und die Betriebskontinuität der Entwicklungsnetzwerke aufrechtzuerhalten, muss man zusätzlich zur fachlichen Eignung auch die wirtschaftliche Stabilität der Partner im Auge behalten. Lösungen für ein risikominimierendes Lieferantenmanagement sollten hierzu ein breites Spektrum relevanter Informationsquellen erschließen und übersichtlich aufbereiten. Neben Daten, die der OEM in der Arbeit mit seinen Lieferanten und Partnern selbst generiert, wie zum Beispiel Leistungswerte, Liefernachweise oder Rechnungen, sind auch externe Informationen in die Risikoanalyse einzubeziehen. So etwa ausgewählte Finanzkennzahlen zu den Lieferanten und ihren jeweiligen Stammmärkten.
Zudem sollte das Lieferantenmanagement fortwährend überprüfen können, welche Notfallpläne und -verfahren die unterschiedlichen Partner implementiert haben, um ihren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Ebenso wichtig ist die Definition von Rückfallebenen, die es den Teams erlauben, möglicherweise dann doch ausfallende Partner zeitnah und adäquat zu ersetzen. Um agile Entwicklungs- und Betriebsthemen nachhaltig zu organisieren, werden entsprechende Vorkehrungen auch in der IT und im Engineering immer wichtiger. Wie man dabei vorgeht, zeigt das Fallback-Management, das die Kollegen aus der Fahrzeugproduktion bereits seit Jahrzehnten erfolgreich praktizieren. Transparente, leicht zugängliche Steuerungsplattformen sind das Mittel der Wahl, um diese Best Practices nun auch für die Steuerung agil arbeitender Ökosysteme zu nutzen.
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