Hays-Experte im Interview: „Nachfrage nach Ingenieuren wird im vierten Quartal wieder anziehen“
Auf dem Arbeitsmarkt hatten es Ingenieure schon einmal leichter. Über Hintergründe und Aussichten spricht Hays-Experte René Gruner im Interview. Mit der richtigen Spezialisierung oder Weiterbildung, so der Fachmann, seien ihre Chancen weiterhin glänzend.
Die Konjunktur lahmt, der Arbeitsmarkt stottert: Auch Ingenieure auf Jobsuche sehen vermehrt hochgezogene Jalousien vor sich, müssen an immer mehr Toren rütteln. Der Fachkräfte-Index für das zweite Quartal 2024 der Personalvermittlung Hays, der am 31. Juli offiziell vorgestellt wird, zeigt die negative Tendenz in harten Zahlen. Schon im Vorfeld hat ingenieur.de exklusiv mit René Gruner, Bereichsleiter für die Business Unit Ingenieurwesen bei Hays, gesprochen. Im Interview sagt Gruner, welche Disziplinen und Kompetenzen dem Abwärtstrend trotzen und wagt eine Prognose, wann Ingenieure mit einer Erholung auf dem Stellenmarkt rechnen können.
Die Nachfrage nach Ingenieuren ist im zweiten Quartal spürbar abgeflaut. Schlägt die Konjunkturflaute auf dem Arbeitsmarkt jetzt voll durch, insbesondere in der kriselnden Automobilindustrie?
Grundsätzlich kann man den Nachfragerückgang nicht 1:1 nur auf eine schwache Konjunktur zurückführen. Je nach Industriesegment, Knowhow und Position kommen hier noch weitere Ursachen zum Tragen. Natürlich herrscht in vielen Betrieben nach wie vor eine Unsicherheit, die zu verhaltener Personalplanung bzw. zu Projektaufschub oder gar Projektstopps führt. Der zweite Punkt resultiert dann in geringerer Nachfrage nach externen Projektingenieuren. Das zeigt sich natürlich aktuell am deutlichsten in der klassischen Automotive Industrie, die in den vergangenen Monaten im großen Stil im Abbaumodus war und aufgrund nachteiliger Rahmenbedingungen den internationalen Anschluss an die E-Mobilität noch nicht gefunden hat. Hinzu kommt die zunehmende Automatisierung, die einen Teil der Aufgaben von Ingenieuren, zum Beispiel im Bereich Antrieb oder Entwicklung, kompensiert. Auch daraus resultieren in Summe weniger Ausschreibungen. In der Baubranche wiederum sind ganz andere Indikatoren für die reduzierte Nachfrage verantwortlich. Hier lahmt der Wohnungsbau nach wie vor durch hohe Zinsen und Materialkosten. Das führt dazu, dass Neuprojekte geschoben oder ganz eingestampft werden. Branchenunabhängig erleben wir parallel höhere Wellen beim Unternehmensausstieg durch den Renteneintritt vieler erfahrener Ingenieure. Bedingt durch die aktuellen Cost Cuttings wird ein bestimmter Teil dieser Abgänge nicht mehr nachbesetzt. Aber es gibt auch Hoffnungsträger wie die Energiewirtschaft, die wir zwar im Index nicht explizit abfragen, wo aber aktuell händeringend Spezialisten für erneuerbare Energien und Technologie, zum Beispiel Wasserstoff, gesucht werden.
Während die Zahl der offenen Stellen für Ingenieure im zweiten Quartal 2024 um mehr als 14 % im Vergleich zum Vorjahresquartal zurückgegangen ist, war das Minus bei Informatikern (-11,1 %) und insbesondere in Vertrieb und Marketing (-3,8 %), Legal (-3,5 %) und Finance (-2 %) deutlich geringer. Wie ist das zu erklären?
Die stärkere Veränderung bei den ausgeschriebenen Stellen für Ingenieure ist auf das Nachfrageniveau zurückzuführen. Gerade große Unternehmen schreiben Positionen für gleich mehrere Ingenieure mit ganz unterschiedlichen Spezialisierungen aus, wie zum Beispiel Verfahrensingenieure oder Projektingenieure. Während Supportfunktionen wie Juristen oder Marketingleitungen weniger in solchen Mengen oder projektweise gesucht werden.
„Mit neuen Kompetenzen Kernqualifikationen veredeln“
Wird sich der Abwärtstrend in den kommenden Quartalen Ihrer Einschätzung nach fortsetzen? Wann können Ingenieure wieder mit einer Erholung rechnen?
Aufgrund der hohen Volatilität des Fachkräftemarktes in den vergangenen Monaten ist es schwer zu sagen, wann genau eine Erholung stattfinden wird. Wir rechnen aber damit, dass die Nachfrage im vierten Quartal dieses Jahres anziehen wird. Allerdings darf die aktuelle Zurückhaltung der Unternehmen bei Neueinstellungen und Projektstopps nicht dazu führen, dass es zu einer dauerhaften Mehrbelastung der bestehenden Belegschaft kommt. Zudem bringen junge Ingenieure neue Ansätze für Technologien und Automatisierungen ein.
Wie können sich Ingenieure bei der Stellensuche erfolgversprechend positionieren?
Berufserfahrene Ingenieure sollten sich zunächst im Klaren darüber werden, wie erfolgversprechend es ist, die bisherige Karriere weiterzuverfolgen. Alternativ sollten sie
überlegen, mit den bestehenden Kompetenzen möglicherweise auch eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Oder Kompetenzen hinzuzunehmen, die ihre Kernqualifikation
veredeln. Das können Bereiche wie die KI-Integration sein, aber auch das internationale Projektmanagement. Denn gerade im Automotive Sektor wird schon lange mit agilen Projektmethoden gearbeitet. Was die Technologie-Affinität anbelangt, müssen Ingenieure künftig nicht gleich zum Informatiker werden, sollten aber dennoch firm darin sein, in welche technische Infrastruktur ihr Aufgabengebiet eingebettet sein wird.
Auffällig ist die weiterhin starke Nachfrage nach Bauingenieuren. Wird die schwierige Lage im Baugewerbe im Fachkräfte-Index erst mit Verzögerung sichtbar werden?
Dass die Bauingenieure bei der sinkenden Nachfrage noch die am stärksten gesuchte Berufsgruppe sind, ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass es sich hier um Projektvorhaben aus dem Straßenbau, generell der Infrastruktur sowie der Energiebranche handelt. Der Wohnungsbau dürfte wieder an Fahrt aufnehmen, wenn die Zinsen abnehmen. Erfahrungsgemäß nimmt aber die Nachfrage nach Bauingenieuren ohnehin witterungsbedingt im vierten Quartal ab.
„Würde mich für Informatik entscheiden“
Die größten prozentualen Zuwächse an Stellen seit 2015 verzeichnen Automatisierungsingenieure. Ist Automatisierungstechnik mittlerweile so etwas wie eine „sichere Bank“ für Ingenieure?
Da es im produzierenden Gewerbe ohne Automatisierung mittlerweile gar nicht mehr geht, haben Ingenieure mit dieser Spezialisierung auf jeden Fall sehr gute Karten, was ihre berufliche Weiterentwicklung anbelangt. Das gilt für Automotive ebenso wie für Chemie oder Energiewirtschaft.
Wenn Sie selbst als frischgebackener Abiturient in Kürze ein Ingenieurstudium aufnehmen wollten, für welche Fachrichtung würden Sie sich entscheiden?
Ich würde mich für die Informatik entscheiden, denn die beiden Disziplinen wachsen in der Praxis immer mehr zusammen und viele Unternehmen sind aktuell in ihrer technologischen und organisatorischen Transformation. Da hat man mit Informatik die besten Chancen, sich breit zu bewerben.
Vielen Dank für das Gespräch!
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