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Risikoprognosen mit KI-Unterstützung 15.04.2025, 16:04 Uhr

KI statt Krise: Wie lassen sich resiliente Lieferketten erzielen?

Was haben Taylor Swift, das Homeschooling während der Pandemie und das Containerschiff „Ever Given“ gemeinsam? Sie alle hatten phasenweise gravierenden Einfluss auf bestimmte Lieferketten. Auf solche unvorhergesehenen Ereignisse müssen Unternehmen schnellstmöglich reagieren können – aber wie?

Auf unvorhergesehenen Ereignisse wie Pandemien oder verstopfte Verkehrswege müssen Unternehmen schnellstmöglich reagieren. Lieferketten sollten daher resilient gestaltet sein, zum Beispiel mithilfe KI-basierter Softwarelösungen. Grafik: Biss

Auf unvorhergesehenen Ereignisse wie Pandemien oder verstopfte Verkehrswege müssen Unternehmen schnellstmöglich reagieren. Lieferketten sollten daher resilient gestaltet sein, zum Beispiel mithilfe KI-basierter Softwarelösungen. Grafik: Biss

Die amerikanische Sängerin löste einen kurzzeitigen Mangel an Armbänderkits aus, weil ihre „Swifties“ während ihrer Tour selbstgebastelte Armbänder tauschen wollten. Das Homeschooling in Folge von Schulschließungen ließ die Nachfrage nach Desktop-Computern und anderen technischen Hilfsmitteln in die Höhe schnellen. Und durch die Havarie der „Ever Given“ stauten sich hunderte Frachter vor dem Suezkanal, deren Güter erst mit Wochen Verspätung am Ziel eintrafen. Für Unternehmen ist eine rasche Reaktion essenziell; es gilt, Lieferketten bereits im Vorfeld resilienter zu gestalten. Für das Risikomanagement werden deshalb KI-basierte Softwarelösungen immer wichtiger.

Viele Ursachen für potentielle Störungen

Die Herausforderungen in der Supply Chain nehmen seit Jahren zu, Lieferketten sind insbesondere aufgrund von geopolitischen Konflikten, Lieferengpässen, fehlenden Fachkräften, steigender Inflation und den Auswirkungen des Klimawandels störanfälliger geworden. Als größte Störfaktoren für Unternehmen in ihren Lieferketten galten laut einer Umfrage des Logistik-Magazins dispo im Jahr 2024 Preisveränderungen (45 Prozent), der Fachkräftemangel (34 Prozent), Cyberbedrohungen (31 Prozent), Versandherausforderungen aufgrund geopolitischer Probleme (23 Prozent), Engpässe im Frachtverkehr (23 Prozent) und Lagerengpässe (22 Prozent).

Die Herausforderungen in der Supply Chain nehmen seit Langem zu, in gleichem Maße steigen die Anforderungen an das (KI-unterstützte) Risikomanagement. Grafik: Biss

Kein Wunder ist es also, dass das Risikomanagement zunehmend an Bedeutung in den Unternehmen gewinnt: 29 Prozent der befragten Unternehmen stuften das Risikomanagement als wichtige Herausforderung ein, das sind 8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr [1]. „Um potenzielle Störungen frühzeitig zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist die Prognose von Risiken im Supply Chain Management unerlässlich“, betont auch Dr. Jan Mazac, einer der Geschäftsführer der BISS GmbH (https://biss-net.com/de/). Das Oldenburger Unternehmen hat eine cloudbasierte Software für das Risikomanagement in globalen Lieferketten entwickelt. Mazac und sein Team wissen daher um die Schmerzpunkte, die Unternehmen hinsichtlich ihrer Lieferketten und des Risikomanagements haben – und auch, wie sie mit Hilfe präziser Risikoanalysen effektiv gegensteuern können.

Strukturierte/unstrukturierte Daten aus verschiedenen Quellen verwalten

Für solche Risikoanalysen bedarf es allerdings verschiedener Daten. Mit Hilfe von zum Beispiel Nachfragemustern, Wetterdaten oder geopolitischen Ereignissen lassen sich Vorhersagen über mögliche Lieferengpässe treffen. „Dafür müssen jedoch große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt werden“, erklärt Markus Schnüpke, ebenfalls Geschäftsführer der BISS GmbH. Dazu zählen insbesondere historische Verkaufs- und Bestelldaten, Echtzeit-Lagerbestandsinformationen, Lieferantendaten – unter anderem hinsichtlich ihrer finanziellen Stabilität und Lieferzuverlässigkeit –, externe Daten wie Wetterberichte, politische Ereignisse oder Markttrends sowie soziale Medien und Nachrichten, um Stimmungsbilder zu erkennen.

„Durch die Integration aller solcher Daten ist eine umfassende Bewertung potenzieller Risiken möglich“, so Schnüpke. Die Analyse gestaltet sich jedoch aufgrund der riesigen, heterogenen Datenmenge sehr kompliziert; Unternehmen entwickeln dafür oftmals eigene Programme und arbeiten mit komplexen Business-Intelligence-Prozessen – das erfordert jedoch viel Konzeptionsarbeit mit entsprechend hohem Aufwand. Kommen hingegen KI-basierte Systeme ins Spiel, machen sie die Prognose nicht nur einfacher, sondern auch schneller und zuverlässiger.

KI sorgt für „intelligente“ Wissensplattform

Denn die Künstliche Intelligenz kann Daten in Echtzeit analysieren und so auf Anhieb Anomalien oder Abweichungen von normalen Mustern erkennen. Dafür generieren KI-Systeme wie zum Beispiel BISS/Caigo aus strukturierten und unstrukturierten Informationen unterschiedlicher Quellen – wie Lieferantendaten, Lieferantenverknüpfungen, Maßnahmenkataloge, errechnete Risiken, Kommentare, Prüfberichte, Zertifikate, Chats oder E-Mails – zunächst eine robuste und erweiterbare Datenbasis.

Risikoprognosen für Lieferketten sind mit KI-gestützten Systemen wie „Biss Caigo“ jetzt zuverlässig möglich. Grafik: Biss

„Das KI-System erschafft aus allen Daten eine intelligente Wissensplattform, die es ermöglicht, komplexe Datenmengen in verwertbare Informationen zu transformieren“, erklärt Schnüpke. Solche KI-Systeme nutzen Algorithmen des maschinellen Lernens, sie erkennen statistische Muster und Zusammenhänge und bewerten die Wahrscheinlichkeit sowie die potenziellen Auswirkungen von Risiken. Dafür bedienen sie sich fortschrittlicher Analyseverfahren wie klassische Zeitreihenmodelle oder komplexe Simulationstechniken wie Monte-Carlo-Analysen.

Risiken frühzeitig erkennen und proaktiv gegensteuern

Mit ihren smarten Funktionen erstellen solche Lösungen auf Anwender-Anfrage Vorhersagemodelle, die potenzielle Risiken bewerten und mit dynamischen Tabellen und präzisen Visualisierungen in Dashboards und Berichten anschaulich visualisieren. Auf diese Weise sind die Prognosen für Anwender leicht zugänglich und verständlich. Plötzliche Veränderungen – wie politische Ereignisse, Naturkatastrophen oder Trends – in den Nachrichten oder sozialen Medien zum Beispiel können auf kommende Störungen und Transportverzögerungen hinweisen. Auch aus plötzlichen Anstiegen oder Rückgängen in der Produktnachfrage sowie aus Anzeichen für finanzielle Schwierigkeiten oder operative Probleme bei Lieferanten können KI-basierte Softwarelösungen Prognosen hinsichtlich Störungen in der Supply Chain ableiten. „Erkennen Unternehmen derartige Störfaktoren frühzeitig, können sie proaktiv Maßnahmen ergreifen und gegensteuern“, beschreibt Mazac.

Von Vorteil ist, wenn die Software sogleich selbst passende Handlungsempfehlungen generiert, um die erkannten Risiken zu minimieren. Hochwertige Lösungen sind genau dazu in der Lage: Bei erwarteten Nachfragespitzen schlägt die Software beispielsweise Bestandsanpassungen vor, um mit einem erhöhten Lagerbestand auf die steigende Nachfrage reagieren zu können. Erkennt sie bei einem aktuellen Lieferanten Probleme, wird sie einen Lieferantenwechsel vorschlagen. Sind auf einem Transportweg Störungen zu erwarten, ist die Anpassung des Transportweges eine sinnvolle Maßnahme, um potenzielle Verzögerungen zu vermeiden. Mit Hilfe einer frühzeitigen Risikoerkennung in Echtzeit und den vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen können Unternehmen reagieren, bevor es zu ernsthaften Störungen kommt. Da die KI die Risiken automatisiert bewertet, sparen Unternehmen zudem wertvolle Kapazitäten und können ihre Ressourcen auf die kritischsten Bereiche konzentrieren. „Mit einer solchen KI-gestützten Software erhalten Unternehmen ein leistungsfähiges Werkzeug für die strategische Entscheidungsfindung und zur Optimierung ihrer globalen Lieferketten“, so Schnüpke.

Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich Daten rasch analysieren, um Anomalien oder Abweichungen von Mustern zu erkennen. Grafik: Biss

Voraussetzung für solche detaillierten und zuverlässigen Prognosen sowie passende Handlungsempfehlungen ist eine umfassende, kohärente Datenbasis. „Eine KI ist keine Glaskugel“, formuliert Mazac bildlich. „Sie kann nichts wiedergeben, was sie nicht gelernt hat.“ Alle Prognosen fußen daher auf vorhandenen Daten – je umfangreicher die Datenbasis, desto genauere Vorhersagen sind möglich. Wichtig ist auch, dass Daten kontinuierlich eingespeist und aktualisiert werden, damit die KI dazulernen und ihre Genauigkeit verbessern kann.

Fazit

Unvorhersehbare Ereignisse – ob der Tausch von Freundschaftsarmbändern bei einer Popstar-Tour, eine Pandemie oder eine Schiffshavarie – können erhebliche Auswirkungen auf globale Lieferketten haben. Die steigende Komplexität und Störanfälligkeit von Supply Chains – bedingt durch geopolitische Konflikte, Fachkräftemangel, Inflation und Klimawandel – macht ein effizientes Risikomanagement unerlässlich. KI-gestützte Systeme bieten hier einen entscheidenden Vorteil: Sie analysieren große Datenmengen in Echtzeit, identifizieren potenzielle Risiken frühzeitig und schlagen proaktive Maßnahmen vor. Unternehmen, die auf solche Technologien setzen, können ihre Lieferketten widerstandsfähiger gestalten und schneller auf Krisen reagieren.

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Literatur

  1. [1] Supply Chain Trends 2024: Ein Blick auf die Herausforderungen. dispo, WEKA Industrie Medien, 11.10.2024. Online verfügbar unter https://dispo.cc/lieferkette/supply-chain-trends-2024-ein-blick-auf-die-herausforderungen/
Von Julia Kowal

Julia Kowal arbeitet als freie Redakteurin und Texterin und ist spezialisiert auf die Themen IT mit dem Schwerpunkt SAP, Technik und Consulting. Nach ihrem Studium an der Ruhr-Universität Bochum hat sie ihr Volontariat im Medienhaus Lensing erfolgreich abgeschlossen und arbeitete im Anschluss mehrere Jahre in der Online-Redaktion eines Herstellers für Sicherheitstechnik. Seit 2020 ist sie freiberuflich für zahlreiche Fachredaktionen tätig. Foto: Autorin