Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0
Das Future Work Lab ist ein Innovationslabor für Arbeit, Mensch und Technik am Standort Stuttgart mit Fokus auf Künstlicher Intelligenz (KI) und vernetzter Arbeitsorganisation. Ein zentraler Bestandteil ist das Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0, das als Referenzmodell für das Themenfeld Produktionsarbeit 4.0 dienen soll. Ein entsprechendes Konzept wurde in einem interdisziplinären Projektteam entwickelt. In diesem Beitrag wird das Grobmodell vorgestellt und die weitere Forschungsagenda präsentiert.
1 Einleitung
Das Future Work Lab ist ein Innovationslabor für Arbeit, Mensch und Technik am Standort Stuttgart. Es fungiert als interaktives Schaufenster und Ideenzentrum für die zukunftsfähige und menschzentrierte Arbeitsgestaltung in Produktion und produktionsnahen Bereichen. Im Future Work Lab wird die Gestaltung der zukünftigen Industriearbeit am Standort Deutschland im engen Austausch mit den beteiligten Akteuren diskutiert, partizipativ vorangetrieben und erlebbar gemacht. Die Grundlage dafür bilden heute bereits pilothaft umgesetzte und umsetzungsnahe Digitalisierungs- und Automatisierungslösungen. [1, 2]
Das Future Work Lab ist in drei Laborbereiche unterteilt:
- Eine zentrale Demowelt mit „Arbeitswelt-4.0-Parcours“, die – durch erlebbare Exponate unterschiedlicher Ausprägungen der Digitalisierung und Automatisierung – für die Arbeitswelt der Zukunft sensibilisiert,
- die Lernwelt „Fit for Future Work“ zur Information, Qualifizierung und Diskussion der Entwicklungsrichtungen zukünftiger Arbeitswelten,
- die Ideenwelt für Arbeitsforschung „Work in Progress“, die als Think Tank einen geschützten Raum für die Konzeption und Entwicklung neuer, heute noch nicht oder schwer absehbarer Lösungen darstellt. [2]
Die aktuelle Forschungsphase des Future Work Labs beschäftigt sich mit den Fokusthemen KI und vernetzte Arbeitsorganisation. Hierdurch sollen verstärkt Zugänge für Unternehmen zu diesen Themen geschaffen werden, zum Beispiel durch den Aufbau neuer Demonstratoren, die Vernetzung bestehender Demonstratoren und den Aufbau neuer Lernformate. Begleitend soll ein Framework für Produktionsunternehmen entwickelt werden zur Beschreibung der Elemente und Zusammenhänge für eine KI-unterstützte Industriearbeit der Zukunft im Spannungsfeld der Dimensionen Mensch, Technik und Organisation. Die grundlegende Konzeption soll in diesem Beitrag erläutert werden.
2 Grundlagen
2.1 Frameworks
Frameworks (auch Ordnungswerke, Rahmenwerke) haben ihren Ursprung in der Informationstechnologie zur logischen Strukturierung von Informationssystemarchitekturen. [3] Frameworks haben Modellcharakter, verfolgen die Strukturierung eines komplexen Themenfeldes, bieten ein methodisches Vorgehen und sind mit einer Intention an eine Zielgruppe gerichtet. [4] Die Zielgruppenorientierung sieht unter anderem folgende Typen von Frameworks mit Bezug zur Gestaltung von Produktionssystemen vor:
- Managementframeworks sind eigenständige Rahmenwerke zur Unterstützung des Managements von Unternehmen mit Fokus auf Prämissen des Managements, zum Beispiel dem Informations-, Daten-, Ressourcenmanagement.
- Manufacturing-Specific Frameworks sind Rahmenwerke zur Unterstützung von Produktionsprozessen. [4]
Definiert ist ein Framework als Werkzeug, mit dem eine Vielzahl unterschiedlicher Architekturen entwickelt werden kann. Es beschreibt ein Verfahren zum Entwerfen eines Informationssystems in Form einer Reihe von Bausteinen und zur Darstellung, wie diese Bausteine zusammenpassen. Es enthält eine Auswahl von Werkzeugen und bietet ein allgemeines Vokabular. Es umfasst ebenfalls eine Liste empfohlener Standards und entsprechender Produkte, die zur Implementierung der Bausteine verwendet werden können. [5]
2.2 Prinzipien zur Gestaltung von Frameworks mit Produktionsbezug
Für die gute Praxis in der Gestaltung von Frameworks wurden [6] allgemeine Entwicklungsprinzipien mit Domänenbezug festgelegt. Diese Prinzipien sind notwendig für die angemessene Gestaltung technisch orientierter Managementframeworks im Bereich der Produktionssysteme und der digitalen Transformation, können aber auf andere Bereiche übertragen werden. Die Prinzipien sollen Anwender in einer ganzheitlichen, aber praxisnahen Art und Weise unterstützen. Tabelle
zeigt elf Entwicklungsprinzipien für die Frameworkgestaltung mit Produktionsbezug.
2.3 Ganzheitliches Produktionssystem
Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS, engl. Lean Production Systems) sind unternehmensspezifische, methodische Regelwerke zur umfassenden und durchgängigen Gestaltung der Unternehmensprozesse. [7] Sie bestehen in der Regel aus den Elementen Ziele, Unternehmensprozess, Gestaltungsprinzipien sowie Methoden und Werkzeugen. [7, 8] GPS gründen auf den Ansätzen des Toyota Produktionssystems [9] und der Lean Production [10], welche die Vermeidung von Verschwendung und kontinuierliche Verbesserungsprozesse zum Ziel haben.
Wichtige Forschungsfelder sind Einführungsprozesse von GPS [11, 12] und der Einfluss der digitalen Transformation auf ganzheitliche Produktionssysteme [13–15]. Der strukturierte Aufbau des ganzheitlichen Produktionssystems ermöglicht ein Framework, das eine systematische Anwendung der richtigen, zu den Unternehmenszielen passenden Methoden und Werkzeugen möglich macht. Somit erlaubt dieses Framework auch eine Durchgängigkeit auf das gesamte Unternehmen.
2.4 Human-Centered Design
Human-Centered Design (HCD) oder nutzerorientierte Gestaltung zielt gemäß [16] darauf ab, das Gleichgewicht aller Beteiligten in Bezug auf Bedürfnisse, Werte und Wahrnehmungen zu gewährleisten. [16] Das übergeordnete Ziel ist es, wünschenswerte, machbare und praktikable Lösungen zu entwickeln. [13] Der typische menschenzentrierte Designprozess besteht aus fünf Hauptphasen: Planung, Verständnis, Definition, Prototyping und Bewertung. Heute wird der Ansatz in einem breiten Spektrum angewendet, zum Beispiel bei der Anwendung von Managementframeworks. [17]
3 Konzept Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0
In diesem Kapitel wird das entwickelte Konzept für das Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0 vorgestellt. Im ersten Abschnitt wird das Themenfeld kognitive Produktionsarbeit 4.0 mit einer für die weitere Arbeit gültigen Begriffsdefinition abgegrenzt. Es folgt das Konzept und die Festlegung mehrerer Ziele für das Framework. Im letzten Abschnitt wird ein Einblick in das erste Grobmodell für das zu entwickelnde Framework gegeben.
3.1 Definition kognitive Produktionsarbeit 4.0
Produktionsarbeit beschreibt die Arbeit innerhalb produzierender Prozesse und wird sich durch den Einsatz von Industrie 4.0 stark wandeln: inhaltlich zeichnet sich durch die zunehmende Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik innerhalb der Arbeitsprozesse eine Verschiebung von ausführenden Tätigkeiten hin zu mehr steuernden und regulierenden Aufgaben ab. Gleichzeitig werden Flexibilitätsanforderungen bezüglich Inhalt, Zeit und Ort zunehmen. Kognitive Produktionsarbeit 4.0 beschreibt zusätzlich den Wandel der Produktionsarbeit von physischen Aufgaben hin zu mehr Tätigkeiten, die planerische und kreative Komponenten beinhalten und gleichzeitig diese kognitiven Fähigkeiten des Menschen durch die Nutzung von lernenden Systemen auf Basis der Industrie 4.0-Technologien in der Produktion unterstützen. Produktionsarbeit wird sich durch die Kollaboration mit künstlicher Intelligenz innerhalb der Arbeitsprozesse weiter stark verändern und in vielen Fällen dynamische Übergaben zwischen System und Mensch bedeuten. [18, 19]
Unternehmen stehen vor der Herausforderung sich im Gesamtunternehmen auf die Zukunft vorzubereiten: zunehmende Volatilität, Variantenreichtum, zunehmende Geschwindigkeit, neue Geschäftsmodelle, Nachhaltigkeit und Komplexität in Volkswirtschaften und globalen Handelsbeziehungen benötigen unternehmensstrukturelle Antworten über den Einsatz neuer Technologien hinweg. Unternehmen müssen auf allen Ebenen und über alle Bereiche hinweg Überlegungen zur Zukunftssicherung anstellen (Bild 1). Unternehmen müssen auf allen Ebenen bezüglich der Herausforderungen reagieren und gestalten. Hierzu soll das im Future Work Lab erarbeitete Framework dienen und die einzelnen Elemente sollen in unterschiedlicher Ausprägung erlebbar werden.
3.2 Konzeption und Ziele
Das Framework wurde in mehreren internen Workshops mit Wissenschaftlern verschiedener Fachdisziplinen konzipiert. Dabei wurden formale wie inhaltliche Anforderungen an das Framework definiert. Das Framework soll aus mehreren thematischen Teilbereichen bestehen und mehrere Schichten eines produzierenden Unternehmens abbilden können. Die Hauptziele des Frameworks kognitive Produktionsarbeit 4.0 lauten wie folgt:
- Strukturierung der Themenlandschaft im Future Work Lab
- Orientierungsrahmen für die Arbeitspakete Demo-, Lern- und Ideenwelt
- Ausgestaltete Szenarien für die Produktionsarbeit 4.0
- Konfigurationslogik für Use Cases und Themenfelder
- Assessmenttool für individuelle Produktionsumgebungen
- Referenzmodell für Methoden und Werkzeuge im Produktionssystem
Die Entwicklung soll unter Einbezug der Gliederung in die Bereiche Mensch, Technologie und Organisation nach [17, 20] geschehen. Um die Interdisziplinarität abzubilden, soll zudem das Human-Centered Design (siehe Kapitel 2.4) berücksichtigt werden. Nach der Erstellung eines Grobmodells sollen detaillierte Teilframeworks für die Bereiche Organisation und Technologie erarbeitet werden. Diese Teilframeworks sollen eng miteinander verknüpft sein und einer gemeinsamen Logik folgen.
3.3 Grobmodell
Basierend auf mehreren wissenschaftlichen Vorarbeiten im Future Work Lab [21–23] wurde eine Gesamtstruktur für das zu entwickelnde Framework erstellt. In mehreren Workshops konnten unter Berücksichtigung der in Kapitel 2.2 vorgestellten Gestaltungsprinzipien für Frameworks mit Produktionsbezug Themenfelder für die Bereiche Mensch, Technologie und Organisation definiert werden. Das Grobmodell mit den Themenbereichen für das Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0 ist in Bild 2 visuell dargestellt.
Aufbauend auf dem Grobmodell wurde die darunterliegende Ebene in allen drei Teilbereichen mit Anwendungsfällen aus der Produktionsarbeit 4.0 befüllt. In einem weiteren Arbeitsschritt sollen diese Anwendungsfälle mit Bezug zu den Aktivitäten im Future Work Lab operationalisiert und konkrete Szenarien für die Produktionsarbeit 4.0 abgeleitet werden.
4 Zusammenfassung und Ausblick
Im Future Work Lab wurde ein Konzept für das Framework kognitive Produktionsarbeit 4.0 auf Grundlage von strukturierten Gestaltungsprinzipien und unter Einbezug inhaltlicher Bestandteile wie dem ganzheitlichen Produktionssystem und dem Human-Centered Design entwickelt. Die Resultate sind eine Forschungsagenda für die kommenden Jahre mit sechs konkreten Zielen sowie ein Grobmodell des Frameworks mit den Themenbereichen Mensch, Technologie und Organisation.
Zukünftig wird das Grobmodell weiter ausdetailliert werden. Dies betrifft die Entwicklung von Teilframeworks in den Bereichen Technologie und Organisation sowie deren Zusammenführung zu einem komplexeren Gesamtmodell. Die Erweiterung um Anwendungsfälle aus dem Future Work Lab ermöglicht die Formulierung konkreter Szenarien für die kognitive Produktionsarbeit 4.0 um die Praxisrelevanz der Inhalte darzustellen. Produzierenden Unternehmen soll mit dem Framework ein zeitgerechtes und anwendungsnahes Tool zur Gestaltung strategischer wie operativer Elemente angeboten werden.
In einer gemeinsamen Forschungstätigkeit mit der Task Force “Work of the Future” des Massachusetts Institute of Technology (MIT) werden Bestandteile und Mechanismen im Produktionssystem der Zukunft vor dem Hintergrund der digitalen Transformation untersucht werden. Die Ergebnisse dieses Vorhabens versprechen einen erheblichen Erkenntnisgewinn für die zukünftige Gestaltung des Frameworks kognitive Produktionsarbeit 4.0.
Literatur
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