Interview 12.08.2024, 08:38 Uhr

Vom Flop zum Erfolg: Wie Sie Ihre Recruiting-Strategien verändern können

Im Zeitalter der digitalen Transformation sind Social Ads und Employer Branding allgegenwärtige Werkzeuge im Recruiting. Doch warum verfehlen sie so oft ihre Wirkung?

Recruiting

Internes Recruiting: Die unterschätzte Waffe im Kampf um Talente.

Foto: PantherMedia / Andriy Popov

Der erfahrene Recruiting-Stratege Michael Witt enthüllt in einem Interview die Gründe, warum diese modernen Methoden trotz ihres Potenzials häufig ins Leere laufen – und wie Unternehmen sie dennoch erfolgreich einsetzen können.

Herr Witt, warum sind moderne Recruiting-Methoden wie Social Ads und Employer Branding oft wirkungslos?

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Moderne Recruiting-Methoden wie Social Ads und Employer Branding verfehlen oft ihre Wirkung aus mehreren Gründen. Häufig mangelt es an der nötigen ‚Treffgenauigkeit‘ zur Zielgruppe, weil Unternehmen ihre Employer Value Proposition nicht zielgruppengerecht übersetzen. Zudem fehlt es oft an interner Verankerung der Arbeitgebermarke, die von innen heraus gelebt werden muss, um glaubwürdig zu sein. Schließlich erschwert eine unzureichende Kampagnen- und Kommunikationsarchitektur die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, besonders wenn Employer Branding außerhalb der HR-Abteilung angesiedelt ist.

MINT-Fachkräfte anziehen und sich von der Konkurrenz abheben

Wie können Unternehmen ihre Employer Branding-Strategien anpassen, um talentierte MINT-Fachkräfte anzuziehen und sich von der Konkurrenz abzuheben?

Als Recruiting-Stratege sehe ich drei Schlüsselelemente für erfolgreiches Employer Branding im MINT-Bereich. Erstens muss Employer Branding als integraler Teil der Talent-Akquisition verstanden werden, nicht als isolierte Marketingaktivität. Zweitens ist Langfristigkeit entscheidend – die Wirkung zeigt sich meist erst nach 1-3 Jahren. Drittens ist eine starke Zielgruppenorientierung unerlässlich. Neben einer allgemeinen EVP müssen Unternehmen ihre Arbeitsbedingungen spezifisch auf MINT-Fachkräfte zuschneiden und Angebote schaffen, die dieser Zielgruppe ’schmecken‘. Unternehmen, die diese Punkte konsequent umsetzen, heben sich automatisch von weniger fokussierten Wettbewerbern ab.

Welche aktuellen HR-Technologien halten Sie für besonders vielversprechend, um den Recruiting-Prozess zu optimieren, und warum?

Es gibt nicht die eine vielversprechende HR-Technologie zur Optimierung des Recruiting-Prozesses. Entscheidend ist vielmehr, dass Unternehmen zunächst ihren eigenen Prozess genau analysieren. Sie sollten sich fragen: Wo steckt viel Administration? Welche Aufgaben wiederholen sich ständig? Wo möchten wir Zeit einsparen? Erst basierend auf dieser Analyse lässt sich gezielt nach passenden technologischen Lösungen suchen. Besonders vielversprechend sehe ich den Einsatz von Technologie beim Verfassen von Stellenanzeigen, beim Kandidaten-Matching und bei der Echtzeit-Überwachung von Recruitingkennzahlen. In diesen Bereichen kann Technologie erheblich zur Effizienzsteigerung beitragen.

Recruiting-Effizienz steigern

Wie können innovative HR-Technologien, wie Künstliche Intelligenz oder automatisierte Bewerbermanagementsysteme, dazu beitragen, den Fachkräftemangel im MINT-Bereich zu reduzieren?

Innovative HR-Technologien können zwar den Fachkräftemangel im MINT-Bereich nicht direkt lösen, aber sie können die Recruiting-Effizienz erheblich steigern. Meine eigene Recruiting-Reifegrad-Studie 2024, die am 10. September veröffentlicht wird, zeigt, dass Bewerbermanagementsysteme in über 90 Prozent der Recruiting-Organisationen bereits Standard sind, mit Ausnahme kleinerer Betriebe unter 1000 Mitarbeitern. Der nächste Schritt ist die Entwicklung einer ganzheitlichen Recruiting-Technologie-Strategie. KI-basierte Tools können vielfältig unterstützen: Diese Technologien steigern die Recruiting Excellence und -Performance, was Unternehmen im Wettbewerb um MINT-Talente effizienter macht. Allerdings löst Technologie allein den Fachkräftemangel nicht – sie ist vielmehr ein wichtiges Werkzeug in einer umfassenden Recruiting-Strategie.

Michael Witt

Michael Witt im Gespräch über die Stolpersteine moderner Recruiting-Strategien.

Foto: Lebenswelt Recruiting

Vorteile des internen Recruitings

Welche Vorteile bietet internes Recruiting im Vergleich zur externen Rekrutierung, und wie kann eine optimierte interne Kommunikation dazu beitragen, diese Vorteile zu maximieren?

Internes Recruiting bietet einige wesentliche Vorteile gegenüber der externen Rekrutierung: Es ist in der Regel schneller und kosteneffizienter, verspricht eine bessere Passung und erfordert oft eine kürzere Einarbeitungszeit. Allerdings sind interne Recruitingprozesse häufig nicht so ausgereift wie externe. Ein typisches Beispiel: Externe Kandidaten durchlaufen oft Testverfahren, interne hingegen nicht – was die Frage aufwirft, warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Ein Hauptproblem beim internen Recruiting ist oft die Kommunikation. Das betrifft sowohl das Auffinden offener Stellen als auch die Abstimmung zwischen abgebender und aufnehmender Abteilung, wo es zu Grabenkämpfen kommen kann.

Um die Vorteile des internen Recruitings voll auszuschöpfen, sollte man ähnliche Qualitätsstandards wie beim externen Recruiting anwenden. Eine optimierte interne Kommunikation kann dabei helfen, Transparenz zu schaffen, Abteilungskonflikte zu minimieren und faire Auswahlprozesse zu etablieren. So wird internes Recruiting zu einer wertvollen Option in der Gesamtstrategie zur Talentgewinnung.

Interne Kandidaten fair behandeln

Meinen Sie damit Corporate Influencer, die die breite Öffentlichkeit für ihre Berufsbilder interessieren?

Corporate Influencer haben in der Tat an Bedeutung gewonnen, da das Employer Branding quasi um ein Employee Branding erweitert wurde. Dieses Instrument erweist sich als besonders wirksam, wenn es auf Plattformen eingesetzt wird, die von den Zielgruppen frequentiert werden. Bemerkenswerte Erfolge zeichnen sich dabei gerade im MINT-Bereich und bei mittelständischen Unternehmen ab. Allerdings ist es entscheidend, dass Corporate Influencing und Recruiting eng verzahnt sind. Andernfalls sind beides zahnlose Tiger. Eine effektive Strategie verbindet also die Reichweite der Corporate Influencer mit den Zielen des Recruitings.

Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass interne Kandidaten fair und transparent bewertet werden, ohne dass dies zu Spannungen oder Missverständnissen zwischen Abteilungen führt?

Für eine faire und transparente Bewertung interner Kandidaten ohne Abteilungsspannungen sind mehrere Faktoren entscheidend. Gleiche Standards im Recruitingprozess bilden die Grundlage, sowohl für interne als auch externe Bewerber. Eine offene Kommunikation von der Führungsebene ist unerlässlich, um zu verdeutlichen, dass interne Jobwechsel erwünscht und gefördert werden. Klare Kommunikationsregeln definieren, wer mit wem und wann spricht sowie wie der Bewerbungsprozess abläuft. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, Fairness zu gewährleisten und potenzielle Konflikte zwischen Abteilungen zu minimieren, während sie eine transparente Bewertung interner Kandidaten ermöglichen.

Praxiserprobte Tipps für Recruiting

Welche praxiserprobte Tipps können Sie uns geben, um die Zusammenarbeit zwischen Recruitern und Hiring Managern zu optimieren?

In vielen Unternehmen entstehen Silos als natürliche Folge von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Diese Strukturen führen oft zu Abteilungsdenken und erschweren die übergreifende Zusammenarbeit, was gerade im Recruiting zu Reibungsverlusten führen kann. Die Herausforderung liegt darin, diese Silos durchlässiger zu machen und Brücken zwischen den Abteilungen zu bauen. Um dies zu erreichen und die Zusammenarbeit zwischen Recruitern und Hiring Managern zu optimieren, haben sich mehrere Ansätze bewährt. Grundlegend ist ein ausführliches Briefing zu Beginn jedes Recruitingprozesses, das Anforderungsprofil, Aufgaben, Ziele und Teamstruktur detailliert klärt und gegenseitige Erwartungen transparent macht.

Ebenso wichtig sind klar definierte, verbindliche Prozesse von der Anforderungserhebung bis zum Onboarding, mit festgelegten Zuständigkeiten und Feedback-Zeitfenstern. Ein wöchentlicher Jour Fixe ermöglicht es, Fortschritte zu besprechen, offene Punkte zu klären und nächste Schritte zu planen. Gegenseitige Hospitationen – Recruiter in Fachabteilungen, Hiring Manager in Recruiting-Workshops – fördern das Verständnis für die jeweiligen Herausforderungen. Schließlich ist eine Kultur des kontinuierlichen Lernens unerlässlich, in der Recruitingprozesse gemeinsam analysiert und verbessert werden. Diese Maßnahmen bilden die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, die Abteilungsgrenzen überwindet und direkt zum Unternehmenserfolg beiträgt.

Wie können Führungskräfte und Recruiter sicherstellen, dass ihre interne Kommunikation regelmäßig und effektiv ist?

Eine effektive interne Kommunikation zwischen Führungskräften und Recruitern erfordert Struktur und klare Ziele. Der Austausch sollte entlang des Recruitingprozesses geplant werden, wobei besonders zu Beginn eines Projekts die Notwendigkeit für intensive Abstimmung deutlich wird. Service Level Agreements (SLAs) können helfen, Verbindlichkeit zu schaffen und festzulegen, welche Informationen wie oft ausgetauscht werden sollen.

Letztlich geht es darum, eine Kommunikationskultur zu etablieren, die beiden Seiten nützt und den Recruitingprozess optimiert. Nur wenn der Wert des regelmäßigen Austauschs erkannt wird, kann die interne Kommunikation ihr volles Potenzial entfalten.

Balance zwischen technologischem Fortschritt und bewährtem Handwerk

Wie sehen Sie die Zukunft des Recruitings?

Die Zukunft des Recruitings liegt in der Balance zwischen technologischem Fortschritt und bewährtem Handwerk. Jede Organisation muss ihren eigenen Weg finden, KI und andere innovative Technologien sinnvoll zu integrieren, ohne dabei die menschliche Komponente zu vernachlässigen. Entscheidend wird sein, Zielgruppen, Strategien und Recruiting-Organisationen ganzheitlich zu betrachten und zu gestalten. Hier gilt es, bestehende Silos abzubauen und eine nahtlose Zusammenarbeit zu fördern. Zudem muss sich Recruiting an immer schnellere Veränderungszyklen anpassen.

Content, Bewerbungsformate und Kandidatenerwartungen wandeln sich rasant. Dies erfordert resiliente Recruiting-Organisationen, die flexibel auf neue Trends reagieren können.

Letztlich geht es darum, eine agile und zukunftsfähige Recruiting-Struktur zu schaffen, die technologische Innovationen nutzt, ohne dabei den Fokus auf die individuellen Bedürfnisse von Kandidaten und Unternehmen zu verlieren.

Vielen Dank für das Interview!

Über Michael Witt:

Michael Witt ist Berater für Recruiting-Strategie und Organisationsentwicklung. Seit 2018 selbstständig, begleitet er Unternehmen bei Veränderungsprojekten im Bereich Recruiting und Personalmarketing. Mit über 20 Jahren Erfahrung, darunter 13 Jahre in konzeptionellen und strategischen Rollen sowie über 7 Jahre in leitenden Funktionen, bringt er umfassendes Wissen in die Beratung ein. Er ist Initiator und Veranstalter von Events wie der HR-TecNight und dem Recruiter Slam.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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