Nachhaltig klimaneutral – und das mit System
2025 wollen die ersten Automobilunternehmen klimaneutral produzieren. Dies ist eine Herausforderung für Produktentwicklung, Produktion, Logistik und Anlagenbau. Zwei Experten diskutieren über Lösungswege.
Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Der weltweite Klimawandel und seine Auswirkungen sind auch bei uns sichtbar. Vor allem die junge Generation ruft nach Veränderung. Die Zeit drängt, zum Beispiel für die Automobilhersteller, die in Kürze klimaneutral produzieren wollen und müssen. Über die zentrale Rolle der Mechatronik und die zukünftigen Anforderungen an ein nachhaltiges Systems Engineering sprach die VDI-Z mit Prof. Dr. Bernhard Höfig (Institut für Antriebstechnik Aalen) und Prof. Dr. Markus Glück (Lehrstuhl für Automatisierung und Robotik in der Fertigungstechnik). Beide engagieren sich an der Hochschule Aalen für eine intensive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der grünen Transformation. Ziel ist, eine Zukunftsperspektive für junge Menschen zu bieten.
VDI-Z: Herr Professor Höfig, Herr Professor Glück, was treibt Sie beide um, wenn Sie die aktuelle Debatte um mehr Klimaschutz verfolgen?
Höfig: Nun, zunächst bewegt uns wie viele Menschen der sich beschleunigende Temperaturanstieg sowie der damit einhergehende Wandel des Weltklimas. Die Temperaturen steigen, die Wetterlagen werden weltweit extremer, das Abschmelzen der Gletscher beschleunigt sich. Die Auswirkungen des Klimawandels sind heute Realität und werden deutliche Ausmaße annehmen. Wichtig ist, schnell und generationenübergreifend zu handeln.
Glück: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass uns viel Zeit bleibt. Wir haben alle im Umfeld der Weltklimakonferenz in Glasgow anschaulich lernen können, dass wir als Weltgemeinschaft uns weder einig sind, noch dass wir gemeinsam auf einem guten Weg sind, das angestrebte Ziel einer Begrenzung des klimabedingten Temperaturanstiegs um 1,5 Grad Celsius in diesem Jahrhundert zu erfüllen. Auch bei offensichtlich erdrückender Datenlage bleibt es schwierig, wirkungsvolle Maßnahmen zur Begrenzung klimaschädlicher Treibhausgasemissionen zu treffen oder hierfür Überzeugungsarbeit zu leisten.
Aber was ist konkret zu tun?
Glück: Um die für 2040 vorgenommenen Klimaziele zu erreichen, muss bereits in 2030 eine bedeutsame Verringerung des CO2-Ausstoßes um mehr als 40 Prozent gelingen. Dies ist zweifellos ambitioniert und nicht nur eine Frage der Mobilität, des Reisens, der Energieerzeugung, des Heizens, Dämmens oder unserer Ernährung.
Höfig: Wir brauchen darüber hinaus dringend Lösungsansätze, um eine klimaneutrale Produktion zu erreichen. Konkrete technische Lösungen zum Beispiel für energieeffiziente Antriebe oder CO2-arme Fertigungsprozesse müssen entwickelt werden. Neue Ansätze zur Bewertung von ökologischen Fußabdrücken sind zu finden, alternative Materialien einzusetzen. Wir müssen die Chancen, die sich aus einem modernen Systems Engineering und der Digitalisierung ergeben, gezielt nutzen. Und wir müssen unserer jungen Generation ein methodisches Rüstzeug durch eine Anpassung unserer Studienangebote mit auf den Weg geben, welches ihr die erfolgreiche Bearbeitung von Herausforderungen der Nachhaltigkeit eröffnet.
Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde. Wofür steht dieser Begriff?
Glück: Nachhaltigkeit – ein Megatrend des 21. Jahrhunderts, der unsere Gesellschaft ebenso prägen wird, wie die Digitalisierung – steht für ein Leitbild bzw. ein verantwortungsvolles Handeln, angeleitet von der Selbstverpflichtung, die Lebensgrundlagen nachfolgender Generationen nicht zu verbrauchen, nicht zu schädigen und deren Zukunftsperspektiven zu schützen. Dies betrifft uns alle, denn Entscheidungen, die wir täglich treffen, haben unmittelbare Auswirkungen auf den Ressourcenverbrauch, den CO2-Fußabdruck sowie auf die Erwerbs- und Lebensgrundlagen von Menschen in Entwicklungsländern.
Höfig: Viele Unternehmen sind schon in diesem Bereich aktiv. Sie haben erkannt, dass nachhaltiges Wirtschaften und klimaneutrales Produzieren die entscheidenden Erfolgsfaktoren der Zukunft sind. Zumal sie sich koppeln lassen mit dem zweiten Megatrend von heute: der Digitalisierung. Wir Ingenieure müssen uns zukünftig zwischen Digitalisierung und Dekarbonisierung souverän bewegen.
Außerdem: Mit Nachhaltigkeit lässt sich Geld verdienen!. Bei vielen Verkaufsgesprächen ist der ökologische Fußabdruck einer Anlage zum kaufentscheidenden Argument geworden. Maschinen werden heute zum Beispiel nicht mehr auf Grund ihrer Produktivitätsvorteile verkauft, sondern auf Grund ihrer gegenüber Marktbegleitern vorteilhaften ökologischen Merkmale.
Ist Nachhaltigkeit folglich kein ganz neues Thema?
Glück: In der Tat. Der Begriff Nachhaltigkeit findet seinen Ursprung in der Forstwirtschaft, erstmals verwendet im Jahr 1713 von Hans Carl von Carlowitz. Er beschrieb eine Bewirtschaftungsform der Wälder, die eine Überbenutzung vermeidet. Dieses ressourcenökonomische Prinzip gilt als Ursprung und ist bis heute Vorbild für sämtliche Nachhaltigkeitsansätze. Lange Zeit war dann praktisch „Funkstille“. Erst in den 1960er Jahren kam es im Vorfeld der damaligen Ölkrise zu einem Umdenken. Der Schutz der Umwelt, der Verbrauch von natürlichen Ressourcen und die globale Entwicklung der Weltbevölkerung rückten in die öffentliche Diskussion. In diese Zeit fällt die Wiederaufnahme von Fragestellungen der Nachhaltigkeit.
Ein wichtiger Meilenstein ist der Bericht „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, der sich 1972 erstmals fundiert mit globalen, technologischen, ökonomischen und demografischen Entwicklungen auseinandersetzte. Er wies bereits darauf hin, dass fundamentale Verhaltensänderungen nötig sind, um eine globale Katastrophe zu verhindern.
Höfig: Die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit Fragen der Nachhaltigkeit hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2015 mit der Verabschiedung eines Weltzukunftsvertrags – der „Agenda 2030“ – unterstrichen. Benannt sind 17 eng miteinander verschränkte Nachhaltigkeitsziele als „Sustainable Development Goals“, die bis zum Jahr 2030 weltweit erreicht werden sollen. Ende 2019 hat die EU dann ihren „Green Deal“ als Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft vorgestellt. Dieser hat zwei Ziele: Erstens sollen bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden. Die EU wäre dann klimaneutral. Zweitens soll das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden. Das bedeutet: Wachsen ja, aber nicht mehr auf Kosten der Umwelt.
Welche Rolle kommt auf die junge Generation und Ihre Studierenden zu?
Glück: Die junge Generation muss jetzt das Heft des Handelns ergreifen, selbst aktiv werden. Und wir als Hochschule müssen sie dabei unterstützen, die nötigen Fachkenntnisse und methodischen Voraussetzungen zu entwickeln. Wir müssen sie in die Lage versetzen, die Grundlagen des nachhaltigen Denkens und Engineerings zu kennen und ihnen das Rüstzeug für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den zweifellos herausfordernden Themen mitzugeben.
Höfig: Klimaschutz und Klimaneutralität sind stark verknüpft mit Prozessverständnis, wie zum Beispiel thermische Prozesse ressourceneffizient geführt werden, welche Materialien eingesetzt werden und wie man das Gewicht der Komponenten reduziert, wie man Bewegungsabläufe und den Maschineneinsatz steuert, wie man Traglasten optimiert und Überspezifikation vermeidet. Schon beim Design eines Produkts muss es das Ziel sein, Rohstoffe einzusparen. Beispielsweise sollten Maschinen, Anlagen und Geräte modular aufgebaut sein, so dass man Einzelteile herausnehmen und sie ersetzen kann. Eine klassische Ingenieuraufgabe, für die wir in der Mechatronik und im System Engineering geradezu prädestiniert sind.
Haben die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz Zukunft?
Höfig: Selbstverständlich. Die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen wird viel Engagement von uns erfordern. Es wird die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte sein, unser Lebensumfeld klimafreundlicher, am besten klimaneutral zu gestalten. Was es definitiv ebenso braucht, ist eine Rohstoffwende, die unseren absoluten Rohstoffverbrauch reduziert, Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette durchsetzt und die Rechte der Betroffenen in den Abbaugebieten schützt. Rohstoffe immer wieder zu verwenden, das ist die Idee der Kreislaufwirtschaft, die es auch zu verwirklichen gilt.
Glück: Und dafür bleibt uns wirklich wenig Zeit. Viele Betriebe und vor allem die Automobilhersteller stehen schon unter immensem Druck. Sie wollen bereits 2030 das Ziel einer klimaneutralen Produktion erreicht haben. Und sie müssen dieses Ziel gemeinsam mit ihren Zulieferfirmen erreichen. Ohne diese wird ihr Vorhaben nicht gelingen, was den Druck auf die Lieferanten erhöht. Ebenso auf die Produktentwickler. Die Messlatte liegt sehr hoch, denn bereits vorzeitig um das Jahr 2025 müssen ganz konkrete Lösungen schon auf dem Tisch liegen.
In welcher Rolle sehen Sie junge Ingenieure und Ingenieurinnen, die jetzt mit ihrer Karriere beginnen? Welche Rolle werden sie in naher Zukunft spielen?
Höfig: Eine sehr wichtige! Ihr Ideenreichtum wird Entwicklungen vorantreiben. Sie steigen mit einem anderen Bewusstsein für Nachhaltigkeit und für den Klimawandel in ihr Berufsleben ein. Dieser Blick wird es ihnen ermöglichen, neue Wege zu finden, die wir jetzt vielleicht noch gar nicht „auf dem Schirm haben“. Und wenn man so über seinen Berufseinstieg und seine Entwicklungsperspektiven nachdenkt, wird einem schnell klar: Das Beste für junge Menschen und ihre Karriere ist es, schon heute gefragtes Wissen zu erlangen, Kompetenzen aufzubauen und Netzwerke in Umfeldern zu knüpfen, welche die Zukunft aktiv und sinnvoll gestalten.
Glück: Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, dass bereits in den nächsten Jahren keiner mehr in einem Beruf arbeiten möchte, der in seiner Konsequenz Lebensgrundlagen zerstört. Und das vor allem, weil es diese Jobs und diese Unternehmen vermutlich nicht mehr gibt. Nur Unternehmen, die sich erfolgreich mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen, können jungen Nachwuchskräften langfristige Perspektiven bieten und am Markt bestehen.
Wie muss eine Hochschule auf diesen dringlichen Bedarf reagieren?
Höfig: Wir haben innerhalb unserer Fakultät einen Diskussionsprozess eingeleitet, wie wir unser Studienangebot weiterentwickeln müssen. Ziel ist ein an Nachhaltigkeitsaspekten ausgerichtetes „Systems Engineering“ als Kerndisziplin der künftigen Mechatronik. Unsere Absolvierenden müssen künftig den Transformationsprozess zu einer klimaneutralen Produkt- und Produktionsgestaltung aktiv begleiten und weiterentwickeln können. Sie müssen die Berechnung von Lebenszykluskosten und das Erstellen von Ökobilanzen beherrschen. Nachhaltiges Handeln muss elementarer Bestandteil unseres Studienprogramms sein. Dabei geht es um mehr, als Einzelaspekte zu beleuchten wie beispielsweise den Energieverbrauch, die Stromerzeugung oder die Logistik.
Glück: Es genügt nicht, ein sogenanntes „Greenwashing“ zu betreiben. Unsere Absolvierenden müssen sich durch solide ingenieurwissenschaftliche Grundlagen auszeichnen. Sie sollen aber zum Beispiel auch Anforderungen und Lösungsansätze für eine klimaneutrale Produktion kennen und sich ein profundes Verständnis von Technologien der erneuerbaren Energieerzeugung und -speicherung oder der energieeffizienten Antriebstechnik erarbeitet haben. Und sie sollten wissen, wie diese in der Produktentwicklung, in neuen Mobilitätsformen und vernetzter Infrastruktur zuverlässig eingesetzt werden.
Gibt es Berührungspunkte mit der digitalen Transformation?
Höfig: Ja, mit der Digitalisierung sind vielerlei Hoffnungen verbunden. Unter anderem, dass sie einen maßgeblichen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten kann. Selbstverständlich bildet der Aufbau digitaler Kompetenzen eine wesentliche Tragsäule unseres Studienangebots. Die Masse der durch vernetzte Systeme und smarte Produkte generierten Daten muss man lesen, in Echtzeit analysieren und bewerten können. Dies auch in einer Cloud oder mit einer Edge.
Glück: Fakt ist aber auch, dass die zunehmende Digitalisierung mehr und mehr Ressourcen – zum Beispiel Energie und Wasser – verbraucht. Zudem beeinflussen das Nutzerverhalten und die Menge der zu übertragenden Daten die verursachten CO2-Emissionen in einem bedeutsamen Ausmaß. Die IT ist somit Lösungsmittel und Problem-Verschärfer im Kontext einer nachhaltig ausgerichteten Wirtschaftsweise. Man sollte diese Dualität nicht als Dilemma verstehen, sondern als Auftrag, auf der einen Seite mehr digitale Lösungen zu implementieren, und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass IT-Strukturen, KI- und alle sonstigen Steuerungssysteme grüner, nachhaltiger und damit klimafreundlicher werden.
Was muss sonst alles berücksichtigt werden, wenn man nachhaltig arbeiten möchte?
Höfig: Ein durchgängiger Begleiter nachhaltiger Optimierungen ist die Ökobilanzierung entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts, der so genannte ökologische Fußabdruck. Darunter versteht man die Ermittlung der CO2-Emissionen oder anderer umwelt- und klimaschädlicher Substanzen – zum Beispiel der Hilfs- und Betriebsstoffe – sowie des Wasserverbrauchs im Fertigungsablauf. Natürlich spielt auch die Lebenszeit eines Produkts oder einer Produktionsanlage eine wichtige Rolle. Ebenso die Entsorgung.
Um eine Ökobilanzierung vornehmen zu können, braucht man eine breit angelegte ingenieurtechnische und von betriebswirtschaftlichen Grundlagen geprägte Wissensbasis. Ausschlaggebend ist das erfolgreiche Zusammenwirken aller beteiligten Systeme. Und das ist Mechatronik pur! Wir brauchen in der Auseinandersetzung um mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit folglich eine „Mechatronik mit System“, ein mit nachhaltigen Gesichtspunkten ausgelegtes Systems Engineering.
Glück: Dies startet mit der Kenntnis der Materialien, die genutzt werden, und ihrer Herkunft. Auch gesellschaftliche Aspekte müssen bei der Gestaltung von Lieferketten und bei der Materialauswahl berücksichtigt werden. Ein Beispiel: Der Einsatz Seltener Erden oder wertvoller Rohstoffe, die unter menschenunwürdigen Bedingungen und wenig umweltfreundlichen Rahmenbedingungen gewonnen, teilweise über große Strecken bei vernichtender Ökobilanz über die Weltmeere transportiert werden.
Eine nachhaltig ausgerichtete Produktentwicklung berücksichtigt Aspekte der Energieeffizienz und der klimaneutralen Produktion bereits während der Konstruktionsphase. Weiter zählt, wie man das Produkt an den Markt bringt, wie man es zu den Kunden transportiert, und in welchen Verpackungseinheiten dies geschieht.
Höfig: Berücksichtigen muss man auch die Einsatz-Rahmenbedingungen, die Wirkungsgrade der eingesetzten Technologien und damit die konstruktiven Anforderungen an das Produktdesign, sodass in Summe ein energie- und ressourceneffizienter Betrieb möglich ist. Wenn zum Beispiel ein Elektromotor oder eine Bewegungsachse sehr schnell beschleunigt oder abgebremst und dabei große Gewichte bewegt werden, wird viel Energie umgesetzt. Ebenso wird in Stillstandszeiten, in denen eine Maschine in einem Standby-Modus verharrt, unnötige Energie verbraucht.
Glück: Darüber hinaus sind Modellierungsmöglichkeiten zur Optimierung des Materialeinsatzes erforderlich. Es braucht ein fundiertes Verständnis des Leichtbaus, von Materialeigenschaften, Modellierungswerkzeugen, digitalen Zwillingen und Berechnungsverfahren wie beispielsweise der Topologieoptimierung, der Gewichtsoptimierung bei gleichzeitigem Erhalt der zentralen Festigkeitsanforderungen eines Bauteils oder Systems. Womit wir wieder bei einer Kernkompetenz des Mechatronik-Ingenieurs, dem System Engineering, angekommen sind.
Und natürlich braucht es die Auseinandersetzung mit Sensorik, Regelungstechnik und energieeffizienter Antriebstechnik. So ist das nachhaltige System Engineering kein reines „grünes“ Thema, sondern ein breit angelegtes Querschnittsthema, das Chancen der Digitalisierung, ingenieurtechnisches Gesamtverständnis und die Grundkenntnis ökonomischer Zusammenhänge erfordert.
Zusätzlich verändern Automation und Digitalisierung sowie neue Geschäftsmodelle zahlreiche Unternehmen. Wie fließt dieser Aspekt in Ihre Überlegungen ein?
Höfig: Bei Automation und Digitalisierung überlappen sich zunehmend Technologiefelder wie Mechanik, Elektronik, Optik und Software; dies oft in kleinsten Bauräumen unter komplexen Wechselwirkungen. Produktionsanlagen sind heutzutage mit unzähligen Sensoren ausgestattet. Die Analyse der davon gelieferten Daten verspricht hohe Verbesserungspotenziale. Allerdings sind zur Verarbeitung dieser Masse an Daten leistungsfähige Rechner, Edge Computing oder auch eine künstliche Intelligenz (Kl) notwendig. Damit kommen zwangsläufig Experten unterschiedlicher Bereiche mit ihren jeweiligen fachspezifischen Begriffen an einem Tisch zusammen – eine Paradedisziplin für Systemingenieure.
Glück: Erwähnen möchte ich auch die vorteilhafte Rolle der Robotik. Sie sind eine, wenn nicht die wichtigste Antwort auf den immensen Mangel an Fachkräften in der Produktion, der sich durch den demografischen Wandel weiter verstärkt. Universell und flexibel einsetzbar, können Roboter auch Aufgaben mehrerer Maschinen übernehmen oder die Werkerinnen und Werker durch Mensch-Roboter-Kooperation unmittelbar bei Arbeiten am Arbeitsplatz unterstützen.
Durch den Einsatz von Robotern, insbesondere von Leichtbaurobotern, werden Fertigungsstandorte in Hochlohnländern wieder attraktiv. Die zurückgewonnene Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht wieder eine lokale Ausgestaltung von Lieferketten und ein Zurückholen verloren gegangener Fertigungskapazität in die unmittelbare Nähe der heimischen Produktion. Auf kurzen Wegen erreichbar, in der Nähe der Endverbraucher und nicht mehrfach über die Weltmeere oder per Luftfracht hin und her transportiert, ständig irgendwelchen Störungen der Lieferketten und Transportwege unterworfen, wie wir dies zur Zeit leidvoll erleben dürfen.
Welche Rolle spielt für Sie das Thema Kooperationen?
Höfig: Erfolgreiche und wirkungsmächtige Kooperationen stellen heute überall einen Grundpfeiler der Wettbewerbsfähigkeit dar. Dies gilt für Bildungseinrichtungen ebenso wie für Industrieunternehmen. Wir alle wissen, dass Einzelkämpfer allenfalls noch im Kino gefragt sind. Viele Herausforderungen lassen sich jedoch nur im Verbund oder in Netzwerken stemmen.
Wir setzen in unserem Studien- und im Forschungsbetrieb besonders auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnerfirmen, den künftigen Arbeitgebern unserer Studierenden. Wir kooperieren auch mit Verbänden und setzen auf Möglichkeiten der fakultätsübergreifenden Kooperation innerhalb unserer Hochschule. Sich außerhalb im Netzwerk der nationalen Hochschul- und Forschungslandschaft ergebende Chancen zur Zusammenarbeit nutzen wir.
Glück: Die Zusammenarbeit mit Partnerfirmen ist auch ein wichtiger Bestandteil der studentischen Ausbildung. Das beginnt mit der unmittelbaren Zusammenarbeit in Projekten, setzt sich mit dem Praxissemester fort und endet bei möglichst vielen, von realen Herausforderungen geprägten Projekt- und Abschlussarbeiten als Teil eines nahtlosen Transfers in die Wirtschaft.
Abschließend: Welche Empfehlungen geben Sie den jungen Menschen und künftigen Studierenden mit auf den Weg?
Höfig: Wer die Weichen seiner beruflichen Zukunft bewusst im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens stellen möchte, liegt mit einer Entscheidung für ein von der Mechatronik bestimmtes Systems Engineering goldrichtig. Junge Menschen laden wir daher zum Studium sowie zur aktiven Mitgestaltung ihres Studienangebots ein – wie hier an der Hochschule (HS) Aalen.
Glück: Hierbei zeigen uns die anfangs diskutierten Fragen zum Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel die Richtung auf. Wir brauchen gut ausgebildete, begeisterte junge Menschen und müssen mit Empathie, Engagement und Sachverstand gemeinsame an den brennenden Fragestellungen für eine lebenswerte Zukunft arbeiten. Dazu wollen wir mit unserer Aalener Mechatronik einen signifikanten Beitrag leisten – eine interessante Aufgabe, wie ich finde.
VDI-Z: Vielen Dank an Sie beide für dieses aufschlussreiche Gespräch.
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