Die Rechnung kommt direkt von der Maschine
Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit digitale Geschäftsmodelle, die auf dem automatisierten Austausch von Daten basieren, wirtschaftlich und technisch umsetzbar sind? Diese Fragen haben Fraunhofer-Experten und Industriepartner im Großforschungsprojekt „X-Forge“ analysiert.
Wertschöpfungsketten folgen heute keinen starren Abläufen mehr. Sie sind vielmehr hochflexibel und ihre Akteure wechseln dynamisch. Solch ein komplexes Zusammenspiel anpassungsfähiger Wertschöpfungsnetzwerke erinnert an ein natürliches Ökosystem. Fachleute bezeichnen sie daher häufig als Digitales Ökosystem. Es wird durch den automatisierten Datenaustausch zwischen den Akteuren wirtschaftlich möglich. So entstehen neue datenbasierte Geschäftsmodelle, in denen Hersteller zu Dienstleistern werden. Zukünftig könnten alle Prozesse in einer Werkhalle als einzelne Services verstanden und angeboten werden: Everything as a Service (XaaS). Eine Maschine muss nicht mehr gekauft oder geleast werden – der Nutzer zahlt in einem „Pay-per-Use“-Modell.
Im Großforschungsprojekt X-Forge hat das Autorenteam einige dieser neuen Geschäftsmodelle untersucht und geklärt, welche Daten dafür erhoben und ausgetauscht werden müssen und wie dieser Datentransfer technisch umsetzbar ist.
In jedem der vier Initiativen des Großforschungsprojekts entwickeln unterschiedliche Partner digitale Services für den Maschinen- und Anlagenbau, betreiben sie wirtschaftlich und transferieren die Erkenntnisse in andere Branchen. Alle Services sollen möglichst auf Open Source Software basieren, damit sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht und in einer Community weiterentwickelt werden können.
Maschinenhersteller werden zu Dienstleistern
Neuartige Hightech-Maschinen können kleine Unternehmen oft nur mit großer Mühe neu anschaffen. Also pflegen sie lieber den bestehenden Maschinenpark, zögern Investitionen hinaus und geraten dann leicht ins Hintertreffen gegenüber dem Wettbewerb. Eine Lösung bietet hier das Pay-per-Use-Modell. Damit bleiben die Maschinen Eigentum des Herstellers und Schreinereien oder Möbelfabriken bezahlen monatlich für die Nutzung.
Wie ein solches, nutzungsbasiertes Geschäftsmodell ausgestaltet sein muss, damit es für Hersteller und Anwender gleichermaßen attraktiv ist, wird im Projekt „Wood Working as a Service“ (WOODaaS) untersucht. Die Projektbeteiligten fragen: Was genau wird am Monatsende abgerechnet und wie erfolgen Rechnungsstellung und Bezahlung? Dazu ist zu klären, ob die Daten, die die Sensoren bestehender Hobel- und Kehlmaschinen generieren, für das neue Geschäftsmodell ausreichen und welche Daten zusätzlich erhoben werden müssen. Am Ende werden Rechnungen, Bezahl- und Wartungsvorgänge automatisiert ausgelöst, Bild 1.
Eine Fabrikhalle – viele Services
Das Projekt „Smart Factory as a Service“ (FABaaS) geht noch einen Schritt weiter: Hier wird nicht der Betrieb einer einzelnen Maschine oder der Lebenszyklus eines bestimmten Produkts zu einem nutzungsbasierten Geschäftsmodell weiterentwickelt, sondern der gesamte Ende-zu-Ende-Prozess in einem produzierenden Unternehmen – von der Bestellung über die Fertigung bis zur Auslieferung und Bezahlung. Dass alles, was in einer Werkhalle geschieht, in einzelne buchbare Services externer Anbieter aufgeteilt wird, ist ein neuer Ansatz für die Produktion, der durch die Digitalisierung erst möglich wird, Bild 2.
Starke Kundenbindung, hohe Nutzermotivation und wiederkehrende Einnahmen
XaaS-Angebote sind nicht nur wegen ihrer kosteneffizienten Nutzung von Ressourcen und Services vorteilhaft. Vielmehr ermöglicht der XaaS-Ansatz auch einen hohen Grad an Flexibilität, fördert Innovationen und verschafft Zugang zu Fachwissen, während er den Herstellern erlaubt, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und agiler auf Marktbedürfnisse zu reagieren.
Für die Anbieter solcher Lösungen liegt der Mehrwert insbesondere in der Generierung regelmäßig wiederkehrender Einnahmen sowie einer starken Kundenbindung. Abhängig vom Marktumfeld ergeben sich auch Wettbewerbsvorteile durch Alleinstellungsmerkmale. Kern des Ansatzes ist die Fokussierung auf datenbasierte Lösungen und die Beziehung zwischen den handelnden Parteien. Die Verschiebung von Verantwortungsübergängen für bestimmte Wertschöpfungsaufgaben erzeugt eine hohe Motivation für Anbieter und Nutzer in jeder Phase des Produktlebenszyklus und wird somit zum Erfolgsfaktor für alle.
X-Forge hat 15 Dienste entwickelt
In den vergangenen zwei Jahren sind im Großprojekt X-Forge zahlreiche neue Methoden, Ansätze und Modelle zur Entwicklung und Implementierung von XaaS entstanden. Insgesamt wurden 15 XaaS-Dienste entwickelt. Neben dem oben vorgestellten nutzungsbasierten Geschäftsmodell Wood Working as a Service – WOODaaS sind das vier Softwarelösungen für die Smart Factory as a Service FABaaS, vier Softwarelösungen für Productivity as a Service PRODaaS und sechs Softwarelösungen für Product Life Cycle Enrichment as a Service PLCEaas.
Aufgrund der geringen Einstiegshürde der XaaS-Dienste, die insbesondere für KMU sehr relevant ist, konnte so die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden am Wirtschaftsstandort erheblich gesteigert werden.
Auf den Projektergebnissen soll nun, gemeinsam mit anderen Forschungsprojekten, im Rahmen von Manufacturing-X aufgebaut werden. Das Großprojekt strebt die Kommerzialisierung und Skalierung der Services im GAIA-X Framework an, der Weg zur Skalierung wird schon beschritten.
Mehr über das Forschungsprojekt X-Forge findet sich unter www.ipa.fraunhofer.de/X-Forge
Lukas Rauh, M. Sc.
Dipl. Betr.-Wirt. Oliver Schöllhammer, MBE (Univ.)
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Tel. +49 711 970-1749
lukas.rauh@ipa.fraunhofer.de
Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl
Institut für Industrielle Fertigung
+ Fabrikbetrieb IFF, Universität Stuttgart
+ Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Tel. +40 711 970-1101
thomas.bauernhansl@iff.uni-stuttgart.de