Industrie-4.0-Middleware geht in die Anwendung
In dem Forschungsprojekt „Basissystem für die unternehmensübergreifende Produktionsunterstützung“ (kurz: BaSys überProd) arbeiten 21 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft an Lösungen für den Wandel hin zur digitalisierten, flexiblen Industrie-4.0-Produktion. Dabei kommt vor allem die Open-Source-Middleware Eclipse BaSyx zum Einsatz. Das Ziel: Repräsentative Anwendungsfälle in Wirtschaftsunternehmen umsetzen und das Wiederverwendungspotenzial der Lösungen für andere Kontexte herausarbeiten.
Ausgabe 6-2021, S. 446
1 Einleitung
Industrie-4.0-Anwendungen flächendeckend in der Wirtschaft zu etablieren, darum geht es im Forschungsprojekt „Basissystem für die unternehmensübergreifende Produktionsunterstützung“ (kurz: BaSys überProd, Bild 1).
Mit der Förderung von BaSys überProd setzt sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit Beginn dieses Jahres gezielt dafür ein, wiederverwendbare Lösungen für den Wandel hin zur digitalisierten, flexiblen Industrie-4.0-Produktion zu schaffen. Das Forschungsprojekt unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern ist auf eine Laufzeit von zwei Jahren ausgelegt und knüpft an die erfolgreichen Ergebnisse der beiden vorangegangenen Förderprojekte BaSys 4.0 und BaSys 4.2 an – und entwickelt diese weiter. Durch den Einsatz der dort entwickelten Industrie-4.0-Middleware Eclipse BaSyx in konkreten wirtschaftlichen Anwendungsbereichen sollen neue Lösungen für die unternehmensübergreifende Produktion entstehen, die allen interessierten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.
Neben dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE gehören dem Forschungsprojekt „BaSys überProd“ insgesamt noch 20 weitere Partner aus Wirtschaft und Forschung an. Für einen möglichst umfangreichen Einblick in die verschiedensten Industriedomänen wurden die kooperierenden Unternehmen gezielt aus wirtschaftsrelevanten Branchen ausgewählt. Diese reichen von Firmen aus der Automotive-Branche über solche aus der Pharmaindustrie bis hin zu Software-Unternehmen.
2 Open-Source-Middleware BaSyx als Enabler der wandelbaren Produktion
Pünktlich zum Projektstart markiert das 1.0 Release der Eclipse BaSyx Middleware einen wichtigen Meilenstein für die Umsetzbarkeit von Industrie 4.0. Durch die als Open Source zur Verfügung gestellten Software Development Kits kann direkt in die Welt der Verwaltungsschalen eingetaucht werden. Off-the-Shelf-Komponenten als Container ermöglichen ein einfaches Aufsetzen von Digitale-Zwillinge-Umgebungen ohne Programmiererfahrung – und das standardkonform.
Prof. Dr. Peter Liggesmeyer, Leiter des Fraunhofer IESE, erläutert, welche Vorteile sich daraus für die Industrie ergeben: „BaSyx setzt auf Standards wie die Verwaltungsschale, die heute schon die Grundlage zahlreicher industrieller Anwendungen ist. Das Forschungsprojekt BaSys überProd wird die Umsetzung flexibler unternehmensübergreifender Lieferketten, die effiziente Produktion kleiner Losgrößen und revolutionäre datengetriebene Geschäftsmodelle in zahlreichen industriellen Anwendungskontexten unterstützen. Daraus entstehende digitale Schnittstellen und Modelle werden wir über unsere Eclipse-Referenzimplementierung BaSyx frei zugänglich bereitstellen und damit die vierte industrielle Revolution entscheidend vorantreiben.“
3 Industrie-4.0-Anwender im Fokus von BaSys überProd
Im Rahmen des Projekts werden industrielle Anwendungsfälle exemplarisch umgesetzt. Die Projektpartner entwickeln und erweitern branchentypische Komponenten der bestehenden Eclipse BaSyx Middleware. Dadurch entstehen branchenspezifische, wiederverwendbare Lösungskonzepte sowie konkrete Softwarekomponenten.
So plant beispielsweise die ZF Friedrichshafen AG als Projektpartner, eine ihrer Vormontagelinien mit der Eclipse BaSyx Middleware auszustatten. Der Automobilzulieferer generiert somit in dem Projekt wertvolle Informationen hinsichtlich Industrieanforderungen und Praxistauglichkeit der Industrie-4.0-Anwendungen.
Ein anderer Projektpartner stammt aus der Pharmabranche. Die Sartorius Lab Instruments GmbH & Co. KG mit Sitz in Göttingen unterstützt in BaSys überProd insbesondere die Entwicklung einer flexiblen Analyseanwendung. Bei der Fertigung kleiner Stückzahlen entstehen große Herausforderungen, wenn kundenspezifische Analysen gefordert sind. Mittels der Verwaltungsschale steht in Eclipse BaSyx eine einheitliche Schnittstelle bereit, die Produktdaten, Prozessdaten und auch das ERP-System integrieren kann. Im Rahmen von BaSys überProd wird nun ein anpassbares Analysewerkzeug entwickelt, mit dem bestehende Analyseverfahren kombiniert und neue Datenanalysen zeitnah realisiert werden können.
Darüber hinaus ist Sartorius Lab Instruments in dem Projekt an der Umsetzung eines digitalen Wertstrommodells beteiligt. In der heutigen Produktion sind Fertigungsschritte oftmals automatisiert, jedoch existiert nicht immer ein explizites Prozessmodell, das den Wertstrom in einer Produktion beschreibt. In BaSys überProd soll ein Fertigungsprozess mit einem digitalen Wertstrommodell versehen werden, das nicht nur die Parametrierung der Fertigung ermöglicht, sondern auch bestehendes Domänenwissen explizit beschreibt.
Auch kleine und mittlere Unternehmen gehören zum Forschungskonsortium. Die Levicron GmbH aus Kaiserslautern entwickelt und produziert hochpräzise Spindelsysteme. Das mittelständische Unternehmen beteiligt sich in BaSys überProd an der sensorbasierten Optimierung der Produktion. Dazu unterstützt Levicron bei der Entwicklung einer Software zur intelligenten Sensorauswertung sowie der Konzeption virtueller Sensorsysteme. Seine spezialisierten Prüfstände eignen sich zum einen aufgrund ihrer Genauigkeit für die Virtualisierung verschiedener Arten von Sensoren, zum anderen können sie die Evaluation der virtuellen Sensoren mittels physikalischer Messungen durchführen. (Bild 2)
4 Zum Hintergrund der BaSys- Forschungsreihe
Dem aktuellen Forschungsvorhaben BaSys überProd gingen mehrere – zum Teil abgeschlossene – Projekte voran, darunter die Kernprojekte BaSys 4.0 und BaSys 4.2 sowie zahlreiche Satelliten, die sich auf spezifische Anwendungskontexte fokussieren. Erstgenanntes war im Juli 2016 gestartet und nach drei Jahren Laufzeit abgeschlossen; letzteres befindet sich derzeit noch in der Anwendung.
Was es mit den beiden Projekten auf sich hat? Während in der physischen Maschinenwelt einheitliche Standards und Normen längst zum Alltag gehören, ist die digitale Welt noch weit von solchen Grundsätzen entfernt. Produktionsdaten werden von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich strukturiert und sind somit nicht miteinander kompatibel.
Dieser Problematik hatte sich das Fraunhofer IESE gemeinsam mit 14 anderen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft angenommen und im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts BaSys 4.0 die Open-Source-Middleware Eclipse BaSyx entwickelt. Die Basistechnologie erlaubt es Firmen, mithilfe des Einsatzes der Verwaltungsschale alle erforderlichen Dienste der Fertigung bereitzustellen und miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise können Produktionsschritte noch vor ihrer Durchführung virtuell erprobt werden, um so mögliche Fehlerquellen frühzeitig auszumerzen. Daneben lässt sich die Produktion gezielt optimieren, genauere Prognosemöglichkeiten können abgegeben werden und die Fertigung kann permanent überwacht und kontrolliert werden.
Aufbauend auf diesem Erfolg schloss das Bundesministerium für Bildung und Forschung unmittelbar nach Abschluss des Projekts BaSys 4.0 im Sommer 2019 das Vorhaben BaSys 4.2 an. Dieses umfasst die übergreifende Modellierung und Optimierung der Fertigung – von Prozessen über Geräte bis hin zu Produkten. Ein Fokus liegt dabei auf der Entwicklung von Teilmodellen, die als digitale Modelle die Produktion definieren.
Mit BaSys überProd wird die Projektreihe fortgesetzt. Damit insbesondere auch kleinere und mittlere Unternehmen von den Erkenntnissen des Forschungsvorhabens profitieren können, sollen die entwickelten Lösungen interessierten Firmen als wiederverwendbare Container zur Verfügung gestellt werden. Die Containerdienste können von Nutzern auf Edge-Geräten installiert werden, sodass diese mit geringem Aufwand auf vorkonfigurierte BaSys-4-Dienste zugreifen können. Der Vorteil: KMU müssen lediglich die entsprechenden Edge-Geräte installieren und im Rahmen des Onboardings ihre Datenmodelle auf die BaSys-Modelle abbilden. Ein Edge-Gerät generiert Daten, verarbeitet sie selbst oder leitet sie weiter, beispielsweise an Sensoren oder Smartphones. Die Softwaredienste werden den Firmen über die gesamte Projektlaufzeit zur Verfügung gestellt. Daneben erhalten auch dritte Parteien die Möglichkeit, eigene Dienste zu ergänzen.
5 Ausblick
Nach Abschluss von BaSys überProd ist vorgesehen, sämtliche Erweiterungen der BaSyx-Middleware im Rahmen der Open-Source-Plattform Eclipse BaSyx unter der sogenannten Eclipse Public License 2 frei zur Verfügung zu stellen. Entsprechend können langfristig auch solche Unternehmen und Forschungseinrichtungen von den Projektergebnissen profitieren, die aktuell gar nicht in dem Projekt involviert sind.
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