Faserverbundstoffe bei Tiefsttemperaturen prüfen
Materialeigenschaften von Faserverbundwerkstoffen bei tiefsten Temperaturen mit Kryotechnik zu ermitteln, ist aufwendig und spektakulär. Doch vor allem für den stark wachsenden Bereich Wasserstofftechnologie ist diese Art der Prüfung extrem wichtig.
Bei der Werkstoffprüfung wird die Kryotechnik bisher schwerpunktmäßig in den Bereichen Aerospace, Automotive, Composite und Energiespeicher (Wasserstoff) eingesetzt. Das Ziel lautet, Materialcharakteristika zu identifizieren und Erkenntnisse über das Werkstoffverhalten bei tiefsten Temperaturen zu erhalten. Ein Ulmer Spezialist – und Partner in allen Fragen der Materialprüfung – bietet verschiedene Lösungen, um Composites bei tiefen Temperaturen im kryogenen Umfeld zu testen. Das Ergebnis sind zuverlässige Prüfergebnisse und höchste Sicherheit.
Warum ist das Tieftemperaturverhalten bedeutsam?
Faserverbundwerkstoffe – auch Composites genannt – haben im Vergleich zu Metallen einen wesentlichen Vorteil: das geringe Gewicht. Dieser Aspekt spielt vor allem bei Anwendungen der Luft- und Raumfahrt oder im Automotive-Bereich eine wesentliche Rolle, um sehr leichte Wasserstofftanks zu entwickeln. So sind im Bereich Luft-/Raumfahrt beispielsweise Anwendungen von flüssigem Wasserstoff bei kryogenen Temperaturen interessant – etwa durch die effizientere Speicherdichte. Im Bereich Automotive hingegen setzt die Industrie verstärkt auch auf Behälter zur Speicherung von gasförmigem Wasserstoff bei hohen Drücken.
Wasserstoff wird bei Temperaturen von 20 Kelvin (-253 Grad Celsius) flüssig und ist in diesem Zustand – für eine hohe Speicherdichte – leichter zu handhaben als unter Druck. Daher ist es wichtig, Werkstoffe zu charakterisieren, die einerseits dem Wasserstoff ausgesetzt sind (Metalle) und andererseits den Temperaturen (Composites/Kunststoff).
Wie funktioniert die Composite-Prüfung mit Kryotechnik?
In statischen Zug-, Druck- oder Scherbelastungsprüfungen werden die Werkstoffe bei Tiefsttemperaturen bis 20 Kelvin geprüft. Das Ziel lautet, ihr Ermüdungs- sowie bruchmechanisches Verhalten im kryogenen Umfeld zu ermitteln. „Bei Betankungsvorgängen werden die Composite-Wandungen von Tanks beispielsweise großen thermischen Schwankungen und wechselnden Drücken ausgesetzt, die zu Belastungen der Materialien führen. Aufgrund unterschiedlicher Wärmeausdehnungskoeffizienten der faserverstärkten Kunststoffe – und bereits im Herstellungsprozess eingefrorener Spannungen – können Mikrorisse im Werkstoff entstehen, die wiederum zu Undichtigkeiten führen. Daher spielt die Permutationsprüfung zu den genannten Prüfungen eine weitere große Rolle“, erklärt Stefan Pubantz, Projekt-Manager Kryo- und Wasserstofftechnologie bei ZwickRoell.
Wasserstoffspeicherung: Drei Möglichkeiten erlauben eine hohe Effektivität
Neben der chemischen Bindung gibt es die Speicherung von Wasserstoff unter Druck- und Temperatur. Hierzu bestehen drei Möglichkeiten einer besonders effektiven Speicherung, die im Folgenden beschrieben werden. Aus diesen ergeben sich die Anforderungen für unterschiedliche Tanktypen, die ausschlaggebend sind für die zu wählenden Prüfparameter.
Erstens: Im flüssigen Zustand bei Drücken bis 4 bar im Bereich der Verflüssigung von Wasserstoff bei 20 Kelvin. Zweitens im Druckbereich von 250 bis 700 bar bei Raumtemperatur sowie drittens im Druckbereich von 500 bis 1000 bar zwischen 33 und 73 Kelvin. Um Faserverbundwerkstoffe im kryogenen Umfeld zu prüfen, bieten die Ulmer Spezialisten mehrere Optionen.
Option 1: Kühlung mit Temperierkammer
Für Prüfungen bei erhöhten Temperaturen sowie Tiefsttemperaturen bis circa –170 Grad Celsius eignen sich Temperierkammern. Dabei ist die Tieftemperatur abhängig vom gekühlten Volumen in der Kammer sowie des Volumens der Prüfgestänge, die in die Temperierkammer hineinragen. In der Ausführung mit Temperierkammer werden die Gestänge von oben und unten in die Temperierkammer eingeführt.
Option 2: Kühlung mit Stickstoff-Tauchkryostat
Bei Stickstoff-Tauchkryostaten wird die Composite-Probe in ein Stickstoffbad getaucht. Tauchkryostate sind in ihrem Prüftemperaturbereich auf die Temperatur des flüssigen Stickstoffs reduziert. Die Proben werden über ein in sich geschlossenes Lastjoch samt Probenhalter von oben in den Tauchkryostat eingeführt. Sobald der Versuch abgeschlossen ist, wird der Stickstoff in der Regel entleert oder verdampft in die Atmosphäre.
Option 3: Kühlung mit Stickstoff und Helium in einem Durchflusskryostat
Stickstoff-, Helium-Durchflusskryostate werden je nach Kühlmedium von Raumtemperatur bis Tiefsttemperaturen von circa 20 Kelvin (-253 Grad Celsius) betrieben. Dabei ist es entscheidend, die Volumina und die Körper, die in den Kryostat hineinragen, auf das Wesentliche zu reduzieren. Die Formel lautet: Je weniger (Metall-) Volumen aus dem Durchflusskryostat herausragt, desto tiefere Temperaturen lassen sich erreichen.
Aus Kostengründen werden Durchflusskryostate mit Stickstoff vorgekühlt. Ist die tiefstmögliche Temperatur des Stickstoffs erreicht, wird mit Helium aus einem Dewargefäß nachgekühlt, bis die Endtemperatur von circa 10 bis 20 Kelvin (-253 Grad Celsius) erreicht ist. Um die Probe herum ist immer Helium das Umgebungsmedium. Aufgrund der Kosten ist es möglich, das Gas aufzufangen und entweder zu komprimieren oder wieder zu verflüssigen. Diese zwei Lösungen sind bei Bedarf im Gesamtprojekt mit einzukalkulieren.
Als Sondervariante lassen sich die Durchflusskryostate auch mit Wasserstoff betreiben. Hierbei ist Wasserstoff das Umgebungsmedium um die Probe. Die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit Wasserstoff vorausgesetzt, bedarf es für den Betrieb des Durchflusskryostats nur weniger technischer Anpassungen.
Einsatz in statischen / dynamischen Prüfmaschinen
Die drei genannten Temperiereinrichtungen bietet ZwickRoell (www.zwickroell.com/de/) sowohl für statische als auch für dynamische Prüfmaschinen. Dabei gilt der Grundsatz: Je tiefer die Temperatur, desto komplexer der mechanische Aufwand.
Damit die Kosten, etwa für das Kühlmittel, überschaubar bleiben – und, um einen möglichst geringen Temperaturgradienten über metallische Durchführungen zu erhalten – empfiehlt es sich darauf zu achten, dass die zu kühlenden Massen ein geringstmögliches Materialvolumen haben. Dies betrifft beispielsweise die Probenhalter sowie die Durchführungen.
Außerdem sollte die maximale Prüfkraft so gering wie möglich sein. Denn im Unterschied zur Prüfung bei Raumtemperatur haben großzügig gewählte Abmessungen nicht nur hohe Kosten zur Folge, sondern wirken sich auch aus auf die maximal erreichbare Tiefsttemperatur, die Temperatur-Regelbarkeit und letztlich auf sichere und reproduzierbare Prüfergebnisse. Die Regel: „So viel wie nötig“ kommt in diesem Fall besonders zum Tragen und muss bereits in der Projektierungsphase der Anlage besonderes betrachtet werden. Die Tieftemperatur-Prüfanlagen im ZwickRoell-Produktportfolio haben eine Maximallast von 100 Kilo-Newton.
Was ist wichtig bei der Ausführung einer Tieftemperaturprüfanlage?
Bedeutsame Kriterien bei der Auslegung eine Prüfanlage sind zusammengefasst:
- Die richtige Materialauswahl für Probenhalter,
- geringes Volumen – somit weniger Kühlmittel – im Kryobereich,
- Temperaturverluste reduzieren durch das in den Kühlbehälter eingeführte Gestänge,
- Vereisung verhindern durch Heizmanschetten,
- Prüfmaschine schützen gegen Kondenswasser,
- die Ausrichtung und die Ausrichtbarkeit des Laststrangs gewährleisten,
- die Kalibrierfähigkeit des Systems gewährleisten,
- richtige Auswahl der Extensometer,
- Kraftnebenschlüsse kompensieren durch Dichtungen,
- Wärmeausdehnung kompensieren.
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Daniel Glanz, Kommunikationswissenschaftler und ausgebildeter Hörfunk-Redakteur, ist bei ZwickRoell im Bereich Corporate Communications zuständig für den Bereich „Neue Anwendungen“. Foto: ZwickRoell