Grüner Job 13.10.2020, 14:48 Uhr

Wasserstoff: Was der Arbeitsmarkt der Zukunft wirklich hergibt

Grüner Wasserstoff hat Goldgräberstimmung ausgelöst. An der Börse steigen Wasserstoff-Aktien rapide, in der Industrie herrscht Euphorie. Politiker hoffen, mit Wasserstoff die Ziele der Energiewende zu erreichen. Können auch Ingenieure von H2 profitieren?

Windräder, Truck und Wasserstoff-Ladesäule

Wasserstoff-Jobs sind unter Ingenieuren beliebt.

Foto: panthermedia.net/aaw

Sogar die Bank of America bescheinigt Wasserstoff mittlerweile glänzende Aussichten. Die Zukunft für die Branche sei angesichts sinkender Produktionskosten, technologischer Rahmenbedingungen und politischer Weichenstellungen rund um den Globus hervorragend, teilte die Bank ihren Kunden laut CNBC kürzlich mit. Die Banker sehen sogar Parallelen zwischen Wasserstoff heute und Smartphones vor 2007.

Die deutsche Politik ist längst aufgesprungen auf den H2-Zug. 38 Einzelmaßnahmen umfasst die Nationale Wasserstoffstrategie, die die Bundesregierung im Juni vorgestellt hatte. Insgesamt neun Milliarden Euro will sie in die Wasserstoffwirtschaft pumpen, den Energieträger in den Massenmarkt drücken. Der Wasserstoff-Bedarf in Deutschland steigt bis zum Jahr 2030 auf 90 bis 110 Terawattstunden, schätzt die Regierung. Andere Prognosen gehen noch von weitaus höheren Werten aus. Dafür benötigt das Land viele neue und moderne Elektrolyseanlagen, in denen Wasser mit Hilfe von elektrischem Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Kommt der Strom aus erneuerbaren Energiequellen, spricht man von grünem Wasserstoff. Die Technologie ist auch als Power-to-X bekannt.

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7 Gründe, warum Brennstoffzelle und Wasserstoff die Zukunft der Mobilität sind

Arbeitsmarkt: Wasserstoffstrategie gibt Schub

Die deutschen Elektrolysehersteller sind Weltmarktführer, nehmen rund ein Fünftel des Weltmarkts ein. „Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung hat uns einen Schub gegeben“, sagt Sprecher Nico Ulbicht von Elektrolysehersteller Sunfire aus Dresden. „Das Thema scheint in Deutschland angekommen zu sein.“ Sunfire wurde 2010 gegründet, hat seitdem 39 Millionen Euro von Investoren eingesammelt. „Es gibt ein deutlich gestiegenes Interesse, sowohl vonseiten der Industrie als auch von Bewerbern“, so Ulbicht.

2017 hatten die Dresdner 92 Mitarbeiter in Lohn und Brot, ein Jahr später waren es schon 101. Mittlerweile beschäftigen sie nach eigenen Angaben über 200 Menschen. „Wir wollen unsere Produktion skalieren. Um das zu erreichen, stellen wir gerade viele neue Mitarbeiter ein“, sagt Ulbicht. Momentan suchen die Sachsen Ingenieure mit Elektrolyse-Knowhow, Prozessingenieure, Verfahrenstechniker, Elektroingenieure, Konstrukteure, aber auch Einkäufer und Mitarbeiter in der Produktion. Auf eine offene Stelle kommen derzeit rund 35 Bewerbungen.

Deutz stellt Wasserstoffmotor vor: Eine Besonderheit überrascht

Sunfire ist ein Newcomer, Konkurrent H-Tec Systems aus Augsburg dagegen schon lange im Geschäft. Das Unternehmen existiert seit 1996, es gehört zu 60 Prozent zum Energiesystemanbieter GP Joule und zu 40 % dem Großmotorenhersteller MAN Energy Solutions. Von 2012 bis 2019 wuchs die Mitarbeiterzahl nur marginal von 16 auf 28. Mittlerweile aber geben die Elektrolyseure aus Schwaben eine offizielle Zahl von rund 60 Beschäftigten an. Auf der Personalliste stehen unter anderem Verfahrenstechniker, Elektrotechniker und Fachkräfte für Automatisierung, Maschinenbauer und Vertriebsingenieure.

Airbus oder Nikola Motors: Jobs für Ingenieure in der Wasserstoffindustrie

Arbeitsplätze entstehen – sollte Wasserstoff wirklich zum Höhenflug ansetzen – aber nicht nur in der Elektrolyse. Der Energieträger muss hergestellt, transportiert und gespeichert werden. Er soll Wasserstoff-Züge, Lastwagen und sogar Flugzeuge antreiben. Diese müssen teilweise erst noch entwickelt werden, sei es von Konzernen wie Alstom und Airbus oder von Startups wie Nikola Motors. Nikola machte zuletzt allerdings negative Schlagzeilen, da ihr Prototyp eines Wasserstoff-Lkws gefaked war.

E-Fuels, die auf grünem Wasserstoff basieren, könnten auch das Überleben von Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie sichern. Wasserstofftankstellen müssen gebaut, Komponentenbauteile und Anlagen hochgezogen werden. Zudem will man diese weiträumig vertreiben und verkaufen, vor allem ins Ausland. Ein wichtiger Baustein in der Nationalen Wasserstoffstrategie sind die internationalen Partnerschaften, eine erste Anlage zur Elektrolyse in industriellem Maßstab soll demnächst in Marokko entstehen. Das Interesse an Wasserstoff ist groß, auf nahezu allen Kontinenten, in sämtlichen großen und aufstrebenden Märkten der Weltwirtschaft.

In allen Abschnitten der Wertschöpfungskette könnten so in den kommenden Jahren und Jahrzehnten neue Arbeitsplätze entstehen – in Forschung und Entwicklung, Produktion, Transport und Logistik sowie im Vertrieb.

Die einzelnen Prognosen über die Job-Potenziale des Wasserstoff-Booms überbieten sich geradezu gegenseitig:

Wasserstoff-Jobs in Deutschland

In einer gemeinsamen Studie prognostizieren das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und Beratungsunternehmen Frontier Economics, dass die Power-to-X-Technologie bis zu 470.800 neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen könnte. Vorausgesetzt, die Nachfrage nach Ptx-Anlagen zieht wie erwartet weiter kräftig an. Von den 470.800 Jobs entfielen 175.000 Stellen auf direkte Beschäftigungseffekte, der Rest auf indirekte. Auf diese Prognose beruft sich auch die Bundesregierung gerne. Allerdings könnte, so der Hinweis der Studienautoren, der Job-Zuwachs durch Skaleneffekte bei der Elektrolyseherstellung auch deutlich niedriger ausfallen. Zum Vergleich: In der deutschen Automobilindustrie standen 2019 knapp 823.000 Menschen in Lohn und Brot – Tendenz fallend.

Neue Rennserie auf Wasserstoff-Basis

Wasserstoffwirtschaft in Europa soll bis 2030 über eine Million Arbeitsplätze schaffen

Die Hydrogen Roadmap Europe rechnet vor, dass Unternehmen normalerweise pro eine Million Euro Umsatz zwischen sieben bis 15 neue Arbeitsplätze schaffen – und die Wasserstoffwirtschaft in Europa demzufolge bis 2030 über eine Million Arbeitsplätze generieren könnte. Die Hälfte davon würde in der Herstellung von Wasserstoffproduktions- und -verteilungsanlagen sowie im Aufbau der Infrastruktur entstehen. „Arbeitsplätze in diesen Bereichen erfordern meist hoch qualifizierte Menschen, Ingenieursfähigkeiten und technisches Know-how“, schreiben die Autoren. Weitere Potenziale sehen sie unter anderem bei der Entwicklung von Brennstoffzellen und Brennstoffzellen-Autos. Urheber der Hydrogen Roadmap Europe ist die „Gemeinsame Technologieinitiative für Brennstoffzellen und Wasserstoff“ (Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking, FCH 2 JU), die unter dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizon 2020“ etabliert wurde.

Wasserstoff-Jobs in Brandenburg: Region weckt Hoffnungen

Auch auf regionaler Ebene weckt Wasserstoff Hoffnungen. Ein Kohle-Land wie Brandenburg könnte den Strukturwandel besser bewältigen, sollten sich Fertigungsbetriebe für Elektrolyseure und Komponentenbauteile hier ansiedeln. Bis 2030 könnten diese Betriebe zwischen 3.500 und 7.000 qualifizierte Arbeitsplätze in die Region bringen. So rechnet es die „H2-Industrie Potenzialstudie Brandenburg“ des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands vor. Speziell in der Lausitz könnten allein durch die Ansiedelung von H2-Anlageherstellern rund 83 % der vom Strukturwandel betroffenen Arbeitsplätze gesichert werden, schätzt eine Studie der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH. In Frage kommen demnach Produktionsanlagen von Elektrolyseuren, mobilen Brennstoffzellen und Druckgastanks, Verdichtern, Mess- und Automatisierungstechnik und Leistungselektronik. Auch die Forschung und Entwicklung in den regionalen Forschungseinrichtungen berge ungehobene Job-Potenziale für die Wirtschaft vor Ort.

Wasserstoff-Jobs: Industrie macht in grünen Stahl

Die deutsche Industrie macht jedenfalls mobil. Im letzten Geschäftsbericht von Industriegase-Gigant Linde taucht 34 Mal das Wörtchen Hydrogen auf. Energieunternehmen wie RWE, E.ON und Uniper haben das Thema für sich entdeckt, ThyssenKrupp und Salzgitter planen mit Hilfe erneuerbarer Energien und Elektrolyse die Erzeugung von „grünem Stahl“. Die Salzgitter AG hat sämtliche Wasserstoffaktivitäten in ihre Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH (SZMF) verlagert. In der SZMF werden Forschung und Entwicklung gebündelt, Projekte mit Forschungseinrichtungen koordiniert. Ende 2020 soll auf dem Werksgelände eine 2,5-Megawatt-Elektrolyseanlage in Betrieb gehen, die den gegenwärtigen Wasserstoffbedarf am Standort komplett decken wird.

Automobilzulieferer Bosch will in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Startup Powercell Brennstoffzellen-Stacks für Fahrzeuge zur Serienreife bringen. Ab 2022 sollen sie im Bosch-Werk in Bamberg vom Band laufen. Kooperationspartner PowerCell sitzt in Göteborg, zählt zu seinen Investoren neben Bosch auch Volvo. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Vollzeitstellen bei Powercell von 20 im Jahr 2014 auf 48 Ende 2019. Mittlerweile beschäftigten die Schweden 56 Mitarbeiter, darunter auch Michael Wenske. Der Chief Operating Officer für das Deutschland-Geschäft ist Diplom-Ingenieur, mischt schon seit 1995 im Elektrolyse-Markt mit. Oft und gerne rekrutiert Powercell an der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg, die zu den renommiertesten Ingenieurschmieden Schwedens zählt.

Ingenieure fordern mehr Forschung ohne Vorgaben

Norwegisches Start-up sucht Ingenieure

Zu den aufstrebenden Wasserstoff-Unternehmen aus Skandinavien zählt auch Nel. Die Norweger bauen Elektrolyseanlagen und Wasserstofftankstellen, befinden sich in der Wachstumsphase. 2015 überwiesen die Norweger nur 75 Mitarbeitern Gehalt. Im zweiten Quartal 2019 waren es schon 274, im zweiten Quartal 2020 bereits 361 Mitarbeiter. Frauen stellen knapp ein Viertel der Belegschaft. Der Chef der Elektrolyse-Abteilung ist der Belgier Filip Smeets, ein Chemiker aus Antwerpen. Trotz der Corona-Pandemie will Nel seine Mitarbeiter weitgehend halten, nur Leiharbeiter mussten bislang gehen. Der französische Elektrolysehersteller McPhy baute in den vergangenen Jahren insbesondere sein Vertriebsteam stark aus. Mitte 2020 standen exakt 101 Mitarbeiter auf dem Lohnzettel. Bei einem erwarteten Umsatz von 15 Millionen Euro entspräche dies knapp sieben Mitarbeitern pro Million.

Hochdruckbehälter, mit denen Wasserstoff auch über große Distanzen transportiert wird, stellt Hexagon Composites her. Die Norweger sind in Deutschland, USA, Kanada und Brasilien aktiv, haben eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung.

Im Jahr 2017 stand die Mitarbeiterzahl noch bei 103, heute werden offiziell 1.011 Beschäftigte angegeben. Zuletzt suchte Hexagon aktiv nach einem Sales-Direktor mit abgeschlossenem Studium, „im Idealfall mit technischer Vertiefung“, nach R&D-Ingenieuren mit einem Hochschulabschluss in Maschinenbau, am liebsten mit Schwerpunkt Materialwissenschaften und Polymerchemie, und nach Prozessingenieuren mit Kunststoff-Expertise für die Weiterentwicklung ihrer Hochdruckbehälter, „mit umfangreichen Kenntnissen in der Produktion von Spritzguss-, Extrusions- und Blasformbauteilen“.

Personalsuche bei Sorgenkind Nikola

Völlig ruckelfrei geht die Wasserstoff-Revolution aber nicht vonstatten. Davon zeugt das Beispiel Nikola Motors. Die US-Amerikaner waren angetreten, den Tesla unter den Trucks zu bauen, einen Wasserstoff-Lkw mit Wasserstofftank und Brennstoffzelle. Die massiven Betrugsvorwürfe eines Shortsellers führten zum Rücktritt von Nikola-Chef Trevor Milton. Die Aktie stürzte ab. Zu dem Berg an Problemen, vor dem Nikola nun steht, zählt auch die Personalsuche. Mitarbeiter für Design, Produktion und Servicetechnik sollen vermehrt  eingestellt werden, legt ein Dokument nahe, das Nikola im August bei der Börsenaufsichtsbehörde SEC eingereicht hatte.

„Unsere weitere Entwicklung unserer Lkws ist und bleibt Risiken unterworfen zum Beispiel unserer Fähigkeit, qualifizierte Mitarbeiter anzuwerben, zu rekrutieren, einzustellen und auszubilden“, heißt es dort.

„Da unsere Lastwagen auf einer anderen Technologieplattform basieren als herkömmliche Verbrennungsmotoren, können Personen mit ausreichender Ausbildung in alternativen Kraftstoffen und Elektrofahrzeugen möglicherweise nicht rekrutiert werden, so dass wir erhebliche Zeit und Kosten aufwenden müssen, um die Mitarbeiter, die wir einstellen, zu schulen.“ Nikola stehen schwere Zeiten bevor, Ingenieuren in der Wasserstoffwirtschaft womöglich goldene.

Ein Beitrag von:

  • Sebastian Wolking

    Sebastian Wolking ist freier Journalist in Hamburg und schreibt seit über 15 Jahren für die VDI Nachrichten. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themen Arbeitsmarkt und Karriere.

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