Immer mehr Beschäftigte distanzieren sich emotional von ihrem Arbeitgeber – Warum?
Die Studie „Techumanity 24“ des Trendence Instituts zeigt eine wachsende emotionale Distanz vieler Arbeitnehmer zu ihren Arbeitgebern. Was ist der Grund?
Immer mehr Angestellte lösen sich emotional von ihrem Arbeitgeber. Dies ist ein Ergebnis der aktuellen Arbeitsmarktstudie „Techumanity 24“, die das Trendence Institut in Zusammenarbeit mit dem HR-Unternehmen EMBRACE heute beim EMBRACE Festival in Berlin vorgestellt hat. Für die repräsentative Studie befragte das Marktforschungsunternehmen Trendence im Auftrag von EMBRACE 15.657 Arbeitnehmer und Absolventen in ganz Deutschland. Laut der Studie sind zwar 86,0% der Beschäftigten in Deutschland mit ihrem Arbeitgeber zufrieden, dennoch sind fast ebenso viele (84,1%) offen für einen Jobwechsel. Zwar suchen nur 14,0% aktiv nach einem neuen Job, aber 70,1% geben an, passiv ansprechbar (36,0%) oder zumindest gelegentlich auf Jobsuche zu sein (34,1%).
Emotionale Distanz zum Arbeitgeber: Was versteht man darunter?
Emotionale Distanz zum Arbeitgeber beschreibt den Zustand, in dem Mitarbeitende eine bewusste oder unbewusste Trennung zwischen ihren persönlichen Gefühlen und ihrer beruflichen Rolle ziehen. Diese Distanz kann aus verschiedenen Gründen entstehen, etwa durch negative Erfahrungen am Arbeitsplatz, mangelnde Wertschätzung oder unzureichende Kommunikation seitens der Führungskräfte. Eine moderate emotionale Distanz kann helfen, eine gesunde Work-Life-Balance zu wahren und Burnout vorzubeugen, indem sie Mitarbeitenden ermöglicht, sich emotional von arbeitsbedingtem Stress abzugrenzen. Allerdings kann eine zu große emotionale Distanz auch negative Folgen haben, wie verminderte Motivation, geringere Identifikation mit dem Unternehmen und eine reduzierte Arbeitsleistung. Arbeitgeber sollten daher ein Arbeitsumfeld schaffen, das sowohl die professionelle Distanz respektiert als auch eine positive, unterstützende Unternehmenskultur fördert.
Drohende Fluktuation auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Ein Grund für die drohende Fluktuation auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist, dass viele Beschäftigte den Sinn, den ihr Arbeitgeber vermittelt, nicht auf ihre eigene Arbeit übertragen. Dies äußerten mehr als ein Drittel (35,0%) der Studienteilnehmenden. Weitere 30,0% gaben an, dass die Verbindung zwischen ihrer Tätigkeit und dem Unternehmenszweck für sie schwierig und unklar sei. Insgesamt betrachten nur 10,1% der Befragten einen sinnhafte Unternehmenszweck als ein wichtiges Kriterium bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers.
Generische und austauschbare Ziele
Die Studie zeigt, dass die meisten deutschen Arbeitgeber ähnliche Ziele verfolgen, wenn es um ihren Zweck geht. Mit anderen Worten: Sie sind generisch und austauschbar. Zum Beispiel geben 25,2% der Befragten an, dass ihr Unternehmen generell Menschen helfen möchte. 16,6% sagen, dass ihr Arbeitgeber sich auf Nachhaltigkeit und den Klimaschutz konzentriert. Für 15,1% steht Innovation und Forschung im Vordergrund, während 9,1% für ein Unternehmen arbeiten, das einen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten möchte. Obwohl sich die meisten Mitarbeitenden mit diesen Zielen identifizieren können, führt dies laut den Studieninitiatoren nicht zu einer starken Bindung an das Unternehmen.
„Wir erkennen anhand unserer Daten, dass sich Beschäftigte immer mehr von ihrem Unternehmen und dessen mühsam entwickelten, aber oft zu generischen Purpose entfernen. Eine Folge davon ist die ausgeprägte und für Arbeitgeber besorgniserregende Wechselstimmung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Diese bedingt, dass sich Arbeitgeber deutlich mehr als bislang auf die individuellen Bedürfnisse von Bewerber:innen und Mitarbeitenden einstellen müssen“, erklärt Gero Hesse, CEO von EMBRACE, die Ergebnisse der Studie.
Benefits und Anreize individuell anbieten
Prof. Dr. Anja Lüthy, Gründerin des Frauennetzwerkes #FemaleHRexcellence und wissenschaftliche Begleiterin der Studie, sagt, dass der Zweck eines Unternehmens je nach Lebensphase und individueller Situation verschieden wahrgenommen wird. Deshalb sollten Benefits und Anreize individuell angeboten werden, um sich um jeden Mitarbeiter individuell kümmern zu können. Um die passenden Bewerber für das Unternehmen zu finden, sollten Purpose-Matching-Tests verwendet werden. Man kann auch Erwartungshaltungen standardisiert erfassen. Es muss aber noch herausgefunden werden, wie detailliert ein Unternehmen das leisten kann, und hier kommt KI ins Spiel.
KI im Bewerbungsprozess
Arbeitsmarktforschende haben beobachtet, dass viele Arbeitnehmer sich zunehmend von ihrer Arbeit distanzieren, während gleichzeitig immer mehr Tools auf Basis künstlicher Intelligenz im Bewerbungsprozess genutzt werden. Diese Technologie wird als Unterstützung betrachtet, weil sowohl Arbeitgeber als auch Bewerber KI einsetzen, um den Prozess schneller zu machen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. ChatGPT & Co werden besonders dafür genutzt, um bei kleinen, aber zeitaufwendigen Aufgaben im Bewerbungsprozess zu helfen. Zum Beispiel sehen fast die Hälfte der Befragten die Suche nach passenden Stellenanzeigen als Aufgabe für KI-Technologie. Außerdem sollten Arbeitgeber davon ausgehen, dass ein Großteil der schriftlichen Bewerbungskorrespondenz bereits von ChatGPT & Co erstellt wird. Tatsächlich nutzen oder könnten sich das bereits 44,3% der Teilnehmer mit akademischem Hintergrund vorstellen.
„KI-Tools stärken die Bewerbenden. Diese werden als so etwas wie ein verlässlicher Gefährte im Bewerbungsprozess verstanden. Wer sich als Arbeitgeber nicht mit den neuen Technologien auseinandersetzt und diese für Recruiting einsetzt, wird es zunehmend schwer bei der Mitarbeitenden-Gewinnung haben“, kommentiert Trendence-Geschäftsführer Robindro Ullah diese Ergebnisse.
Für die umfassende Studie „Techumanity 2024“ wurden bundesweit 15.657 Personen befragt. Die Untersuchung wurde zwischen Januar und April 2024 vom angesehenen HR-Marktforschungsunternehmen Trendence durchgeführt. Die Befragung erfolgte ausschließlich online. Die Teilnehmer setzten sich aus 3.542 Studierenden, 4.576 Personen mit akademischem Hintergrund und 7.549 Fachkräften ohne akademische Ausbildung zusammen, um so den gesamten Arbeitsmarkt abzubilden. Männer machten 57% der Teilnehmer aus, Frauen 43%.
Ein Beitrag von: