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Effizientes Krisenmanagement 13.07.2022, 07:30 Uhr

Thermische Speicher: Schlüssel-Technologie für die Energie-Souveränität der Industrie

Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind die Energiekosten weiter explodiert. Der Preisdruck und die absehbare Gasmangellage zwingen die Industrie zum Energiesparen und zum schnelleren Umstieg auf alternative Energiequellen.

Thermische Speicher für industrielle Prozesswärme können in der aktuell schwierigen Situation andere Energiequellen gut ergänzen. Foto: EnergyNest

Thermische Speicher für industrielle Prozesswärme können in der aktuell schwierigen Situation andere Energiequellen gut ergänzen.

Foto: EnergyNest

Häufig übersehen wird dabei die Herausforderung bei der industriellen Prozesswärme: Europas energieintensive Sektoren wie Stahl, Chemie, Textilien und die Lebensmittelindustrie verbrauchen für die Produktion von Prozesswärme fast 2.000 Terawattstunden (TWh) Energie pro Jahr. Fast 80 Prozent der industriellen Wärme stammen dabei immer noch aus fossilen Quellen wie Erdgas. Es braucht neue Technologien, die der Industrie aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verhelfen – und in der Folge auch zur Dekarbonisierung des Wärmesektors führen. Der Hebel in diesem Bereich ist groß: Mehr als 20 Prozent der europäischen CO2-Emissionen entfallen auf die Produktion industrieller Prozesswärme.

Wie können thermische Energiespeicher-Technologien der Industrie bei der Lösung dieser Herausforderungen helfen? Wir haben mit Dr. Christopher Greiner, Chief Technology Officer bei EnergyNest, über die Chancen thermischer Speicher gesprochen.

Dr. Christopher Greiner ist Chief Technology Officer bei EnergyNest und bringt als Spezialist für Energiespeichersysteme seine Expertise zu aktuellen Fragestellungen ein.

Foto: EnergyNest

VDI-Z: Warum braucht die Industrie thermische Energiespeicher?

Christopher Greiner: Thermische Energiespeicher – auch thermische Batterien genannt – dienen in der Industrie vor allem zwei Zwecken. Zuallererst ermöglichen sie den Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien. Thermische Batterien werden benötigt, um die schwankende Leistung von Wind- und Solaranlagen auszugleichen und Wärme für industrielle Prozesse konstant bereitzustellen. Zweitens erhöhen sie die Energieeffizienz. Es wird oft gesagt, dass die sauberste Energie die ist, die nicht verbraucht wird. Allein in Deutschland gehen jedes Jahr 200 Terawattstunden Energie in Form von Abwärme einfach verloren. Das entspricht fast der gesamten inländischen Erzeugung erneuerbarer Energien. Thermische Batterien werden daher auch eingesetzt, um Abwärme zurückzugewinnen und effizient in den Anlagen als Primärenergie wieder zu nutzen.

VDI-Z: Wie funktionieren thermische Speicher?

Christopher Greiner: Prozesswärme, beispielsweise in Form von Dampf, stammt bisher noch überwiegend aus fossilen Quellen. Sie kann allerdings auch leicht mit Strom erzeugt werden, im Grunde funktioniert das wie bei einem Wasserkessel. Thermische Batterien ermöglichen Industrieunternehmen, den kostengünstigen Strom aus dem Netz zu beziehen, wenn der Wind am stärksten weht oder die Sonne hoch am Himmel steht. Mit Hilfe der Batterien wird diese Energie als Wärme gespeichert und bei Bedarf wieder in Form von Dampf in die Prozesse gegeben – zum Beispiel nachts.

Der energetische Wirkungsgrad von Thermischen Batterien liegt bei über 95 Prozent. Auch das Recycling von Abwärme ist damit möglich.

Foto: EnergyNest

Der energetische Wirkungsgrad liegt bei über 95 Prozent – vom Hochspannungsstrom bis zum Prozessdampf, der an den Endverbraucher geliefert wird. Thermische Batterien ermöglichen auch das Recycling von Abwärme, indem sie diese aus der Abführung von Gasen zurückgewinnen, speichern und später wieder nutzbar machen. Das senkt nicht nur Energiekosten im Unternehmen, sondern verringert auch die Gesamtkosten der Energiewende, da Speicher auf diese Weise eine flexiblere Nutzung grüner Energie ermöglichen. Derzeit besonders wichtig: Beide Anwendungen reduzieren effektiv den Bedarf an Erdgas oder eliminieren ihn sogar komplett: in einem unserer Projekte verringert sich der Erdgaseinsatz schon um 75 Prozent.

VDI-Z: Für welche Wärmeanwendungen kommt die Technologie in Frage? Kann man nicht einfach Wasserstoff nehmen?

Christopher Greiner: Unser „Sweet Spot“ liegt bei Temperaturen der Prozesswärme zwischen 100 und 400 Grad Celsius. Hier wird Wärme vor allem in Form von Dampf eingesetzt. Dampf gibt es in fast allen produzierenden Industriezweigen. Wie vorhin erwähnt, liegt unsere Effizienz bei über 95 Prozent. Wenn man stattdessen Wasserstoff aus Strom produziert und für Wärme wieder verbrennt, sinkt der Wirkungsgrad auf bestenfalls 50 Prozent. Der Weg über Wasserstoff ist mit großen Energieverlusten bei der Produktion und Speicherung verbunden und sollte daher nur in Betracht gezogen werden, wenn eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Dort, wo es geht, sind thermische Speicher bei Prozesswärme das Mittel der Wahl.

VDI-Z: Was zeichnet die thermischen Batterien von EnergyNest aus?

Christopher Greiner: EnergyNest wurde 2011 in Norwegen gegründet. Unsere Thermal Battery hat mittlerweile kommerzielle Reife und wird in ersten Industrieanlagen in Europa wirtschaftlich tragfähig eingebaut und genutzt. Die praktische Anwendung haben wir unseren Wettbewerbern voraus. Der Bedarf an unseren und vergleichbaren Speichern ist auf dem Weg zur Klimaneutralität gigantisch. Es handelt sich um einen Milliardenmarkt, groß genug für mehrere Hersteller und Speichertypen.

Vorzeigeprojekt beim Düngemittelhersteller Yara in Norwegen: Thermische Batterien können die schwankende Leistung von Wind- und Solaranlagen ausgleichen, um Wärme für industrielle Prozesse konstant bereitzustellen.

Foto:EnergyNest

Unser Ziel ist jetzt, mit Unternehmen neue Projekten so zügig wie möglich an den Start zu bringen. Wir können ein Projekt in weniger als zwölf Monaten vom Erstgespräch bis zur Kommissionierung bringen. Die Speicher können dann 30 Jahre in Betrieb sein, teils sogar länger. Möglich machen es die einfachen und langlebigen Feststoff-Materialien in unseren Modulen.

VDI-Z: Woraus bestehen diese Module und wie kommt der Speicher in den Industrieprozess?

Christopher Greiner: Die Wärmeenergie wird in einem Hochleistungswärmebeton namens „Heatcrete“ gespeichert, den wir gemeinsam mit HeidelbergCement entwickelt haben. Der Speicher ist modular aufgebaut: jedes Modul ist eine gleich große Einheit im 20-Fuß-Container-Format und kann als solche transportiert und gestapelt werden. Die Wärme wird über eine Wärmeträgerflüssigkeit in die Module hinein- und wieder herausgeleitet. Die Flüssigkeit fließt in Wärmetauscherrohren aus Stahl, die in das Heatcrete eingegossen sind. Wir verwenden gängige Wärmeübertragungsflüssigkeiten wie Wasser bzw. Dampf und Thermo-Öl. Die Batterie lässt sich leicht mit Standardinstrumenten und -steuerungsanlagen regeln, so dass die thermische Batterie unkompliziert in die meisten industriellen Prozesse integriert werden kann.

Die Wärmeenergie wird in einem Hochleistungswärmebeton gespeichert. Die Wärmeträgerflüssigkeit fließt in eingegossenen Wärmetauscherrohren aus Stahl.

Foto: EnergyNest

VDI-Z: Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo die Technologie bereits eingesetzt wird?

Christopher Greiner: EnergyNest hat derzeit mehrere laufende Projekte. Die größten Fortschritte haben wir mit unserer Anlage für den weltgrößten Düngemittelhersteller Yara im norwegischen Porsgrunn gemacht. Hier wird die Technologie zur Energieeffizienz beitragen, indem sie bislang verschwendete Energie zurückgewinnt und wieder in das Dampfnetz einspeist. Diese Anlage wird gerade in Betrieb genommen. Dann haben wir eine im Bau befindliche Anlage in Belgien, in der die Batterie mit einer Solarthermie-Anlage zur Erzeugung von industrieller Prozesswärme integriert genutzt wird. In Deutschland haben wir bislang noch kein Projekt in der Umsetzung. Das wollen wir schleunigst ändern.

VDI-Z: Wie lautet ihr Appell an die Ingenieurinnen und Ingenieure des Landes?

Christopher Greiner: Schauen Sie sich an, aus welchen Energiequellen Ihre Anlagen heute Wärme produzieren. Schauen Sie, wo bei Ihnen in den Prozessen ungenutzte Abwärme durch den Schornstein geht. Dann nehmen Sie thermische Energiespeicher mit in Ihr nächstes Management-Meeting. Das ist ein Vorschlag, der die Dekarbonisierung, die Bezahlbarkeit von Energie und in diesen Tagen vor allem die Energiesicherheit, sprich die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern, als die drei wesentlichen Ziele der industriellen Energiewende miteinander vereint.

Herr Greiner, wir danken für das Gespräch.

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Von EnergyNest / Birgit Etmanski