Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz: Die unsichtbare Hürde im Berufsleben
Mehr als ein Viertel der berufstätigen Personen über 50 hat bereits Altersdiskriminierung erlebt, hauptsächlich von ihren Vorgesetzten. Doch was genau bedeutet es, im Beruf wegen des Alters diskriminiert zu werden?
Aber eigentlich steht die Redensart vom „alten, weißen Mann“ als Symbol für Macht und Stärke. Allerdings ist es angesichts längerer Lebensarbeitszeiten wichtig, die Realität differenzierter zu betrachten. Im Beruf kann das Alter zu einem Nachteil werden: Führungskräfte zweifeln an den Fähigkeiten, ältere Arbeitnehmer gelten als resistent gegenüber Veränderungen und als weniger belastbar. Untersuchungen zeigen, dass ältere Menschen seltener Jobangebote erhalten.
Derzeit sind die geburtenstarken älteren Jahrgänge noch die Hauptleistungsträger auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch richten Unternehmen häufig ihr Augenmerk auf die Bedürfnisse der jüngeren Generationen, die gerade ins Berufsleben eintreten. Über die Generationen, die derzeit auf den Arbeitsmarkt sind, haben wir ausführlich berichtet.
Hinzu kommt, dass etwa ein Drittel der Arbeitnehmer über 50 Jahre Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz erlebt hat. Dies ergab eine Umfrage, die von Appinio im Auftrag des Jobs-Netzwerks XING anlässlich des Deutschen Diversity Tages am 28. Mai unter 1.000 Teilnehmern ab 50 Jahren (Durchschnittsalter 65,2 Jahre) zum Thema Altersdiskriminierung durchgeführt wurde.
Ageism kann in beide Richtungen gehen
Es gibt sogar einen Begriff dafür: Ageism bezeichnet die Diskriminierung oder Vorurteile gegenüber Personen aufgrund ihres Alters. Es umfasst negative Stereotypen, Vorurteile und Behandlungen, die aufgrund des Alters einer Person stattfinden, sei es im Arbeitsplatz, in der Gesellschaft oder anderen Lebensbereichen.
Allerdings kann Altersdiskriminierung in beide Richtungen gehen. Sowohl junge als auch ältere Menschen sind betroffen: Jüngere Arbeitnehmer können mit Vorurteilen konfrontiert sein, dass sie „zu unerfahren“ für ihre Fähigkeiten sind, während älteren Arbeitnehmern oft ihre Lern- und Leistungsfähigkeit abgesprochen wird.
So viele Arbeitnehmende wurden bereits aufgrund ihres Alters im Beruf diskriminiert
Insgesamt hat bereits mehr als jeder Vierte (28 %) in Deutschland erlebt, im Berufsleben aufgrund seines Alters diskriminiert oder benachteiligt worden zu sein. Bei den 50- bis 67-Jährigen, die in der Regel noch berufstätig sind, steigt dieser Anteil sogar auf 34 %. Etwa jeder Fünfte (18 %), der altersbedingt diskriminiert wurde, empfand diese Benachteiligung als sehr groß, und jeder Zweite (51 %) als eher groß. Die meisten Betroffenen (52 %) erlebten eine Kombination aus emotionaler und struktureller Diskriminierung.
Solche Erfahrungen mit Altersdiskriminierung lassen sich auch auf kununu nachlesen, wo Arbeitnehmer anonym ihre Arbeitgeber und Arbeitsverhältnisse bewerten können, falls es der Fall ist.
Was ist Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz?
Rund jeder Fünfte (22 %) derjenigen, die aufgrund ihres Alters schon einmal benachteiligt wurden, hat strukturelle Diskriminierung durch altersbegrenzende Regeln, Vorschriften oder Kriterien erfahren. Strukturelle Diskriminierung bezeichnet eine Form der Diskriminierung, die nicht durch individuelles Verhalten, sondern durch institutionelle Praktiken, Regeln oder Vorschriften hervorgerufen wird. Diese Diskriminierung ist in die Strukturen von Organisationen, Gesellschaften oder Systemen eingebettet und führt zu systematischen Benachteiligungen bestimmter Gruppen.
Diskriminierung am Arbeitsplatz zeigt sich oft nicht direkt. Häufig sind es subtile, kaum wahrnehmbare und oft unbewusste Handlungen von Kollegen und Führungskräften, die ältere Mitarbeiter benachteiligen und verletzen.
Ein Beispiel: Allein schon die Annahme, dass ältere Kollegen mehr Unterstützung oder längere Pausen brauchen, führt oft zu übertriebener Fürsorge und Bevormundung. Das kann ältere Mitarbeiter verunsichern und die Kollegen glauben lassen, dass Ältere mehr Probleme machen. Das verursacht Stress und Spannungen im Team.
Arbeitnehmende berichten insbesondere, dass ihnen Aufgaben zugeteilt wurden, die unter ihrem Qualifikationsniveau lagen (42 %). Besonders betroffen sind hier Frauen mit 47 % im Vergleich zu 38 % der Männer. Durchschnittlich fast ebenso viele geben an, dass ihr Aufgabenbereich eingeschränkt wurde (41 %), wobei Männer stärker betroffen sind (Männer: 47 %, Frauen: 35 %). Jeder Dritte (31 %) erhielt zudem keine Angebote für Fort- oder Weiterbildungen mehr, und jeder Vierte (26 %) wurde bei Beförderungen übergangen. Emotionale Diskriminierung in Form von sozialer Ausgrenzung oder persönlichen Beleidigungen hat fast jeder Fünfte (18 %) der altersbedingt Stigmatisierten erlebt.
In deutlich über der Hälfte der Fälle (57 %) ging diese Diskriminierung von der Führungskraft aus, während bei etwa einem Drittel (34 %) Kollegen auf derselben Hierarchiestufe verantwortlich waren.
Über Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt noch viel zu wenig gesprochen
„In einem Land, in dem viele Unternehmen Diversity-Richtlinien zu Religion, Geschlecht oder Herkunft haben, wird über Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt noch viel zu wenig gesprochen – und vor allem wird zu wenig dagegen vorgegangen“, kommentiert Thomas Kindler, Managing Director von XING die Ergebnisse der Untersuchung. „Dass in der Mehrheit der Fälle die Führungskraft diejenige ist, von der die Diskriminierung ausging, ist alarmierend. Statt bewährte Arbeitskräfte zu unterstützen und ihre Erfahrung wertzuschätzen, werden Menschen schrittweise auf das berufliche Abstellgleis geschoben.“
Überraschenderweise hat mehr als die Hälfte (54 %) der Betroffenen angesichts dieser Diskriminierung nichts unternommen. Lediglich 20 % haben sich intern beim Arbeitgeber beschwert, und 19 % haben infolgedessen das Unternehmen gewechselt.
Thomas Kindler sagt, dass Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels sich weniger denn je leisten können, ältere Arbeitnehmer auszugrenzen. Er betont, dass Arbeitgeber daher gut beraten sind, das Potenzial an Wissens- und Perspektivvielfalt zu nutzen und vor allem die Zusammenarbeit verschiedener Altersgruppen aktiv zu fördern. „Denn generationenübergreifende Teams sind ein echter Gewinn für jede Unternehmenskultur. Dafür müssen Brücken gebaut statt Gräben gezogen werden. Erfolg entsteht nur durch ein Miteinander und nicht durch ein Gegeneinander.“
Benachteiligungen bei Bewerbungsprozessen
Laut Thomas Kindler hat rund ein Drittel der Befragten aufgrund ihres Alters auch Benachteiligungen bei Bewerbungsprozessen erlebt. In der Altersgruppe der 50- bis 67-Jährigen steigt dieser Anteil sogar auf 35 %. Er betont, dass es an den Unternehmen liegt, Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern abzubauen und Recruiting- und Bewerbungsprozesse zu überdenken. „Denn sie können nicht nur von dem Erfahrungsschatz und der emotionalen Intelligenz erfahrener Silver Worker profitieren, sondern es sich gerade in Branchen wie dem Gesundheitswesen oder bei Transport und Logistik – die besonders stark von der Arbeitskraft der älteren Generationen abhängen – nicht leisten, diese wertvolle Ressource nicht zu nutzen.“
Die XING Diversity Studie 2024 wurde im März 2024 durchgeführt, wobei Appinio insgesamt 1.000 Personen ab 50 Jahren (mit einem Durchschnittsalter von 65,2 Jahren) in Deutschland im Rahmen einer repräsentativen Online-Umfrage befragte.
Potenzial der älteren Arbeitnehmenden besser nutzen
Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg erklärte gegenüber der dpa, dass das Wort „Diskriminierung“ zwar erst einmal nur „Unterscheidung“ bedeute. Er betonte jedoch, dass in der deutschen Sprache die Verwendung des Begriffs auf eine ungerechtfertigte Benachteiligung aufgrund eines Merkmals hindeutet, das eigentlich keine Rolle spielen sollte. Er fügte hinzu, dass ein solches Merkmal auch das Alter sein könne.
Mit Blick auf den Fachkräftemangel betrachtet Weber die Situation älterer Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich positiv. Er stellt fest, dass Fachkräfte heutzutage so knapp seien wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr. Dies bedeute, dass zunehmend mehr Potenziale genutzt würden, die früher ungenutzt blieben oder möglicherweise sogar absichtlich zurückgestellt wurden.
„Denken wir an die Frühverrentungspolitik der 90er zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Das ist wirklich vorbei. Da hat sich schon etwas getan“, kommentierte der Wissenschaftler.
Wertvolle Erfahrung und Expertise
Bereits vor einem Jahr hat XING eine vergleichbare Studie veröffentlicht. In dieser wurde aufgezeigt, dass Arbeitgeber Gefahr laufen, im Wettbewerb um junge Talente ihre erfahrensten Mitarbeiter aus den Augen zu verlieren.
Die erfahrenen Mitarbeiter bringen wertvolle Erfahrung und Expertise in die Arbeitswelt ein. Durch ihre langjährige Berufstätigkeit verfügen sie über ein umfangreiches Wissen, das bei der Lösung komplexer Probleme und der Bewältigung von Herausforderungen von großem Nutzen ist. Darüber hinaus besitzen sie in der Regel ein tiefes Verständnis für die Branche und können auf bewährte Praktiken zurückgreifen.
„Anstelle Silver Ager zu motivieren, weiter im Arbeitsprozess zu bleiben, weil bei Weitem nicht alle mit dem ‚Abschieben aufs Altengleis‘ zufrieden sind, hofft die Führungsebene noch auf zu viele Wunder, die sich aber nicht einstellen werden. Silver Ager sind äußerst wertvolle Mitarbeiter, die meist loyal, zwar kritisch, aber fair dann dem Unternehmen zur Verfügung stehen, wenn sie pfleglich und korrekt behandelt werden“, sagte Motivationscoach Georg-Wilhelm Moeller in einem INGENIEUR.DE-Interview.
Nach wie vor sehr ehrgeizig im Berufsleben
Eine weitere Studie zeigt, dass diese Generation äußerst motiviert ist. Gemäß der Arbeitsmarktstudie „Karriere 50 plus“ der KÖNIGSTEINER GRUPPE aus dem Jahr 2023 sind Mitarbeiter im Alter von 50 bis 65 Jahren nach wie vor sehr ehrgeizig im Berufsleben. Die Studie, die 2.974 Personen umfasste, ergab überraschenderweise, dass 40,3 % der Befragten in Erwägung ziehen, im Jahr 2023 oder 2024 den Job zu wechseln.
Warum gibt es Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz?
Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz kann aus verschiedenen Gründen auftreten:
- Vorurteile und Stereotypen: Manche Arbeitgeber und Kollegen könnten Vorurteile oder stereotype Annahmen über ältere Arbeitnehmer haben, zum Beispiel, dass sie weniger produktiv, flexibel oder technisch versiert seien.
- Kulturelle Normen und Wertvorstellungen: In Gesellschaften, in denen Jugendlichkeit und Innovation hoch geschätzt werden, könnten ältere Arbeitnehmer möglicherweise als weniger wertvoll oder relevant angesehen werden.
- Fehlende Anpassungsfähigkeit: Arbeitgeber könnten ältere Arbeitnehmer als weniger anpassungsfähig gegenüber Veränderungen, neuen Technologien oder Arbeitsmethoden betrachten.
- Kostensenkung: Einige Arbeitgeber könnten ältere Arbeitnehmer aufgrund höherer Löhne oder größerer Ansprüche an Sozialleistungen als finanzielle Belastung betrachten und versuchen, sie durch jüngere, günstigere Arbeitskräfte zu ersetzen.
- Unkenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen: Manche Arbeitgeber sind sich möglicherweise nicht bewusst, dass Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz gesetzlich verboten ist, und handeln entsprechend.
- Kulturelle Bias: In manchen Branchen oder Unternehmen könnten kulturelle Normen und Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern vorherrschen, die zu Diskriminierung führen können.
Ein Beitrag von: