Wie Technologie industrielle Arbeit in der Industrie 4.0 unterstützt
Die industrielle Produktion ist in zunehmendem Maße von der Digitalisierung geprägt. Doch wie wirkt sich das auf die Arbeitsplätze der Menschen aus? Sind die Bedenken der Mitarbeitenden berechtigt und wie können Führungskräfte dem entgegenwirken?
Im Rahmen der Industrie 4.0 bringen die Innovationen auch eine starke Transformation von Arbeitsplätzen und der Arbeitsorganisation mit sich. Die Arbeit wird dank moderner Technologien nicht nur unterstützt, sondern der Veränderungsdruck greift wesentlich weiter. So müssen Unternehmen Arbeitsprozesse und Führungsprinzipien „neu denken“.
Wie kann die Transformation menschenzentriert bewältigt werden?
Ganz maßgeblich dabei ist jedoch, diese Aspekte nicht nur punktuell, sondern mit einem schlüssigen Gesamtkonzept voranzutreiben – und vor allem auch die Mitarbeiter in die Veränderungen einzubinden. Die bloße Einführung von Robotern oder innovativen Kommunikationstools reicht nicht aus, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.
Dank der fortschreitenden Digitalisierung hat sich die Arbeitsweise der Menschen bereits stark transformiert – und dieser Veränderungsprozess wird sich weiterhin fortsetzen. Die Corona-Pandemie sowie ihre Auswirkungen tun dazu ihr Übriges. Parallel zur Digitalisierung stellen aber Globalisierung, demografischer Wandel und Veränderungen gesellschaftlicher und kultureller Wertvorstellungen die drei anderen wichtigen Transformationstreiber der heutigen Zeit dar: In zahlreichen Branchen und Industrien herrscht bereits heute ein starker Mangel an dringend benötigten Fachkräften – der demografische Wandel wird diese Entwicklung in Zukunft noch weiter verstärken. Gleichzeitig stellen die jungen Generationen neue Ansprüche an ihre Arbeitsweise: Sie erwarten vor allem ein Mehr an Flexibilität hinsichtlich der Wahl des Standortes und der Zeiteinteilung.
Vorteile der Digitalisierung für die Mitarbeitenden
Das Potenzial der Industrie 4.0 ist in dieser Lage enorm, denn sie kann zugleich die Globalisierung unterstützen und auch für den gesellschaftlichen Wandel Hilfestellungen geben. Wichtig bleibt indes, dass die Transformation umfassend geschieht: Arbeitsplätze gilt es mit neuen Technologien auszustatten, Prozesse im Unternehmen müssen neu ausgerichtet werden und es entsteht Bedarf an Informations- und Kommunikationstools, um örtlich und zeitlich verteilte Teams zusammenzubringen. Des Weiteren muss es letztlich auch einen Wechsel des Führungsstils im Unternehmen geben: Gefragt ist Agilität; alte Hierarchiestrukturen müssen der Vergangenheit angehören. Halten Unternehmen hingegen an der klassischen Arbeitsorganisation fest, können sie mit den modernen Entwicklungen auf dem Markt nicht mehr mithalten – denn sie schaffen es so nicht mehr, den Ansprüchen von Arbeitnehmern, Partnern und Kunden gerecht zu werden.
Führung 4.0 mit flachen Hierarchien und Vertrauenskultur
Industrie 4.0 bringt deshalb auch die Transformation zur „Führung 4.0“ hervor. Dies erfordert flache Hierarchien, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer selbstständiger arbeiten wollen und müssen; zudem sind Führungskräfte nicht mehr dazu in der Lage, jeden einzelnen Arbeitsschritt ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren. Zugleich ist der Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen essenziell, weil die Flexibilisierung der Arbeitsweise auch eine Vertrauenskultur etablieren muss: Vor allem Mitarbeitende in Bürojobs arbeiten nicht länger nach Stechuhr, sondern in zunehmendem Maße mobil. Am Ende des Tages muss die geforderte Leistung aber erbracht sein.
„Die Unternehmen müssen die Transformation jetzt vollziehen. Andernfalls verlieren sie Wettbewerbsvorteile und werden abgehängt.“
Wichtig ist deshalb eine klare Zielvorgabe. Für Führungskräfte ergibt sich daraus folgendes: Sie müssen ihren Mitarbeitenden eine Vision aufzeigen, sie inspirieren und motivieren, damit diese sich zwar frei, aber in die richtige Richtung bewegen. Ein regelmäßiger Austausch ist unabdingbar. Dieser Austausch muss beim mobilen und teilweise auch zeitversetzten Arbeiten nun systematisch erfolgen.
Unterstützung durch digitale Interaktion
Damit eine flexible und moderne Arbeitsweise gegeben sein kann, braucht es daher digitale Interaktionssysteme. Im Vorfeld muss aber ermittelt werden, welche Tools überhaupt sinnvoll sind – schließlich nützt es wenig, einfach irgendein System zu implementieren. Stattdessen müssen Interaktionssysteme vielmehr in die Prozesse im Unternehmen, in die Organisation der Arbeit und in ein Gesamtkonzept integriert werden.
Zu klären ist deshalb unter anderem, welche Zielvorgaben das System für die internen Teams und für die Zusammenarbeit mit Partnern, Lieferanten und Kunden erfüllen muss und was die Funktionspalette umfassen soll: Was möchten die Unternehmen für sich selbst nutzen, was müssen sie nutzen, weil Partner oder Lieferanten damit arbeiten? Welche Funktionen sind notwendig? Brauchen die Mitarbeiter ein Whiteboard-System wie Miro oder Padlet, ein Unternehmenswiki, ein Tool für Videokonferenzen? Was hat bei der Einführung Priorität?
Akzeptanz und Fähigkeit bei den Mitarbeitern schaffen
Wesentlicher Punkt im nächsten Schritt ist, die Mitarbeitenden abzuholen und zu befähigen. Denn akzeptieren diese die Transformation nicht oder kommen sie mit den neuen Arbeitsmitteln nicht zurecht, wird der Wandel kaum von Erfolg gekrönt sein. Jüngere Mitarbeitende sind digital affin und bedienen digitale Tools intuitiv. Ältere aber begegnen den Technologien oft mit „respektvoller Zurückhaltung“. Mitarbeiterschulungen sind daher elementarer Bestandteil der Transformation hin zur Industrie 4.0. E-Learnings können hier sicher unterstützen, allein sind sie als Lösung im Grunde aber nicht ausreichend. Denn Mitarbeitenden die Scheu vor digitalen Tools wiederum mit einem anderen digitalen Tool nehmen zu wollen, ist ebenso wenig zielführend. Eine Kombination aus Präsenzveranstaltungen, um zum Beispiel zu Beginn Barrieren abzubauen, und digitalen Methoden zum Selbstlernen ist deshalb weitaus effektiver.
Erfolg durch Blended Learning
Das „Blended Learning“ kann permanent – zur Weiterentwicklung oder zur Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen – im Produktionsbetrieb zum Einsatz kommen. Wichtig ist bei solchen digital unterstützten Lernmethoden, das erlernte Wissen praktisch umzusetzen. Hier bietet sich ein Coach oder Mentor an, der die Mitarbeitenden unterstützend begleitet. Nicht zu vernachlässigen ist auch der „Gamification-Faktor“: Macht E-Learning Spaß, steigen die Motivation und letztlich auch die Lernerfolge. Umfragen oder Quizze zum Beispiel lockern die Lernmethoden auf. Auch Gruppenarbeiten sind denkbar; ohnehin sollten E-Learning-Plattformen immer auch den Austausch zwischen Lernenden untereinander sowie zwischen Lernenden und Lehrenden ermöglichen, um Fragen beantworten zu können.
Zu klären sind vor der Einführung digitaler Interaktionssysteme noch die technischen Voraussetzungen am Arbeitsplatz sowie die Fragen nach Datenschutz und IT-Sicherheit. Wie ist das Netzwerk ausgestaltet, welche Bandbreite steht zur Verfügung? Ist beides auch beim mobilen Arbeiten ausreichend, um die Performance und Sicherheit des Systems zu gewährleisten?
Steht die digitale Infrastruktur schließlich bereit, lässt sich die Arbeitsweise deutlich effizienter gestalten – sowohl in der Bürosituation, als auch in der Fertigung. Mitarbeitende mit Büro-Aufgaben können flexibel und dennoch gemeinsam arbeiten, was die Arbeit gerade für global agierende Unternehmen vereinfacht und beispielsweise Reisezeit sowie -kosten einspart. In der Fertigung werden die Abläufe ebenfalls effizienter, erleichtert und beschleunigt: Den Mitarbeitenden können je nach Wissensstand unterschiedlich detaillierte Auftragsinformationen gegeben werden. „Neulinge“ brauchen eine Schritt-für-Schritt-Anleitung; Fachkräften, die seit Jahren dabei sind, reicht hingegen schon die Typenbezeichnung.
Kollaboration von Mensch und Maschine
Möglich ist im Industrie-4.0-Umfeld auch, dass der Arbeitsplatz Mitarbeiter identifiziert und die Höhe des Arbeitsplatzes, die Sprache der Anleitungen und die Detailtiefe individuell und automatisiert anpasst. Auch der Einsatz von Smart Glasses und Augmented Reality (AR) vereinfacht die manuelle Arbeit: Muss beispielsweise ein Teil aus der Maschine ausgebaut werden, zeigt die AR-Brille dem Mitarbeitenden an, welche Schraube er zuerst lösen muss. Laserbasierte Assistenzsysteme können den Mitarbeitern zeigen, wo das nächste Teil montiert werden muss, während kollaborative Roboter Dinge anreichen oder Präzisionsaufgaben gemeinsam mit den Mitarbeitern ausführen. Und Exoskelette unterstützen beim Heben und Tragen schwerer Lasten.
Früher standen die Roboter aus Arbeitsschutzgründen hinter Zäunen – in der Industrie 4.0 erkennen sie hingegen automatisch, wenn ein Mensch zu nahekommt und stoppen die Arbeit automatisch. Kollaboratives Arbeiten von Mensch und Technik ist in der Industrie 4.0 somit Gang und Gäbe. Der Begriff Internet of Things reicht deshalb nicht weit genug: Nicht nur Maschinen agieren miteinander, sondern Menschen und Maschinen arbeiten gemeinsam. Deshalb muss der Sammelbegriff in diesem Zusammenhang um die Dimensionen „Services“ und „Persons“ ergänzt werden.
Ziel erreicht: Leistungs- und Innovationsfähigkeit gesteigert
Der Wandel hin zur Industrie 4.0 mag aufwendig sein, lohnt sich für Unternehmen aber: Ihre Leistungs- und Innovationsfähigkeit steigt, sie arbeiten effizienter und performanter. Auch die Motivation der Mitarbeiter ist höher, weil vor allem die jüngeren Generationen diese neuen Arbeitsweisen verlangen. Wer seinen Fachkräften die Wünsche nach Flexibilisierung und Technologisierung erfüllt, bindet sie langfristig und gewinnt leichter neues qualifiziertes Personal hinzu.
Vor allem der Mittelstand kann aus der Transformation zur Industrie 4.0 schnell viele Vorteile ziehen. Denn dieser ist nicht so träge wie die Großindustrie. Ein Problem für die einzelnen Unternehmen ist allerdings, dass sich eben jedes mittelständische Unternehmen schnell anpassen kann. Deshalb muss deutlich gesagt werden: Die Unternehmen müssen die Transformation jetzt vollziehen. Andernfalls verlieren sie Wettbewerbsvorteile und werden abgehängt.
Fazit
Mit digitalen Interaktionsplattformen, Assistenzsystemen oder Robotern allein lässt sich die Transformation zur Industrie 4.0 nicht vollziehen. Vielmehr müssen Unternehmen ein Gesamtkonzept entwickeln, das auch die Organisation der Arbeit und die Führung neu aufstellt. Andernfalls leisten die Technologien keine ausreichende Unterstützung oder erschweren die Arbeit sogar. Unternehmen sollten die Transformation zwar gut durchdacht angehen, sich aber nicht mehr allzu viel Zeit mit ihr lassen. Andernfalls riskieren sie, den Anschluss an die Konkurrenz und den Markt zu verlieren.
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Dr. Jörg Pirron ist Geschäftsführer der Protema Unternehmensberatung GmbH in Stuttgart (www.protema.de), einem etablierten und weiter expandierenden Beratungsunternehmen. Seit über 25 Jahren ist die Gruppe weltweit aktiv und spezialisiert auf Strategie- und Prozessberatung für Industrieunternehmen sowie Fabrik-, Produktions- und Logistikplanung. Foto: Autor