Quo vadis ERP: Die Trends für 2023 im Überblick
Weltwirtschaftliche Umbrüche erfordern reaktionsschnelle Maßnahmen auch beim Enterprise Resource Planning. Erläutert wird, was Unternehmensentscheider in der Maschinenbau-Branche 2023 hinsichtlich ihres ERP-Systems beachten sollten.
Die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg oder die Rohstoff- und Energiekrise stellten den deutschen Maschinenbau im Jahr 2022 wirtschaftlich und geopolitisch vor einige Herausforderungen – mit massiven Auswirkungen auf ERP-Bereiche wie etwa Beschaffung, Materialwirtschaft, Controlling und Logistik. Unternehmen können davon ausgehen, dass sie auch im Jahr 2023 mit diversen Herausforderungen konfrontiert werden. Jedoch können ERP-Systeme auf neue Funktionalitäten hin optimiert und feingetunt werden, damit Maschinenbaubetriebe gerüstet sind, was die bevorstehenden Forderungen im Hinblick auf die Optimierung ihrer Geschäftsprozesse angeht.
Flexibel, resilient, innovativ und mobil
Wirtschaft und Industrie hatten in jüngster Zeit mit einigen Herausforderungen zu kämpfen. Daher müssen Unternehmen – auch der Maschinenbau-Branche – schnell und effektiv auf die sich ständig verändernde geo- und wirtschaftspolitische Lage reagieren können. Diese Fähigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung und wird in den kommenden Jahren wettbewerbsentscheidend sein.
Die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen hängt unter anderem von der Resilienz der Lieferketten ab. Hierbei wird – gerade in Zeiten mit begrenzten (finanziellen) Mitteln und Ressourcen – dem im Unternehmen eingesetzten ERP-System eine noch bedeutendere Rolle zukommen als bisher. Denn als „digitales Rückgrat“ eines Unternehmens spielt es beim Zusammenhalt partnerschaftlicher Ökosysteme, der Verzahnung von Lieferketten und somit auch für die Aufrechterhaltung der Produktion eine entscheidende Rolle.
Rasche Reaktion in Krisenzeiten und bei politischen Regulierungen
Hinzu kommt, dass Unternehmen im Stande sein müssen, schnell auf regulatorische Anforderungen der Politik zu reagieren: so zum Beispiel auf das kommende Gesetz zum Emissionsausstoß [1]. Denn nur Unternehmen, die über passende Lösungen für das Energie- und CO2-Management verfügen, werden in der Lage sein, ab dem Geschäftsjahr 2023 die auf Bundes- und EU-Ebene geforderte Nachhaltigkeitsberichterstattung abzugeben. „Zero Footprint Engineering and Production“ ist hier das Motto in der Maschinenbau-Branche.
Auch auf die veränderten Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung [2], die durch eine Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Dezember 2022 nun verpflichtend ist, sollten Maschinenbau-Unternehmen reagieren und sich dabei schnellstmöglich um die Einführung geeigneter Tools kümmern. Hier liefern flexible und sehr schnell implementierbare Cloud-Angebote zur Zeiterfassung einen vielversprechenden Lösungsansatz. Zudem greift für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Deutschland seit Januar 2023 das Lieferkettengesetz, das klare und umsetzbare Anforderungen für die Sorgfaltspflichten von Unternehmen festlegt und so Rechtssicherheit für Unternehmen und Betroffene schafft [3]. Auch hier kommt dem ERP-System eine besondere Rolle zu, denn es sorgt dafür, dass neue und bestehende Lieferverbindungen von der Quelle bis zum Ziel nachverfolgt und die entsprechenden Zertifikate hinterlegt werden können.
Bessere Resilienz und Nachhaltigkeit durch mehr Funktionalität und KI
Smarte und prädiktive Beschaffungslösungen sowie nahtlos integrierbare Tools aus der Cloud geben dem klassischen ERP, auf Basis von zukunftsträchtigen Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML), den nötigen Intelligenz- und Automatisierungsschub. KI-gestützte ERP-Technologie sowie Tools helfen Maschinenbau-Unternehmen nicht nur dabei, ihre Kosten, Lagerbestände und Durchlaufzeiten zu reduzieren, sondern fördern auch die Bereiche Resilienz und Nachhaltigkeit. Und nur wer über Transparenz, Prognosefähigkeit sowie Tracking- und Tracing-Möglichkeiten seiner Geschäftsprozesse verfügt, kann schnell auf die geo- und wirtschaftspolitischen Veränderungen reagieren.
KI kann aber nicht einfach komplett in ein ERP-System integriert werden. KI-geeignete Prozesse und Anwendungsszenarien müssen erst einmal identifiziert werden – hier sollten Unternehmen auf die Expertise erfahrener Anbieter von „ERP+“-Lösungen zurückgreifen. Insbesondere der Mittelstand ist bei der Entwicklung, Integration und Nutzung innovativer Technologie wie KI von externem Support abhängig. Eigenentwicklungen sind aufgrund mangelnder Expertise sowie Ressourcen schlichtweg bei kleineren Unternehmen nicht umsetzbar. Allerdings ermöglichen es vorgefertigte „Out-of-the-Box“-Lösungen auch mittelständischen Unternehmen, schubladengerechte Dienste wie etwa ein KI-gestütztes ERP-System sowohl für die Analytik als auch für die Prozesse gewinnbringend einzusetzen.
Auch der Ruf nach mehr Funktionalität über das gesamte ERP-System hinweg wird im Jahr 2023 zunehmen. Der Grund: Maschinenbau-Unternehmen müssen ihre Lieferketten, ihren Energieverbrauch und ihre Produktion im Griff haben, um den Überblick über ihre Geschäftsprozesse zu wahren. Hierbei werden intelligente Funktionen wie Zero-Touch-Automatisierung, intelligente Berater und interaktive Sprachassistenten eine neue und wichtige Rolle einnehmen.
Datensilos aufbrechen – zugunsten der Plattformökonomie
Eine umfassende Funktionalität wird jedoch nur erreicht, wenn Unternehmensdaten nicht in „Silos“ untergehen. Stattdessen sollten sie über ein zentrales Portal – in das die Lieferkette, Kundenbeziehungen und das Finanzmanagement integriert sind – zugänglich und nutzbar gemacht werden. So können alle im Unternehmen anfallenden und gesammelten Daten in einer Quelle zusammengebracht werden.
Insbesondere für Unternehmen aus der Industrie – und so auch dem Maschinenbau – wird es künftig mehr denn je darauf ankommen, die zur Verfügung stehenden Daten für eine wertschöpfende Geschäftsstrategie zu nutzen. Denn für den Erfolg in der Plattformökonomie ist insbesondere die Entwicklung neuer Services und Produkte erforderlich, die datenbasiert einen direkten Mehrwert für den Kunden liefern. Nur wer die strategische Relevanz digitaler Mehrwertdienste erkennt und adressiert, wird in Zukunft seine Position halten und von der eigenen Prozessnähe sowie dem tiefen Anlagen-Know-how profitieren.
Mobiles ERP und Echtzeit-Zugang
Im Zeitalter von hybrider Arbeit müssen ERP-Anbieter den Anforderungen einer mobilen Belegschaft gerecht werden. Aufgaben, Projektkoordination oder Kunden- sowie Urlaubsanträge sollten heutzutage auch mobil verwaltet und ausgeführt werden können. In Deutschland wird das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung die Notwendigkeit eines mobilen, plattformübergreifenden und über die Cloud nutzbaren ERP vorantreiben.
Auch der Zugang zu Daten in Echtzeit, beispielsweise über intelligente Dashboards für eine detaillierte Bericht- und Prognoseerstellung, wird zunehmend zum Standard werden. Wichtig hierbei: Die Offline-Funktionalität sollte dennoch nicht vernachlässigt werden, da Verbindungsabbrüche nicht gänzlich auszuschließen sind. Die Daten müssen daher automatisch synchronisiert werden, sobald die Verbindung wiederhergestellt ist.
ERP-Cloud-Lösungen für den Mittelstand – Evolution statt Revolution
Der Trend in Richtung Cloud-ERP wird sich fortsetzen. Laut Adroit Market Research [4] ist der internationale Cloud-ERP-Markt auf dem Weg, bis ins Jahr 2030 ein Volumen von 178 Milliarden US-Dollar zu erreichen. Reine Cloud-Lösungen sind in der Maschinenbau-Branche jedoch noch echte Exoten. Das liegt vor allem daran, dass ERP-Systeme immer unternehmenskritisch und damit nicht die ersten Systeme sind, die in die Cloud transferiert werden. Gerade bei ihren komplexen Fertigungsprozessen sind mittelständische Unternehmen noch zurückhaltend. So sind Lösungen im Bereich E-Procurement in der Praxis fast ausschließlich in der Cloud abgebildet, während komplexere und stark modifizierte Applikationen weiterhin On-Premise implementiert sind. Daher wird man bei der Implementierung von Cloud-ERP-Systemen oder -Komponenten eher eine Evolution als eine Revolution sehen.
Die Cloud verlangt zudem eine Harmonisierung der Prozesslandschaft über Branchentemplates und Industry-Best-Practices, ohne die sich die Vorteile der Cloud nicht maximal ausschöpfen lassen. Innovationen können nur dann genutzt werden, wenn mittelständische Fertiger mit dieser Entwicklung mitgehen. Hier werden auch die Anbieter gefordert sein, sich den unterschiedlichen Digitalisierungs-Geschwindigkeiten ihrer Kunden anzupassen. Es geht also vor allem darum, Unternehmen bei der sukzessiven Erweiterung ihrer traditionellen Kernsysteme mit neuen, voll integrierten Cloud-Services zu unterstützen. Hier verspricht eine Hybrid-Strategie im Sinne einer sinnvollen Kombination beider Welten mittelfristig den größten Benefit.
Die Zukunftsaussichten
Perspektivisch betrachtet, werden sich moderne ERP-Systeme wie das von Proalpha daher in Richtung offener – und vollständig Cloud-nativer – Microservices-Architekturen entwickeln, die auch hybrid und mit „Third-Party-Anwendungen“ funktionieren. Dafür wird der klassische ERP-Monolith aufgebrochen und in standardisierte und gekapselte Services zerlegt. In diesem Szenario orchestrieren Kunden ihre Cloud- und On-Premise-Services nach ihren individuellen Anforderungen. Durch diese „Mix & Match“-Funktionalität lassen sich Prozesse umfänglich optimieren. So lässt sich quasi eine Plug & Play-Integration von „Best-of-Suite“- mit „Best-of-Breed“-Technologien realisieren.
Literatur
- https://www.frankfurt-main.ihk.de/hauptnavigation/wirtschaftspolitik/csr-und-nachhaltigkeit/csr-berichtspflicht-5284482
- https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/einfuehrung-elektronischer-zeiterfassung-initiativrecht-des-betriebsrats/
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw23-de-lieferkettengesetz-845608
- https://www.globenewswire.com/news-release/2022/09/20/2518940/0/en/At-12–1-CAGR-the-Cloud-ERP-Market-To-Surpass-USD-178-Billion-by-2030-Top-Leaders-Key-Trends-Value-Chain-4]-Technical-Advancement-Regional-Analysis-and-Future-Prospect-Adroit-.html
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