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Strategien für die Produktionsindustrie 25.11.2024, 13:52 Uhr

Den Blick schärfen: Rollenbilder im Qualitätsmanagement

Das Ziel eines jeden Unternehmens muss es sein, Kundenwünsche zu erfüllen. Bestmögliche Qualität hilft dabei – sie steht im Produktionsumfeld im Fokus, und damit automatisch auch die für sie verantwortlichen Mitarbeitenden. Jeder einzelnen Person im Unternehmen kommt ein wichtiger Anteil der abgelieferten Qualität zu.

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Mitarbeitende wollen sich nicht an abstrakten Normen für das Qualitätsmanagement orientieren. Für sie ist es wichtig, die eigenen Arbeitsprozesse und Abläufe zu verstehen und zu optimieren.

Foto: Shutterstock

Doch wie lassen sich aktuelle Herausforderungen in der Produktionsindustrie meistern? Die Definition der Einzelprozesse, ihre Güte sowie klare Zuständigkeiten bergen das Potenzial, Wettbewerbsvorteile zu heben. Das Qualitätsmanagement an Prozessen sowie Abläufen auszurichten und direkt an den Tätigkeiten der Mitarbeitenden anzudocken, stellt eine zentrale Aufgabe der Führungsebene dar.

Aus QM wird PQM

Das Qualitätsmanagement (QM) gilt nicht als das attraktivste und spannendste Thema im Produktionsumfeld, ist jedoch unverzichtbar. Wenn die Kundenzufriedenheit eines mittelständisches Zulieferers nachlässt und Liefertermine sowie -mengen schwanken, liegt das meist an tradierter Kampagnenbildung. Weil es über die Jahre für das Optimum gehalten wurde, förderte die Produktionsleitung das Zementieren von Teamstrukturen. Zum Alltag gehört oftmals ein „Wildwuchs“ an Arbeitsanleitungen, der das Produktionspersonal nur noch raten lässt, wo was zu finden ist und für welchen Auftrag was zur Anwendung kommt. Dies ist für qualitätsbewusste Kunden nicht haltbar.

Hier kommt QM auf den Plan: Es erfüllt eine wichtige Support-Funktion, die Kunden einfordern, aber nicht extra bezahlen. Nur wer den Kundenwunsch kontinuierlich erfüllt, verdient auf Dauer Geld. Alle Prozesse und Abläufe der Organisation an ihm auszurichten und ein prozessorientiertes Qualitätsmanagement (PQM) aufzubauen, macht Sinn. Praxisnähe und Anwenderfreundlichkeit im Sinne der Produktionsmitarbeitenden müssen dabei oberstes Gebot sein.

Den Wertstrom im Fokus

QM-Systeme, die ursprünglich auf strikten Vorgaben der ISO 9001-Norm basierten und sich eher formal nach normativen Kapiteln strukturierten, entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist. Mitarbeitende finden sich schwer in den abstrakten Normkapiteln zurecht. Für viele ist die Norm selbst wenig relevant; vielmehr herrscht Interesse, die eigenen Arbeitsprozesse und Abläufe zu verstehen und zu optimieren. Qualitätsmanager streben danach, einen neuen, allgemein verständlichen Ansatz zu finden. Der zentrale Wertstrom vom Kundenabruf über die Arbeitsvorbereitung zur Losgrößenbildung, Materialbereitstellung und den vielen verketteten Produktionsschritten bis zur Verpackung und terminexakten Lieferung stehen im Vordergrund. Das trifft auf Verständnis beim Produktionsmitarbeiter. Nun fehlen ihm nur noch die Hilfsmittel, die er zur Erbringung seiner Tätigkeitsschritte benötigt: materiell, anlagentechnisch und dokumentarisch.

Wer ist im Betrieb für die Qualität verantwortlich? Jeder einzelne Mitarbeitende trägt einen wichtigen Teil dazu bei.

Foto: pexels / Jan Hennig

Das PQM orientiert sich direkt an den alltäglichen Tätigkeiten der Mitarbeitenden und deren spezifischen Prozessen, um deutlich an Effizienz zu gewinnen. Beschreibt man Prozesse klar und ergänzt sie um notwendige QM-Maßnahmen wie Arbeitsanleitungen, Nachweisführungen oder Freigabeprozesse, steigt die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Umsetzung. Die Übersicht wesentlicher Prozesse in einer sogenannten Prozesslandkarte zu visualisieren, stärkt die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Qualitätsmanagement. Verantwortliche verankern QM-Aspekte in den spezifischen Prozessen und tragen zum Erfüllen der Kundenwünsche bei. Das QM ist in der Pflicht, diesen Entwicklungsschritt produktions-personalorientiert zu realisieren – im Sinne der vom Kunden verlangten Qualität.

Auch versteht sich PQM als Grundlage für andere Managementthemen. Ob Risikomanagement, Information Security, Nachhaltigkeit oder ESG (Environmental Social Governance – zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) – der Fokus liegt auf den Geschäftsprozessen und der spezifischen Anreicherung der entscheidenden Informationen bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz. Digitalisierung setzt genau hier an: Möglichkeiten und Wege der vereinfachten und exakten Informationsbereitstellung am Arbeitsplatz sichern, Verwechslungen vermeiden, Fehlerquellen abstellen.

Das Personal „choreografieren“

Um Qualität in der Produktion zu gewährleisten, muss sie direkt an der Quelle entspringen – nämlich bei den Mitarbeitenden selbst. Strategen betrachten Qualitätsmanagement nicht als abstrakte Aufgabe der Geschäftsführung oder eines speziellen Qualitätsmanagers, sondern als integralen Bestandteil des täglichen Arbeitsprozesses der Mitarbeitenden, der Organisation braucht.

Begreifen alle Beteiligten, was sie durch ihr Tun zum Erreichen des übergeordneten Unternehmensziels beitragen, übernehmen sie euphorisch Verantwortung. Diese Begeisterung vermitteln Qualitätsmanager durch ein klar gezeichnetes Bild des jeweiligen Tätigkeitsspektrums – spitze Positionierung fördert einen hohen Grad an Identifikation. Auf die Mitarbeitenden zugehen, ihre Bedürfnisse erkennen und gemeinsam Lösungen finden, das beschreibt das neue Rollenbild des QM.

Das PQM orientiert sich an den alltäglichen Tätigkeiten der Mitarbeitenden. Werden Prozesse klar beschrieben und um notwendige QM-Maßnahmen wie Arbeitsanleitungen, Nachweise oder Freigabeprozesse ergänzt, steigt die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung.

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Qualität wird nicht hinauf- oder wegdelegiert, sondern beim tatsächlichen Leistungserbringer als positives Mindset geweckt: „Ich will von Anfang an die Dinge richtig machen, um für meine Organisation das Bestmögliche zu erzielen.“ Entscheidend ist es, Mitarbeitenden den Zugang zu QM-Elementen erleichtern. Die Art der Präsentation entspricht in optimaler Weise ihren spezifischen Arbeitsabläufen.

Fokus auf der „Darbietung“

Eine komplexe Gestaltung von Einzelarbeitsplätzen im Produktionsunternehmen erschwert es Mitarbeitenden beispielsweise, die richtige Arbeitsanweisung dem richtigen Auftrag zuzuordnen. Fehlgriffe wären fatal. Modernes QM virtualisiert Arbeitsplätze. Barcodes zur eindeutigen Einteilung, automatische Zuordnung von Arbeitsanleitungen oder gar Einblendung via VR (Virtual Reality)-Brille illustrieren Ideen, die den Druck der Mitarbeitenden beim täglichen Tun reduzieren und deren Sicherheit erhöhen.

Das QM-System muss so gestaltet sein, dass es sich nahtlos in die bestehenden Arbeitsabläufe integriert und das Produktionsteam nicht zusätzlich be- sondern entlastet. Problemloses Verständnis und erfolgreiche Umsetzung verlangen eine Übersetzung der Anforderungen und Vorgaben des Qualitätsmanagements in die Sprache der Mitarbeitenden. Im Vordergrund steht, die Komplexität des QM zu reduzieren. Wenn sich alle konzentriert ihren Kernaufgaben widmen und gleichzeitig die Arbeitsqualität stimmt, hat das geklappt. QM begreift sich nicht nur als regulatorische Pflicht, sondern als hilfreiches Werkzeug zur Verbesserung der täglichen Arbeit und zur Erfüllung der Kundenbedürfnisse. Kreativität in der Lösungssuche und der Brückenschlag zur Digitalisierung treiben das zusätzlich an. Stabile und eindeutig definierte Prozesse tragen zur Verringerung von Unsicherheiten und von Stress bei. Die Mitarbeitenden wissen, was sie zu tun haben – das fördert die Zufriedenheit und Gesundheit des Personals.

Der Qualitätsmanager als Dirigent

Die Rolle des Qualitätsmanagers lässt sich am besten mit der eines Dirigenten vergleichen: Er spielt nicht selbst alle Instrumente, sondern koordiniert und leitet die Musiker an, um ein harmonisches Gesamtbild zu schaffen. Ein produzierendes Unternehmen erkennt viele manuelle Schritte im bestehenden ERP/PPS-System, unter anderem stark eingeschränkte Möglichkeiten in der Grob- und Feinplanung der Arbeitsvorbereitung. Um von manuellen Schritten wegzukommen, bietet sich eine KI-Lösung an, die die Effizienz in der Auftragsplanung steigert. Das QM setzt dabei am bereits erfassten Wertstrom an, gestaltet das Lastenheft in enger Abstimmung mit Produktionsleitung und Meistern. Die Auswahl der Softwareanbieter koordiniert das QM, im Implementierungsprozess agiert das AV (Arbeitsvorbereitungs)- und Produktionsteam federführend.

Der Oualitätsmanager kann sinnbildlich als Dirigent eines großen Orchesters angesehen werden.

Foto: pexels / cottonbro

Übernimmt der dirigierende Qualitätsmanager auch das Geigen- und Posaunenspiel, bleibt die Sinfonie unvollendet. Für Qualität zeichnet das tatsächliche Produktionsteam verantwortlich. Diese Mitarbeitenden wissen am besten, wie ihre spezifischen Prozesse ablaufen und wo Verbesserungspotenzial schlummert. Der Qualitätsmanager unterstützt sie dabei, indem er ihnen Werkzeuge, Methoden und Richtlinien zur Verfügung stellt. Anspornen ja, jedoch ohne selbst die Ausführung der Qualitätsmaßnahmen zu ergreifen. Ein handfestes Beispiel manifestiert diese Philosophie: ein Taschenspiegel mit der Frage „Wer ist für Qualität verantwortlich?“ und der Antwort, die sich im Spiegel selbst reflektiert. Es verdeutlicht, dass jeder im Unternehmen, von der Putzkraft bis zum General Manager, einen qualitativen Beitrag leisten kann.

Wichtig: ein moderner Führungsstil

Früher war es üblich, dass Führungskräfte detaillierte Anweisungen gaben und ein stark hierarchisches Verhältnis pflegten. Mitarbeitende folgten diesen Anweisungen oft ohne viel Widerstand, getrieben von einer Form der Gehorsamkeit gegenüber autoritären Vorgaben. Ein kritisches Hinterfragen von Notwendigkeit und Sinn fand weniger statt als heute. Der Führungsansatz hat sich grundlegend verändert und prägt das aktuelle PQM.

Ein Produktionsleiter agiert nicht mehr als autoritäre Figur, sondern als Coach und Mentor für Meister und Teamleiter. Er inspiriert seine Teammitglieder und bindet sie in Entscheidungsprozesse ein, um ihre Überzeugung und Motivation zu stärken. Dabei spielt eine zentrale Rolle, dass Führungskräfte selbst von den Prinzipien des PQM überzeugt sind und diese authentisch vertreten. Mitarbeitende blicken zunehmend auf Transparenz und Sinnhaftigkeit. Sie wollen verstehen, warum bestimmte Prozesse und Maßnahmen wichtig sind und wie sie zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen. Zentrale Zielvorgabe und dezentrale Lösungssuche lautet die „Zauberformel“.

Weiter, immer weiter: der kontinuierliche Verbesserungsprozess

Als ein zentrales Element des prozessorientierten Qualitätsmanagements gilt der tief verankerte, kontinuierliche Verbesserungsgedanke. In einer dynamischen Geschäftswelt gehört Streben nach kontinuierlicher Verbesserung unerlässlich dazu. Dieser Antrieb findet in der Produktion auf Shop-Floor Ebene statt: In kurzen, täglichen Sprints werden konkrete Fragen, Probleme und Fehler direkt adressiert und gelöst. Keine aufgeblähten Systeme, sondern rasches lösungsorientiertes Agieren unter Einbeziehung der Betroffenen führt zur Verbesserung in kleinen Schritten und wahrnehmbarer Veränderung. Was lange dauert, wird vergessen, und wenn sich nichts mehr bewegt, folgt Resignation und Demotivation.

Für Unternehmen stellt Zufriedenheit mit dem Status quo eine gefährliche Haltung dar. Als Vorzeigebeispiel hält das Toyota-Produktionssystem her: Vor vielen Jahren zeigte es, dass Qualität als Ergebnis stabiler und fähiger Prozesse folgt. Eines ist gewiss: Nach einer Prozessoptimierung taucht zwangsläufig die nächste Baustelle auf. Diese ständige Weiterentwicklung beschreibt einerseits ein Merkmal erfolgreichen Unternehmertums und andererseits einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die sich in einem ständig wandelnden Markt auf ihren Erfolgen ausruhen, riskieren, an Relevanz einzubüßen und den Anschluss zu verlieren.

Die ISO 9001-Norm erkennt diesen Bedarf an kontinuierlicher Verbesserung ausdrücklich an und verpflichtet Unternehmen, ihre Prozesse stetig zu hinterfragen und zu optimieren. Hier schlummert Potenzial, das die 2025er Revision der ISO 9001 unbedingt ausschöpfen sollte. Diese Anforderung bildet das Fundament für nachhaltigen Erfolg im Qualitätsmanagement. Ein modernes PQM setzt sich zum Ziel, diesen Verbesserungsprozess am Laufen zu halten. Denn nur durch Wachsamkeit und Anpassungsfähigkeit behaupten Unternehmen ihre Position an Markt.

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Von Roman Käfer

Dr. Roman Käfer ist Geschäftsführer und Gesellschafter der procon Unternehmensberatung und der T&O Unternehmensberatung. Ferner ist er als Beirat der Gesellschaft für Prozessmanagement tätig. Seine langjährige Expertise in den Bereichen Business Process Management, Industrial Excellence und Mobility Maintenance spiegeln zahlreiche Vorträge und Publikationen im In- und Ausland wider. Foto: Autor