Forschende präsentieren Elastokalorik auf der Hannover Messe
Die neue Elastokalorik-Technologie ermöglicht effizientes und umweltfreundliches Heizen und Kühlen ohne klimaschädliche Kältemittel oder fossile Brennstoffe. Auf der Hannover Messe 2025 präsentieren die Forschenden der Universität des Saarlandes erstmals einen Mini-Kühlschrank-Prototypen.

Von der Theorie zur Praxis: Die Saarbrücker Forscher und Forscherinnen werden Elastokalorik auf der Hannover Messe demonstrieren.
Foto: Oliver Dietze
Eine neue Klimatechnologie kann effizienter und umweltfreundlicher heizen und kühlen als herkömmliche Methoden. Die sogenannte Elastokalorik kommt ohne die klimaschädlichen Kältemittel Öl oder Gas aus. Stattdessen nutzen dünne Nickel-Titan-Drähte und -Bleche Wärme, indem sie verformt werden. Ein Forschungsteam der Universität des Saarlandes unter der Leitung von Stefan Seelecke und Paul Motzki arbeitet an Prototypen, auch für den Einsatz in Fahrzeugen. In etwa fünf Jahren soll die Technologie marktreif sein. Auf der Hannover Messe (31. März bis 4. April, Halle 2, Stand B10) stellt das Team den ersten Kühlschrank-Prototyp vor.
Nickel-Titan-Drähte oder -Bleche im Einsatz
Kälte ist nichts anderes als fehlende Wärme. Beim Kühlen wird Wärme entzogen, beim Heizen hinzugefügt. Saarbrücker Forschende nutzen dafür eine clevere Methode: Sie setzen hauchdünne Nickel-Titan-Drähte oder -Bleche ein, die durch Ziehen und Entlasten Wärme aufnehmen und an anderer Stelle wieder abgeben. Darüber haben wir bereits ausführlich berichtet.
Dieses einfache Prinzip dient als Grundlage für eine neuartige Klimatechnologie, die das Team um Stefan Seelecke und Paul Motzki an der Universität des Saarlandes und am Zema (Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik) in großen Forschungsprojekten entwickelt.
Die EU-Kommission sieht die Elastokalorik als vielversprechendste Alternative zu bisherigen Heiz- und Kühlsystemen. Das Weltwirtschaftsforum zählte sie 2024 zu den „Top Ten Emerging Technologies“. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren, die viel Energie verbrauchen und die Umwelt mit Treibhausgasen und Kältemitteln belasten, ist diese Methode energieeffizient und umweltfreundlich – so sauber wie der Strom, der sie antreibt. Sie kommt ohne schädliche Kältemittel und fossile Brennstoffe aus. Die Technologie, an der Stefan Seelecke und Paul Motzki maßgeblich mitwirken, könnte weltweit helfen, den Energieverbrauch zu senken. In Deutschland macht die Wärme- und Kälteerzeugung laut Umweltbundesamt etwa die Hälfte des gesamten Endenergieverbrauchs aus. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) fließen aktuell allein 12 % des weltweiten Energiebedarfs in die Raumkühlung.
„Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Zahl bis 2050 verdreifachen könnte“, wird Zema-Geschäftsführer Paul Motzki, Professor für smarte Materialsysteme für innovative Produktion der Universität des Saarlandes, in einer Pressemitteilung zitiert.
Die Technologie soll so schnell wie möglich in der Praxis implementiert werden
Das Forschungsteam arbeitet daran, die Technologie schnell in die Praxis zu bringen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, investiert der Bund über neun Jahre mehr als 17 Mio. € in das Projekt DEPART!Saar. Dabei kooperieren die Forschenden mit Wissenschaftseinrichtungen und Industriepartnern.
Zusammen mit Volkswagen, dem Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik (IPM) in Freiburg und der Bochumer Firma Ingpuls arbeitet das Ingenieurteam an einem neuen Projekt. Ziel ist es, die Technologie so weiterzuentwickeln, dass sie in Zukunft energieeffiziente und leichte Klimaanlagen für Elektroautos betreiben oder deren Batterien kühlen kann. „In dem mit 3,5 Mio. € vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt entstehen derzeit die ersten Prototypen“, sagt Paul Motzki.
Kühlanlage und Wärmepumpe gleichzeitig
In einem weiteren Projekt entwickelt das Forschungsteam eine elastokalorische Klimaanlage, die Wohnräume dezentral über Lüftungsschlitze in den Außenwänden heizen und kühlen soll. 2024 gewann Paul Motzki mit seinem Team und einem europäischen Konsortium die renommierte „EIC Pathfinder Challenge“ des Europäischen Innovationsrates – ein Förderprogramm für bahnbrechende Technologien. Dafür erhält das Projekt „SMACool“ 4 Mio. €. In den nächsten drei Jahren soll ein erster Prototyp entstehen. Beteiligt sind die Universitäten Ljubljana und Neapel (Federico II) sowie das irische Unternehmen Exergyn.
Paul Motzki, der das Gesamtprojekt leitet, erklärte, dass die Elastokalorik gleichzeitig als Kühlanlage und Wärmepumpe funktioniere. Ihr Wirkungsgrad liege derzeit beim Drei- bis Fünffachen im Vergleich zu heutigen Anlagen, sodass sie deutlich weniger Strom verbrauchen werde.
Temperaturdifferenzen von etwa 20 °C erreicht
Das Forschungsteam hat bereits Temperaturdifferenzen von etwa 20 °C sowohl beim Kühlen als auch beim Heizen erreicht. Paul Motzki erklärte, dass dies für einstufige Bauelemente gelte, aber durch mehrstufigen Aufbau noch größere Temperaturspannen möglich seien.
Die Basis der Prototypen ist eine besondere Eigenschaft der Nickel-Titan-Legierung: ihr „Formgedächtnis“. Dieses Metall besitzt zwei feste Kristallgitterstrukturen, die ineinander übergehen und sich „merken“, in welchem Zustand sie zuvor waren – ähnlich wie Wasser verschiedene Phasen hat (Eis, flüssig, gasförmig), nur dass bei Nickel-Titan beide Phasen fest bleiben. Wenn sich die Struktur verändert, nehmen die Drähte oder Bleche Wärme auf oder geben sie wieder ab. Strömt Luft daran vorbei, kann so Wärme entzogen oder zugeführt werden, um Räume zu kühlen oder zu heizen.
„Je nach Anwendung verwenden wir Drähte, dünne Bleche oder mittlerweile sogar 3D-gedruckte komplexere Geometrien aus Nickel-Titan“, sagt Motzki.
Intelligente Mechanik für bessere Kühlung und Heizung
Die Umsetzung der Idee in praxistaugliche Heiz- und Kühlsysteme ist eine Herausforderung – genau das ist die Spezialität der Saarbrücker Experten für smarte Materialsysteme. Sie entwickeln Prototypen mit intelligenter Mechanik, die in Kreislaufsystemen funktionieren. Dabei erforschen sie, wie Antriebe Bleche oder Drähte dauerhaft in Bewegung halten, um Luft, Wasser oder Kühlflüssigkeiten daran vorbeizuleiten.
Ihr Ziel ist es, den besten Kühl- und Heizeffekt zu erzielen. Dafür untersuchen sie den optimalen Luft- und Flüssigkeitsstrom, die ideale Form der Bleche und die besten Drahtbündel. Sie berechnen, wie stark die Materialien belastet und entlastet werden müssen, um die gewünschte Leistung zu erreichen. Zudem haben sie eine Software entwickelt, mit der sich Heiz- und Kühlsysteme für verschiedene Anwendungen anpassen, simulieren und planen lassen. „Wir wollen das Innovationspotenzial der Elastokalorik in die verschiedensten Anwendungsgebieten einbringen, etwa auch in die Industriekühlung oder bei Haushaltsgeräten“, sagt Paul Motzki.
In dem ersten Elastokalorik-Kühlschrank sorgt ein patentierter Nockenantrieb dafür, dass Bündel aus 200 μm dünnen Nickel-Titan-Drähten ständig um eine runde Kühlkammer rotieren. Während sie sich drehen, werden sie auf einer Seite belastet und auf der anderen entlastet. Luft strömt an den rotierenden Drähten vorbei, und wenn diese entlastet sind, entziehen sie der Luft Wärme. Die Drähte transportieren die Wärme aus der Kühlkammer, und draußen geben sie sie ab. Paul Motzki erklärte, dass in der Kühlkammer die Luft nur um die entlasteten Drähte zirkuliere, was dazu führe, dass dieser Prototyp eine Temperatur von etwa 15 °C erreiche.
Vorführungen an jedem Messetag
Die neue Technologie ist das Ergebnis von über 15 Jahren Forschung in mehreren Millionenprojekten und international ausgezeichneten Doktorarbeiten. Zu den Ergebnissen gehören der weltweit erste Kühl- und Heizdemonstrator sowie der erste Mini-Kühlschrank mit dieser Technologie.
Auf der diesjährigen Hannover Messe zeigen die Forscher anhand dieses Prototyps, wie Elastokalorik funktioniert. An jedem Messetag gibt es Vorführungen um 10:30 Uhr, 13:30 Uhr und 16:30 Uhr.
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