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Mit TMS-Projekt vom Gejagten zum Gestalter der Supply Chain 01.04.2017, 00:00 Uhr

Digitales Transportmanagement mit großem Potenzial für alle Partner

Integrierte Transportmanagement-Lösungen erfahren in den letzten Jahren eine zunehmend stärkere Bedeutung innerhalb des Supply-Chain-Managements. Im Rahmen der Digitalisierung vernetzen Transportmanagementsysteme (TMS) in ihrer Funktion als Informationsdrehscheibe die ERP-Systeme von Verladern nicht nur mit den Speditionssystemen von Transportdienstleistern, sondern auch mit der jeweiligen Transporteinheit. Sie haben damit das Potenzial, die bisherigen Geschäftsmodelle der großen Logistik-Integratoren in Frage zu stellen.

RIO-Onboard-Unit im Lkw. Bild: MAN Truck and Bus AG

RIO-Onboard-Unit im Lkw. Bild: MAN Truck and Bus AG

Die als „Digitale Revolution“ gefeierte Vernetzung und Integration von IT-Systemen in der Wertschöpfungs-kette hatte im Bereich des Transportwesens bisher eher einen evolutionären als revolutionären Charakter. Die ersten brauchbaren und breit einsetzbaren IT-Systeme im Transportbereich waren stark mit der Einführung des PC in den 80er-Jahren verknüpft. Erste transportrelevante Anwendungen basierten noch auf der Nutzung von Datenbanken mit Entfernungswerken und Tarifen zur Transportpreiskalkulation, nach dem Aufkommen von digitalen Straßenkarten Anfang der 90er-Jahre entwickelten sich dann Routenplaner sowie Tourenplanungssysteme.

Die zunehmende Integration in Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Systeme wie SAP oder Oracle seit Anfang der 2000er-Jahre erlaubte auch schon ein erstes integriertes Transportmanagement. In dessen Rahmen konnten für im ERP-System angelegte Lieferungen auch Transporte geplant und notwendige Dokumente erzeugt werden. Ebenso begannen auch einige Jahre später elektronische Frachtenbörsen mit ihrer dynamischen Entwicklung.

Transportmanagementsystem als digitaler Informations-Hub

Wenn man die Digitalisierung als Integration verschiedener IT-Systeme interner und externer Partner über die Wertschöpfungskette hinweg versteht, kommen moderne TMS dieser Definition bereits dann schon sehr nahe, wenn diese z. B. das ERP-System eines Verladers mit den IT-Systemen der von ihm beauftragten Transportdienstleister und ggf. auch der Warenempfänger verbinden können, um Lieferungen und Transporte unternehmensübergreifend abzustimmen und zu planen (Bild 1).

Bild 1 Funktionen eines Transportmanagementsystems. Bild: Bearing Point

Bild 1 Funktionen eines Transportmanagementsystems. Bild: Bearing Point

Von der technischen Seite her erfolgt der Datenaustausch bei einer großen Zahl von Transaktionen und längerfristigen Geschäftsbeziehungen dabei oftmals über EDI-Verbindungen. Bei geringeren Volumina oder spontaneren Marktbeziehungen werden eher in das TMS integrierte internetbasierte Portallösungen bevorzugt. Insbesondere bei einer größeren Zahl von eingesetzten Transportdienstleistern kann dabei der Implementierungsaufwand auf beiden Seiten gering gehalten und die technische Anbindung deutlich beschleunigt werden.

Über diese Systeme können dann Informationen wie

  • Transportanfragen des Verladers,
  • Preisvorschläge des Spediteurs,
  • Auftragsdaten wie Liefer- und Sendungsdaten,
  • Termine und Torreservierungen,
  • Tracking- und Ablieferinformationen sowie
  • Transportrechnungsdaten

elektronisch ausgetauscht werden, was eine weitgehende Automatisierung von Standardtätigkeiten innerhalb des Transportmanagements erlaubt (Bild 2).

Bild 2 Informationsaustausch zwischen ERP, TMS und Speditionssystemen. Bild: Bearing Point

Bild 2 Informationsaustausch zwischen ERP, TMS und Speditionssystemen. Bild: Bearing Point

Die Zwischenschaltung von Frachtenbörsen ist ebenfalls eine denkbare Option. Erfahrungen aus bisherigen TMS-Projekten haben aber gezeigt, dass die damit verbundenen zusätzlichen Transaktionskosten von den Spediteuren häufig nur ungern gezahlt werden. Vielfach konnten auch nicht alle relevanten Transportdaten über die Frachtenbörse ausgetauscht werden, was zusätzliche Kommunikationskanäle wie z. B. Fax notwendig machte, womit der Datenaustausch dann uneffektiv wird.

Vorteile durch Echtzeit- Informationsaustausch mit Lkw

In Kombination mit neuen technologischen Konzepten, wie z. B. der cloud-basierten offenen Integrationsplattform RIO der Volkswagen Truck and Bus-Gruppe, initiiert von MAN, wird der Informationsaustausch im Transportmanagement stärker in Richtung Echtzeitabwicklung gehen können (Bild 3).

Bild 3 Screenshot TMS-System mit Transportstatus. Bild: Oracle

Bild 3 Screenshot TMS-System mit Transportstatus. Bild: Oracle

Dabei wird auch der Zugriff auf aktuelle Informationen, z. B. über das Transportmittel und dessen Auslastung, die erwartete Ankunftszeit, die Rest-Lenkzeit des Fahrers, Transportaufträge sowie weitere Daten wie Verkehrs-, Wetter oder Navigationsdaten bis hin zu Zustandsmeldungen des Transportgutes möglich werden.

Dadurch entstehen auch neue Chancen und Möglichkeiten für alle Partner der Wertschöpfungskette: Während eine Transportplanung heute ab dem Zeitpunkt der Beladung des Fahrzeuges quasi einen statischen Charakter hat und naturgemäß auftretende Abweichungen nur mit erheblichen organisatorischen Aufwänden, z. B. Einrichtung von Sicherheitspuffern oder auch Verstößen gegen Lenk- und Ruhezeiten, bewältigt werden können, kann dies in Zukunft wesentlich dynamischer gehandhabt werden.

Durch eine zukünftige automatische Echtzeit-Rückkopplung des Transportgeschehens in das Transportmanagement wird die Situation für alle Beteiligten transparent und kann auch in ERP-Systeme übertragen werden, um z. B. die Abwicklung auf dem Yard, im Lager oder Crossdock intelligenter zu steuern. Auch Produktionspläne lassen sich aufgrund von früh festgestellten Abweichungen in der Materialversorgung dynamisch anpassen.

Der Informationsaustausch geht dabei nicht nur vom Lkw in Richtung des Verladers oder Empfängers; auch umgekehrt können z. B. Informationen über aktuelle Wartezeiten an Lägern, Engpässe bei Parkplätzen oder auch eine höhere Priorisierung bei der Entladung aufgrund einer akuten Out-of-Stock-Situation zu einer verbesserten Steuerung beitragen und den bisherigen manuellen Koordinationsaufwand zwischen Disponenten und Fahrern reduzieren.

Was wird aus dem klassischen Geschäftsmodell von Speditionen?

Viele traditionelle Geschäftsmodelle (Handel, Banken, Versicherungen) sind in den letzten Jahren durch internet-basierte Transaktionssysteme revolutioniert worden. In der nahen Zukunft wird auch die Digitalisierung innerhalb der Logistik zu Veränderungen führen, deren Tragweite sich heute höchstens erahnen lässt. Mit weitgehend digitalisierten TMS wird sich vermutlich nicht nur das Berufsbild des Disponenten in einer Spedition dramatisch verändern, vielmehr wird das komplette Geschäftsmodell von Transportdienstleistern, die schwerpunktmäßig Transporte organisieren und nicht im Selbsteintritt als Frachtführer agieren, in Frage gestellt.

Das althergebrachte Transportmanagement ist durch vielfältige Beziehungen und Transaktionen zwischen Verladern, Warenempfängern, Lägern, Zollbehörden, Speditionen, Frachtführern, Fahrern etc. gekennzeichnet, wobei häufig der klassische Spediteur in der Funktion des „Organisators innerhalb der Transportlandschaft“ aufgetreten ist. Durchaus vergleichbar mit der Rolle eines Großhändlers als Organisator des Absatzkanals, dessen Bedeutung in den letzten Jahren ebenfalls stark gesunken ist.

Da einer der wesentlichen Schwerpunkte eines TMS die automatisierte Kommunikation zwischen den Systemen der o. g. Beteiligten an der Transportkette (inkl. der zugehörigen Finanztransaktionen) ist, übernimmt ein derartiges System zukünftig auch die Funktion des Organisators. In der Konsequenz kann z. B. eine sehr effektive direkte Kommunikation End-to-End von der Transportplanung bis hin zur Abrechnung zwischen dem Verlader und dem Frachtführer realisiert werden.

Vorreiter sind hier naturgemäß Verlader mit Frachtbudgets > 100 Mio. €, welche die heute noch hohen Investitionen durch entsprechende Transportkosteneinsparungen und schlankere Prozesse gegenfinanzieren können. Durch das Aufkommen von günstigeren cloud-basierten Systemen werden diese Lösungen zunehmend auch für mittelgroße Unternehmen interessant.

Im Rahmen der Implementierung entsprechender Systeme konnten auch bei Verladern, die bereits über ein hoch professionelles Frachtenmanagement verfügten, signifikante Einsparpotenziale durch geografische und zeitliche Ladungskonsolidierung oder auch der tagesaktuellen Ausbalancierung zwischen Milk-runs und Stückguttransporten realisiert werden. Darüber hinaus wird der Frachteinkauf auch in die Lage versetzt, systembasiert ohne Effizienzverlust mit den direkten Leistungserbringern zu interagieren und damit die Kalkulationsaufschläge von zwischengeschalteten Logistik-Integratoren zu vermeiden.

Die Rolle des Spediteurs als bisherigem Integrator wird damit aus Sicht großer Verlader weitgehend obsolet.

Wie sich ein TMS-Projekt amortisiert

Die Einführung einer vollständigen TMS-Lösung ist heute noch mit erheblichen Aufwendungen verbunden. Projektbudgets im siebenstelligen Bereich oder höher sind momentan eher die Regel als die Ausnahme. Im Rahmen eines TMS-Projektes fallen typischerweise folgende Aufwände an:

  • Harmonisierung der transportrelevanten Unternehmensprozesse,
  • Optimierung der Stammdatenqualität,
  • Lizenzen (häufig orientiert am Transportbudget) oder Kosten für cloud-basierte Lösungen,
  • kundenspezifische Anpassungen und Zusatzentwicklungen,
  • Training, Test, Migration und Stabilisierung,
  • Hardwarekosten,
  • Schnittstellenanbindungen,
  • Projektmanagement.
  • Diese Aufwände müssen sich im Regelfall innerhalb von etwa drei Jahren amortisieren durch:
  • Einsparungen bei den Frachtausgaben,
  • Wegfall von Margen / Overhead-Kosten von Speditionen, die nur vermitteln und nicht selbst transportieren,
  • Bessere Konsolidierung von Sendungen aus dem eigenen Versandvolumen,
  • Auswahl der fallweise günstigsten Transportlösung anstelle Nutzung eines starren Direktbelieferungskriteriums (z. B. Milkrun anstelle Stückguttransport),
  • Einkaufsvorteile durch integriertes Spot-Bidding,
  • Nutzung der jeweils tages- und sendungsspezifisch günstigsten Transportart,
  • Vorkalkulation der Transportkosten (ermöglicht Gutschriftsverfahren und vermeidet Falschabrechnungen).

Hinzu kommen folgende Punkte:

  • Wegfall der IT-Wartungskosten für Altsysteme,
  • Prozesskosteneinsparungen,
  • Reduktion des Working Capitals aufgrund der schnelleren Verfügbarkeit von Ablieferbelegen,
  • Schnellere Verfügbarkeit von Transportdaten für Frachtausschreibungen und Netzwerkplanung,
  • Wegfall der Kosten von zwischengeschalteten Logistikintegratoren / 4PL-Dienstleistern.

Für jedes TMS-Projekt sollte daher im Vorfeld sorgfältig geprüft werden, inwieweit und in welchem Umfang die o. a. Punkte zutreffen, um eine belastbare Entscheidungsgrundlage für das Management zu schaffen und auch ein nachgelagertes Investitions-Controlling zu erlauben.

TMS beeinflussen die Organisationslandschaft beim Verlader

Professionelle Tools erfordern professionelle Bediener, die die Feinheiten eines TMS beherrschen, den Output von der Qualität her überprüfen und ggf. anpassen. Da die Transportplanung im Regelfall innerhalb eines kurzen Zeitfensters zwischen der Warenverfügbarkeitsprüfung/Kreditprüfung einerseits sowie der Einlastung des Kundenauftrages in die Lagerabwicklung andererseits stattfinden muss, sollte sich der Planer nur dieser Aufgabe widmen und sich nicht gleichzeitig um die typischen Abwicklungsprobleme der laufenden Transporte kümmern müssen.

Diese Forderung leistet auch einer Arbeitsteilung Vorschub, die zwischen Planern und Kümmerern unterscheidet, wobei erstere in einem Shared-Service-Center zentral angesiedelt sein können, wohingegen z. B. das Event-Management nicht nur aus sprachlichen Gründen häufig besser auf lokaler Ebene organisiert sein sollte.

Bisherige Erfahrungen und Ausblick

Das Transportgeschäft ist ein hartes Geschäft – dies gilt auch für das Transportmanagement. Organisatorische oder funktionale Defizite werden unmittelbar sichtbar und können naturgemäß kaum abgepuffert werden (analog zur Sechs-R-Regel in der Logistik). Damit stellen sich auch hohe Erwartungen an die Digitalisierung in diesem Bereich: Verlässlicher Betrieb, robuste Funktionen, Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit müssen gegeben sein.

Voraussetzung dafür ist die sorgfältige Vorbereitung eines TMS-Projektes sowie die Entwicklung eines Prozessmodells, das die Balance zwischen harmonisierten zentralen Abläufen und den lokal notwendigen Funktionen wahrt. Auf dieser Grundlage kann dann auch aus dem breiten Angebot am Markt das passende Transportmanagementsystem ausgewählt werden. Ein ausreichendes Testen der angebotenen Lösungen in Bezug auf User-Akzeptanz und Leistungsfähigkeit der Planungsalgorithmen kann dabei helfen, spätere Enttäuschungen zu vermeiden. Die späteren Anwender werden dabei frühzeitig in den Entscheidungsprozess eingebunden, was im Sinne eines Change Managements die spätere Umsetzung erleichtert und beschleunigt.

 

Von Thomas C. Becker

Thomas C. Becker ist Senior Manager der Unternehmensberatung Bearing Point GmbH in Düsseldorf.