Maschine oder Druckgerät: Welche Richtlinie gilt?
Um Anlagen und Maschinen in Europa in Verkehr zu bringen, müssen Hersteller die Konformität mit den relevanten EU-Richtlinien erklären. Wie können Maschinenbauer bei diesem komplexen Thema den Überblick behalten?
Je nach Anwendung und Technologie überschneiden oder ergänzen sich die Verordnungen. Dies betrifft vor allem die Anforderungen der Druckgeräte- und der Maschinenrichtlinie (DGRL und MRL). TÜV SÜD zeigt am Beispiel von Wasserstoff-Anlagen, wie der Konformitätsnachweis erfolgreich absolviert wird.
Wie gelingt der Durchblick im Verordnungs-Wirrwar?
Je nach Produkt, Nutzung und möglichen Gefahren kommen mehrere Richtlinien infrage. Überschneiden sie sich, haben zwar die stärker auf das Produkt ausgerichteten Richtlinien Vorrang. Trotzdem müssen alle relevanten Richtlinien berücksichtigt werden. Auch liefert eine Risikobeurteilung wichtige Hinweise, welche Vorschriften ggf. entfallen können. Bei verfahrenstechnischen Anlagen mit Maschinenkomponenten oder bei Industrieanlagen mit Druckgeräten kommt es teils zu verschiedenen Auffassungen, welche Richtlinie Vorrang hat:
Alle Maschinen sind als Gesamtsystem immer nach der MRL in Verkehr zu bringen. Wie die Druckgeräte in einer Anlage oder Maschine zu bewerten sind, hängt von ihrer Zahl und ihrem Gefahrenpotenzial ab. Sie werden dabei nach Kategorien eingeteilt – in Klasse I bis IV. Druckgeräte der Kategorie I (geringes Risiko) können unter der Konformitätsbewertung nach der MRL mit der Maschine in Verkehr gebracht werden. Erst ab der Kategorie II (höheres Risiko) ist zusätzlich eine Bewertung nach der DGRL für das Druckgerät erforderlich. Hier muss der Hersteller eine „Benannte Stelle“ einbeziehen.
Beispiel: Power-to-Gas-Anlage
Der Hersteller einer Erzeugungsanlage für Wasserstoff mittels Elektrolyse (Power-to-Gas-Anlage) hat TÜV SÜD beauftragt, deren Konformität zu bewerten. Die zugehörigen Druckgeräte umfassen einen H2-Speichertank (einen Tank für gasförmigen Wasserstoff), einen Verdichter, ein Kühlaggregat, einen Absorptionstrockner sowie eine Messstation zur Qualitätssicherung.
Das Wasserstoff-Gas kommt mit niedrigem Druck aus dem Elektrolyseur und ist mit Feuchtigkeit gesättigt. Es wird zunächst gesammelt, dann komprimiert, gekühlt und getrocknet, bevor es ins Pipeline-Netz gelangt. Die Verantwortung für die Umsetzung der Vorschriften zum Inverkehrbringen der Gesamtanlage liegt beim Generalplaner. Im Gegensatz zu anderen Fällen hat der künftige Betreiber die Anlage schlüsselfertig bestellt. So muss er keine nachträgliche Gesamtkonformitätsbewertung vornehmen. Um EG-Konformität zu erzielen, empfiehlt es sich, vorab vertraglich zu vereinbaren, dass ein Hersteller alle herstellerseitig gültigen Richtlinien erfüllt.
Drei Möglichkeiten für das Inverkehrbringen
Im vorliegenden Fall bestehen drei verschiedene Möglichkeiten und Interpretationsspielräume, die Anlage in Verkehr zu bringen: Im ersten Fall bringt der Hersteller die gesamte Anlage mit integrierten Druckgeräten als Gesamtbaugruppe nach DGRL in Verkehr, weil sie vorrangig unter die Druckgeräterichtlinie (2014/68/EU) fallen. Die Maschinenkomponenten werden zusätzlich einzeln nach MRL bewertet.
Im zweiten Fall bringt der Hersteller die Anlage als Gesamtheit von Maschinen mit eingebauten Druckgeräten vorrangig unter der Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) in Verkehr. Die Druckgeräte werden dann je nach Kategorie und Lieferant einzeln CE-bewertet, aber es wird keine Baugruppe nach DGRL gebildet.
In einem dritten Fall bietet der Hersteller optional an, die Gesamtbaugruppe gemäß der Lieferaufteilung nach DGRL für die in der Gesamtmaschine verbauten Druckgeräte zu bewerten. Alle drei Varianten führen zum Ziel: eine schlüsselfertigen Gesamtanlage. Jedoch führt insbesondere die CE-Bewertung der Druckgeräte als Baugruppe zu einem Mehraufwand für den Betreiber im Rahmen der Prüfung vor Inbetriebnahme.
Der Betreiber der Power-to-Gas-Anlage entschied sich für die erste Variante, weil er sowohl von der Gesamt-CE-Bewertung nach Maschinenrichtlinie als auch von der Gesamtbaugruppe nach DGRL für die Prüfung vor Inbetriebnahme profitierte. Damit reduzierte er auch seine Haftungsrisiken. TÜV SÜD unterstützte so einerseits den Hersteller, eine betriebsbereite Anlage rechtssicher in Verkehr zu bringen. Zum anderem profitierte der Betreiber von geringerem Aufwand bei der Prüfung vor Inbetriebnahme.
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